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Mein
Leben ohne mich
Schöner
sterben
„Mein
Leben ohne mich“ ist eine Frage der Organisation: Isabelle Coixet erzählt
von den letzten Tagen einer Todkranken
Für
moderne Raumausstatter müsste das Innenleben von Anns Wohnwagen die Hölle
auf Rädern sein. Oder liegt das Tüddelleben zwischen buntbestickten
Indien-Tüchern und Paillettenvorhängen schon wieder im Trend? Egal,
das Glück muss sich eng einrichten bei der jungen Familie, die in einem
kleinen Trailer in Omas Garten kampiert. Ann kämpft sich ab, um es den
beiden Kindern und Ehemann Don trotz widriger Umstände nett zu machen.
Doch immer öfter bricht sie bei ihrem nächtlichen Putzjob zusammen:
Die vermeintliche Anämie ist ein Tumor im Endstadium, der bei der Mittzwanzigerin
wuchert. Die Diagnose ist eindeutig: Zwei, vielleicht drei Monate wird sie noch
leben.
Oft
schon wurde die Frage nach dem Sinn des Lebens im Kino zu der Frage nach den
letzten Lebenswochen verdichtet. Selten jedoch wird sie so pragmatisch angegangen
wie in Isabel Coixets „Mein Leben ohne mich“. Denn Ann (Sarah Polley) gehört,
wie sie selbst sagt, nicht zu den Frauen, die stundenlang den Mond anstarren.
Als berufstätige Mutter hat sie für solche Grübeleien keine Zeit.
Auch die fatale Diagnose bringt sie nur kurz ins Taumeln. Dann setzt sie sich
ins Café, bestellt Kaffee und Kuchen und macht eine Zehn-Punkte-Liste
der Dinge, die sie noch erledigen will vor ihrem Tod. Die neue Frisur gehört
ebenso dazu wie die Aussprache mit den Eltern, und der Versuch, Ersatzfrau und
-mutter für die zurückbleibende Restfamilie zu suchen, steht neben
dem Begehren nach einer Liebesnacht mit einem fremden Mann. Denn bisher hat
Ann außer Familie und früher Mutterschaft vom Leben fast nichts gesehen.
Wie
viele und welche von Anns Projekten in Coixets Film Wirklichkeit werden, soll
hier nicht verraten werden. Doch das Besondere dieser spanisch-kanadischen Koproduktion
liegt weniger in den Auf und Abs des Plots als in der Tonart, die die katalanische
Regisseurin anschlägt: eine Dramaturgie, die die Klischees filmischen Geschichtenerzählens
lässig in den Wind schlägt. Eine Kamera, die Nähe wagt, ohne
aufdringlich zu werden. Ein humoristischer Nebenton, der sich auch kleiner Details
mit Wärme annimmt. Sogar der Arzt wird zu einer liebenswert tragikomischen
Figur.
Man
möchte diesen Film lieben. Dass das dann doch nicht so leicht geht, ist
dem Plot geschuldet, einer allzu weichgespülten Geschichte, die die hässlichen
Realitäten von Krankheit und Tod ebenso ausblendet, wie sie ein von rührender
Aufopferung gezeichnetes Mutterbild präsentiert. Denn neben den Ausflügen
ins nicht gelebte Leben verbringt Ann ihre letzten Wochen vor allem damit, der
nichtsahnenden Familie das eigene Abtreten möglichst schmerzfrei zu organisieren.
Sie ist somit programmatisches Gegenbild zum immer häufiger werdenden Stereotyp
von der schlechten und egoistischen älteren Mutter, wie sie Deborah Harry
in Coixets Film aufs Schönste verkörpert. Immerhin bleibt bei dem
geballten Liebesüberschwang auch für die böse Großmutter
ein Quentchen Verständnis übrig. Denn schlechte Gefühle sind
in diesem Film nicht erlaubt. Toronto liegt offenbar ziemlich nahe am Hollywood-Land
Amerika.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im: Tagesspiegel
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere texte
Mein
Leben ohne mich
Kanada
/ Spanien 2003 - Originaltitel: My Life without me / Mi vida sin mí -
Regie: Isabel Coixet - Darsteller: Sarah Polley, Amanda Plummer, Scott Speedman,
Leonor Watling, Deborah Harry - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab
6 - Länge: 106 min. - Start: 4.9.2003
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