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Mein
Name ist Nobody
Leones
Abgesang auf den Western
"Du
machst mir Angst, wenn
Du
so bedeutsam läufst, Locke."
(Nobody
zu einem glatzköpfigen
Cowboy,
der vor Kraft kaum
gehen
kann)
"Wenn
ich zurückblicke, glaube ich,
dass
wir ein Haufen hoffnungsloser
Romantiker
waren. Wir glaubten, mit
einer
Kanone und einem Showdown
alles
lösen zu können. Aber damals
war
der Westen noch weites Land.
Niemals
begegnete man zweimal
derselben
Person. Aber als du kamst,
hatte
es sich verändert. Es ist eng
und
voll. Ständig läuft man
denselben
über den Weg."
(Beauregard
in seinem Brief an
Nobody)
Diese
beiden Zitate aus dem Film des italienischen Regisseurs Sergio Leone zeigen
vielleicht am deutlichsten das Ambiente von "Il mio nome è Nessuno"
- nämlich die Krise eines Mannes, der sein Leben lang in Konkurrenz zum
amerikanischen Western-Genre einen eigenen, italienischen, vielleicht auch europäischen,
Western begründen und dafür Anerkennung erhalten wollte. Leone selbst,
der seinem ehemaligen Regieassistenten Tonino Valerii die Regie des Films übergab,
trat in der Öffentlichkeit quasi nur im Hintergrund auf, als die Dreharbeiten
begannen, und auch, als der Film in die Kinos kam. Doch seine Handschrift ist
deutlich zu erkennen, fast in jeder Szene. Dem genervten Valerii selbst soll
er permanent Vorgaben gemacht haben, wie diese oder jene Szene zu drehen sei.
Gerade in diesem Punkt ranken sich viele Geheimnisse und Gerüchte um die
Rolle Leones bei der Herstellung des Films.
Schon
aber die Eingangsszene lässt - in starker Anlehnung an die Anfangssequenz
von Leones "Spiel
mir das Lied vom Tod"
(1968) - seine führende Rolle bezüglich des Stil des Streifens erkennen:
Wie in seinem exzellenten Western von 1968 zaubert Leone - ohne Dialoge - eine
epische Sequenz, in der drei Ganoven in aller Ruhe einen Barbierladen überfallen
und den Barbier und seinen Sohn in eine Kammer sperren. Als Jack Beauregard
(Henry Fonda) den Salon betritt und sich rasieren lässt, ahnt man noch
nicht, dass der weiß, dass er von einem Gangster rasiert wird und nicht
vom Barbier. Er hält dem Unhold den Colt an die Genitalien und lässt
sich in aller Ruhe rasieren. Kurz darauf sind die drei Gangster tot. Wie in
"Spiel mir das Lied vom Tod" lässt Leone diese Sequenz in atemberaubender,
nervenzerfetzender Länge auf den Zuschauer einwirken. Dazu bei trägt
die Akustik: Man hört entweder einen Wecker ticken oder das Geräusch
beim Rasieren.
"Mein
Name ist Nobody" ist der vorletzte Versuch Leones, seine Position als Regisseur
eines speziellen italienischen Westerns zu behaupten. Der Nachfolgefilm "Nobody
ist der Größte",
zwei Jahre später gedreht, war ein finanzielles Desaster, an dem die Kritik
nicht viel Gutes ließ. Danach drehte Leone nie wieder einen Western. Und
erst neun Jahre später sollte er seinen großen Traum verwirklichen,
den Film "Es
war einmal in Amerika"
(1984).
"Mein
Name ist Nobody" ist eine Mischung aus dem, was anfangs von der amerikanischen
veröffentlichten Meinung abwertend "Spaghetti-Western" tituliert
wurde, und einer speziellen Komik, die vor allem durch Terence Hill in den Film
hineingetragen wurde. Hill spielt einen Namenlosen, von dem keiner weiß,
woher er kommt und wohin er gehen wird, einen, der aber sehr genau über
bestimmte Dinge Bescheid weiß. Und der weiß, was er will. Er folgt
dem intelligenten Helden Jack Beauregard, der plant, den Westen mit einem Schiff
Richtung Europa zu verlassen. Wir schreiben das Jahr 1899. Beauregard gehört
zur alten Garde der Westernhelden, der mit der neu angebrochenen schnelllebigen
Zeit nicht zurecht kommt, der müde und krank geworden ist (seine Augen
lassen nach, ein Rückenleiden quält ihn). Seine Kumpane, auch sein
skrupelloser Bruder, sind tot. Der letzten großen Schlacht mit dem korrupten,
Gold stehlenden Sullivan (Jean Martin) und der "wilden Horde", einer
Gangstertruppe von 150 Männern, die so viel wert seien wie 1.000 (so Nobody),
will er sich nicht mehr stellen.
