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Mein New York
Liza Minelli singt »New
York, New York«, während die Kamera über die große Bühne
der Skyline von Manhattan entgefährt. Dann rekapituliert Praunheim seine
New York-Filme. Die Gay Parade vom Juni 1971 in der Christopher Street (HOMOSEXUELLE
IN NEW YORK). Der Digest aus UNDERGROUND AND EMIGRANTS, TALLY BROWN, NEW YORK und DAS TODESMAGAZIN werden im off als historisches Material kommentiert. Sieht man
die Kratzer und Laufschrammen auf dem Bild, hört man Praunheim sich erinnern,
wie vor Zeiten Filmkratzer zur Ekstase des Publikums führten: »Sie
waren das Ideal der frühen 70er Jahre.«
Ein Film für die Fernsehserie
»Auslandreporter«. Die Eingangssequenz ist das Klischee der New
York-Reportage. Andy Warhol erscheint wieder auf der Party des deutschen Uno-Botschafters
Alexander von Wechmar. Praunheim plaudert mit ihm vor einer Collage, die Willy
Brandt zeigt. Praunheim-Ton 1982 (über Warhol): »Jahre später
kroch er nur noch Reichen in den Arsch.« Jack Smiths Plaster in Paradise ist jetzt
direkt an die Warhol-Sequenz geschnitten und gibt diesem eine verrückt/geniale
Antwort. Ein Ausschnitt vom Einakterfestival (Tom und Divine in der Neonfrau), dann resigniert Tally
Brown mit »You Can't Always Get What You Want«; leider ist das Mikro
nicht o. k., und Praunheim kommentiert im off, daß Tally Brown, die er
in den 60er Jahren auf einer Parkbank kennengelernt hatte, heute fast vergessen
sei und von Sozialhilfe lebe. Sie war die Kultfigur der 60er Jahre.
Ihren Platz nimmt in MEIN NEW
YORK akustisch ein deutscher Star ein. Marianne Rosenberg singt mit ihrer Chinesenstimme
das (schon im PORTRÄT MARIANNE ROSENBERG wiedergegebene) Lied »Wenn es Nacht wird in Harlem«.
Glaubt man der Bild- und Tonmontage von MEIN NEW YORK, besetzen deutsche Frauen
Positionen in New York. Vera Graf und Luetze (berliner Subkulturstar, bekannt
aus Filmen von Ulrike Ottinger) fühlen sich vor Praunheims Kamera in New
York zu Haus. Luetze will dort bleiben, »und wenn ich als Putzfrau arbeiten
müßte«.
Daran anschließend, bekommt
der Ausschnitt mit der »Dr.Jazz«-Nummer von Holly Woodlawn den Stellenwert
einer Darbietung für deutsche Touristen. Und was ist aus dem Kampfrock
der new yorker Punx geworden? Anja Philipps, die Punkchinesin aus dem TODESMAGAZIN,
wird zitiert. Auf der Tonspur sind anfangs noch James Chance und die Contortions
mit »Design to Kill« zu hören, aber schon kommt im off Praunheims
resignativer Kommentar. Anja, gleich nach den Aufnahmen für das TODESMAGAZIN
an Brustkrebs erkrankt, starb drei Monate später.
Die Schlußbilder zeigen
Praunheim 1982 in New York, allein und depressiv. Nackt liegt er auf dem Bett
und stellt sich vor, »wie ich von brutalen Unbekannten beraubt werde«.
Er wird nicht beraubt. Er zieht sich an, schwarz, und hockt zum Adagio von Albinoni
(ein akustisches Zitat aus ROTE LIEBE (WASSILISSA)) neben einem Kleinfernseher. Im off erfährt man das Resümee-Manifest.
New York erschien 1982 »wie ein Horrortrip« ; »Reagans harte
Sozialpolitik hat Wunden geschlagen«. Die naiven Träume, Spaß
und Spiel sind dahin. Ernst und Langeweile, der Kampf ums Überleben sind
an ihre Stelle getreten. »Was bleibt, ist eine Erinnerung an die vergangenen
zehn Jahre.« Zu diesem Abgesang zeigt das Bild das Schlußklischee einer
Stadtreportage: langsam entfernt sich die Skyline.
Mit MEIN NEW YORK ist Praunheim
um die große Hoffnung Von UNDERGROUND AND EMIGRANTS ärmer, des Films,
der die (new yorker und praunheimsche) »Alternative zum langweiligen deutschen
Kulturbetrieb« darstellen sollte. MEIN NEW YORK zeigt das Scheitern dieser
Alternative. Der Film findet seinen Zweck nicht in der Kompilation, sondern
in der Umwertung der alten Bilder. New York ist keine Alternative mehr, allenfalls
abschreckendes Beispiel. Das kommt nicht in den Bildern zum Ausdruck (abgesehen
von der Schlußsequenz), sondern in den Sätzen des Kommentars. Lähmung
des new yorker Untergrounds und Anpassung an die Reagan-Wende. »Ich hoffe,
daß wir jetzt stärker sind und wirklich
vehement dagegen sind.« Das hat Praunheim freilich nicht mehr im Film gesagt (sondern
in einem Interview).
»Wir« - das waren
während der (wenigen) Filmaufnahmen in New York Mike Shephard, sein fester
Freund, und Marianne Enzensberger, seine Freundin. Bilder dafür zu finden
- daran hinderte ihn der Frust, der ihn während der Drehtage in New York
erfaßt hatte.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags.
MEIN NEW YORK
USA / BRD 1982
Regie, Drehbuch, Ton, Kommentar: Rosa von Praunheim. - Kamera:
Edvard Lieber, Scott Sorenson, Lloyd Williams, Juliana Wang, Rosa von Praunheim.
- Schnitt: Rosa von Praunheim, Mike Shephard. - Mitarbeit: Mike Shephard. -
Songs: »New York, New York«, gesungen von Liza Minelli; »Wenn
es Nacht wird in Harlem«, gesungen von Marianne Rosenberg; »You
Can't Always Get What You Want«, gesungen von Tally Brown; »Dr.Jazz«,
gesungen von Holly Woodlawn; »Design to Kill«, gespielt von James
Chance and the Contortions; u. a. - Darsteller: Holly Woodlawn, Andy Warhol,
Jack Smith, Ellen Stewart, Tom Eyen, Divine, Tally Brown, Vera Graf, Luetze,
Anja Philipps, AI Goldstein, Jean-Pierre LaHary. - Produktion: WDR. - Redaktion:
Dieter Kaiser. - Aufnahmeleitung: Siegfried Ibsch. - Produktions-Kosten: ca.
30 000 DM. - Format:16 mm, Farbe (Kodak). – Original-Länge: 29 min. -TV:
28.7. 1982 (WDR III / HR III / NDR III / SFB III / RB III). - Verleih: offen.
Beitrag der TV-Serie »Auslandsreporter«. - Ausschnitt-Kompilation
der Filme HOMOSEXUELLE IN NEW YORK, UNDERGROUND AVD EMIGRANTS, TALLY BROWN,
DAS TODESMAGAZIN.
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