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Mein
Leben ohne mich
Die
23-jährige Ann lebt mit ihrem arbeitslosen Mann und ihren zwei süßen
Töchterchen in einem Wohnwagen auf dem Grundstück ihrer stets unzufriedenen
Mutter im kanadischen Vancouver. Sie arbeitet an der Uni als Putzfrau. Eines
Tages ändert sich ihr Leben schlagartig. Denn nach einem Schwächeanfall
lautet die Diagnose: Gebärmutterkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Wie
reagiert ein junger Mensch auf die Nachricht, ihm bleiben nur noch wenige Monate
zu leben? Soll er etwas Verrücktes anstellen, sich eine Art letzten Wunsch
erfüllen? Oder trotzig die Nachricht ignorieren und einfach so weiterleben,
solange es nur geht?
Ann
trifft zunächst eine eigenwillige Entscheidung: sie behält die Nachricht
für sich und versucht, ihr Leben so normal wie möglich weiterzuführen.
Sie schreibt allerdings auf einem Zettel alles auf, was noch zu tun ist, ehe
„ihr Leben ohne sie“ weitergeht. In dieser Liste nimmt natürlich an erster
Stelle ihre Familie Platz. So will Ann auf Kassette Geburtstagsgrüße
für ihre beiden Töchter aufnehmen, für jedes Jahr eine, bis sie
18 werden. Ganz oben steht auch der Plan, eine neue Frau für ihren Mann
und Ersatzmutter für die beiden Töchter zu finden sowie das Verhältnis
zu ihrer eigenen Mutter ins Reine zu bringen und endlich ihren seit 10 Jahren
im Gefängnis sitzenden Vater zu besuchen.
Nach
solchen vernünftigen Überlegungen fallen ihr dann doch noch ein paar
kleine verrückte Dinge ein – und schließlich so etwas wie ein letzter
Wunsch: sie, die so früh heiratete, möchte vor ihrem Tod die Liebe
eines anderen Mannes kennen lernen. In der Tat trifft sie auf einen vom Leben
Enttäuschten, mit dem sie eine außereheliche Beziehung beginnt.
Obwohl
das Drehbuch alle Türen für ein rührseliges Melodram offen lässt
und die wunderschönen Naturbilder mit dem rauen Meer und dem Regen zur
melancholischen Stimmung beitragen, inszeniert Regisseurin Isabel Coixet „Mein
Leben ohne mich“ sensibel und spröde zugleich und vor allem mit einem wunderbaren
Gefühl für Erzählrhythmus, das jegliches Abgleiten in Gefühlsduselei
von vorne herein verhindert.
„Mein
Leben ohne mich“ ist bis in die Nebenfiguren hervorragend besetzt, insbesondere
in den weiblichen Rollen: Amanda Plummer glänzt als exzentrische diät-obsessionierte
Kollegin. Maria de Medeiros brilliert als skurrile Friseurin, und die durch
„Sprich
mit ihr“
(Pedro Almodóvar, 2002) weltberühmte Leonor Watling überzeugt
in einer kurzen, aber eindringlichen Rolle als Nachbarin.
Aus
dieser Schauspielerinnen-Riege sticht die Protagonistin Sarah Polley heraus,
die in „Das
Süße Jenseits“
(Atom Egoyan, 1998) einem breiten Publikum bekannt wurde. Sarah Polleys leicht
melancholische Miene verleiht einer Traurigkeit ohne Bitterkeit, dem bewussten
Leben bis in die letzten Augenblicke den richtigen Ausdruck.
Allein
die Liebesaffäre ist mit ihrer Sorge um die Zukunft ihrer Familie kaum
zu vereinbaren. Zumal Ann dadurch nicht nur den eigenen Ehemann, sondern auch
den Mann tief verletzt, der ihr in ihrer letzten Lebensspanne Geborgenheit und
Zärtlichkeit schenkt.
„Mein
Leben ohne mich“ ist ein Film, der den Mut hat, sich existentielle Fragen zu
stellen: die Frage nach dem Wert der Familie, der Mutterschaft, der Liebe. Ein
Film, der nachdenklich macht, der über die Banalitäten des Lebens
hinaus strebt. Dazu erklärt die Regisseurin: „Was ich mit diesem Film beschlossen
habe, ist, mein Leben nicht mit irgendwelchem Mist zu vergeuden ... Wenn ich
sterbe, dann will ich nicht verärgert sein über diese Welt.“
Das
Leben bewusster leben, nach den wirklich wichtigen Dingen des Lebens streben
– sicherlich ein wichtiges Anliegen, das „Mein Leben ohne mich“ verbreitet.
Dennoch: weil die transzendente Dimension des Menschen ganz außer Acht
gelassen wird, bleibt ein schaler Nachgeschmack, der den Wert dieses einfühlsamen
Dramas mindert.
José
García
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere texte
Mein
Leben ohne mich
(My
Life without me / Mi vida sin mí)
Regie:
Isabel Coixet
Darsteller:
Sarah Polley, Amanda Plummer, Scott Speedman, Leonor Watling, Deborah Harry,
María de Medeiros, Mark Ruffalo, Alfred Molina
Land,
Jahr: Kanada / Spanien 2003
Laufzeit:
102 Minuten
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