Nobody
hingegen will, dass Beauregard zur Legende wird. Und um zur Legende zu werden,
müsse er der "wilden Horde" entgegentreten. Nachdem Nobody Beauregard
vor einer im Körbchen versteckten Bombe gerettet hat, weicht er ihm nicht
von der Seite. In einem Show-Duell mit Beauregard rettet er ihn abermals vor
einem Mordanschlag. Beauregard wird den zudringlichen Nobody nicht mehr los.
Nobody
gelingt es schließlich, Beauregard an einer Bahnlinie in der Prärie
zum last fight mit der wilden Horde zu stellen, während Nobody selbst inzwischen
einen Zug mit Gold gestohlen hat. Nach getaner Arbeit muss die Legende nun endlich
lebendig werden. Wie? Nun, eine Legende lebt nur, wenn ihr Träger tot ist
- oder zumindest alle an seinen Tod glauben. In einem von beiden inszenierten
Duell "erschießt" Nobody Beauregard zum Schein, der kurz darauf
endlich auf das Schiff nach Europa gehen kann, während Nobody gleichzeitig
zum neuen Helden einer neuen Zeit aufgestiegen ist.
Diese
Geschichte um zwei Helden, den der alten und den der neuen Zeit, spicken Valerii
und Leone mit allerlei Situationskomik, vor allem aber komischen Szenen, die
mit dem Verlauf der Geschichte eigentlich nichts zu tun haben und deutlich dem
Stil jener "Spaghetti-Western" huldigen, in denen Terence Hill (vor
allem mit Bud Spencer) kurz zuvor Erfolge feierte, etwa Enzo Barbonis "Vier
Fäuste und ein Halleluja" (1972) und "Die rechte und die linke
Hand des Teufels" (1971). Eine dieser Szenen zeigt dies besonders deutlich:
Nobody nimmt in einem Saloon an einem Spiel teil, bei dem er vier verschieden
große Gläser mit Whiskey nacheinander leer trinken und die leeren
Gläser dann hinter sich werfen und in der Luft mit dem Colt treffen muss.
Danach legt sich ein glatzköpfiger Cowboy mit ihm an - und es kommt zu
der berühmten "Abklatsch-Nummer": Nobody zieht abwechselnd die
Colts seines Gegenüber und verpasst ihm etliche Ohrfeigen - alles rasend
schnell.
In
einer anderen Szene steht Nobody in einem öffentlichen Pissoir einem Mann
gegenüber, der "nicht kann"; er bringt ihn dazu "zu können."
Auch eine Szene mit Beauregard am Billardtisch, in der Nobody seinem Helden
die Geschichte vom Vögelchen erzählt, das aus dem Nest gefallen ist,
von einer Kuh aus Mitleid durch deren Fladen warm gehalten und danach von einem
Kojoten gefressen wird, gehört zu den Zwischenspielen, die ihre Herkunft
kaum verheimlichen können.
Auffällig
ist, dass die Mischung aus Leones eigenem Stil, den er in "Spiel mir das
Lied vom Tod" so exzellent ausbreiten konnte, und den typischen Komik-Elementen
anderer "Spaghetti-Western" (z.B. Barbonis) über weite Strecken
des Films durchaus gelungen ist. Leone hatte Terence Hill in "Vier Fäuste
und ein Halleluja" gesehen und setzte alles daran, Hill für die Rolle
des Nobody zu bekommen - angeblich auch, um sich an Barboni, der zumindest beim
Publikum Erfolg mit seinen Hill-Spencer-Filmen hatte, zu rächen. Für
die Eifersucht und gekränkte Eitelkeit Leones spricht auch eine andere
Szene auf einem Friedhof, in der Leone auf einen Grabstein den Namen Sam Peckinpah
schreiben ließ. Peckinpah hatte es zuvor abgelehnt, mit Leone zusammenzuarbeiten.
Und der Name "wilde Horde" ist direkt dem Titel eines Films Peckinpahs
"The
Wild Bunch"
(1969) entlehnt. Dass die "wilde Horde" später dran glauben muss,
war sicher direkt auf Peckinpah gemünzt.
Andererseits
nahm er auf andere Regisseure im Film positiv Bezug, etwa in einer Szene in
einem Spiegelzelt auf einem Jahrmarkt, die Bezug nimmt auf den Orson-Welles-Film
"The
Lady from Shanghai"
(1947).
Der
Film lebt aber auch von den unterschiedlichen Charakteren Henry Fonda und Terence
Hill. Während Fonda den letztlich ehrbaren Helden alter Schule verkörpert,
spielt Hill den überlegenen, jeder Situation gewachsenen, komischen neuen
Helden, der Beauregard immer einen Schritt voraus ist.
So
wurde "Mein Name ist Nobody" Leones vorletzter Erfolg, vielleicht
auch deshalb, weil der Regisseur die Geschichte als eine Krise des Westerns
bzw. seines eigenen Engagements für einen italienischen Western auslegte.
Der am Schluss des Films von Henry Fonda vorgetragene Brief Beauregards an Nobody
verdeutlicht dies. Henry Fonda hatte sich übrigens - nach seiner Rolle
in "Spiel mir das Lied vom Tod" - noch einmal von Leone engagieren
lassen - das letzte Mal.
Erwähnt
werden muss schließlich die Musik Ennio Morricones. Schon die Titelmelodie,
getragen von der Querflöte, in einem jungenhaften Stil komponiert, passt
zu dem Ambiente des Films hervorragend. Andere Teile der Musik wurden mit Passagen
aus der berühmten Musik zu "Spiel mir das Lied vom Tod" gespickt.
In einer Szene mit Fonda (am Bahngleis in Erwartung der "wilden Horde")
trägt in der Musik deutliche Züge von Sinatras "My Way".
Und die "Wild Bunch"-Szenen untermalte Morricone u.a. mit Themen aus
der Musik Richard Wagners.
Auf
der am 15.8.2005 erschienenen "Nobody Box", die beide Filme sowie
zwei Bonus-DVDs enthält, befinden sich übrigens zwei interessante
Extras: eine 73 Minuten lange Dokumentation von Torsten Kaiser unter dem Titel
"Mein Name ist Nobody - Leones Grabgesang auf den Western der alten Generation",
die interessantes Hintergrundmaterial zu dem Film und zu Leone liefert, sowie
eine 63 Minuten lange Dokumentation "Nobody ,Dusted'. Der Film vor und
nach der Restauration", in der am Beispiel des Films die technische Entwicklung
vom 8-mm-Film über VHS und Laser-Disc bis zur DVD geschildert wird. Der
Film wurde für die DVD aufwendig restauriert (erstmals durch Transfer in
High Definition 24psf 1080 von einem hervorragenden 35-mm-Technicolor-Negativ
inklusive vollständigen Abspanns und fehlender Sequenzen).
Wertung:
8,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: http://www.follow-me-now.de
Mein
Name ist Nobody
(Il
mio nome è Nessuno)
Italien,
Frankreich, Deutschland 1973, 117 Minuten (DVD: 112 Minuten)
Regie:
Tonino Valerii, (Sergio Leone)
Drehbuch:
Sergio Leone, Fulvio Morsella, Ernesto Gastaldi
Musik:
Ennio Morricone
Kamera:
Armando Nannuzzi, Giuseppe Ruzzolini
Schnitt:
Nino Baragli
Produktionsdesign:
Gianni Polidori
Darsteller:
Terence Hill (Nobody), Henry Fonda (Jack Beauregard), Jean Martin (Sullivan),
Piero Lulli (Sheriff), Mario Brega (Pedro), Marc Mazza (Don John), Benito Stefanelli
(Porteley)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0070215
©
Ulrich Behrens 2005
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