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Mein
Onkel
Emblematisch:
Eine abgebrochene Wand, Bauschutt, einmal wird M. Hulot einen Ziegel wieder
an seinen Platz legen, als gäbe es den noch, den rechten Platz. Dahinter,
hinter der Wand, die abgebrochen ist und keines Hauses mehr Teil, die Straße
und Wohnblöcke, eckig, modern, grau-blau. Das steht in "Mon Oncle"
gegeneinander wie ein Prinzip gegen das andere: das moderne Frankreich und das
alte. Erdtöne, Natur, das krumme Haus, der Vogel, der zwitschert, wenn
das Licht auf ihn fällt. Der Fisch, im Garten des Schwagers, in dem das
Krumme des Weges nur eine Idee von mangelnder Funktionalität ist (und fehl
am Platz wie alles hier, selbst beim Schein der vollendeten Funktionalität),
der Fisch speit seinen Wasserstrahl in die Höhe nur als Reaktion auf die
mechanische Bewegung des Schalters.
M.
Hulot ist auf den ersten Blick Verkörperung und Inbegriff des Prinzips
der Anti-Moderne, das Tati in Erdtonfarben ausmalt (von der Musik zu schweigen,
die aller Subtilität abhold bleibt). Als das, was er ist, passt Hulot nicht
ins Funktionale, er kann dort nur auftreten als anarchischer Zerstörer,
meist ganz ohne Absicht: Blasen im Schlauch, ein Loch in der Wasserzuleitung,
Hauswandbewuchskorrektur. Das scheint die der Komödie als ihre Kehrseite
zugehörige Tragödie: der aus seinem Habitat in die Moderne und in
kapitalistisches Effizienzdenken verpflanzte Mann. Dem Gegensatz ist eine historische
Richtung eingetragen: es geht zuende mit dem Alten, der Abbruch des Hauses neben
der schon abgebrochenen Wand sagt es nur zu deutlich. Für Hulot, der nach
Nordafrika muss, ist kein Platz mehr, nicht weniger als seinen Tod erleben wir
am Ende, ein Verschwinden. Der Neffe, der auf seiner Seite stand, ist mit dem
Vater versöhnt, der freilich ein erstes Mal zum Schabernack aufgelegt ist.
So
hat "Mon Oncle" seine überdeutlichen Seiten (im übrigen
ist auch die wie immer überaus sorgfältig komponierte Tonspur in ihren
Klischees beinahe dazu zu rechnen). In den Pointen aber neigt Tati sehr viel
mehr als in den "Ferien des M. Hulot" zum Beiläufigen, zur dramatischen
Ironie. Nicht einmal mehr in der Pointe begegnen sich die beiden Prinzipien
wirklich: Hulot wird oft nicht einmal ertappt; oder wo er ertappt wird, ist
er unschuldig. Ganz für den Blick des Zuschauers dagegen: der Fisch unter
dem Tisch und der Hund unter dem Tisch, ein Blick, der im Nichts, das geschieht,
die eigene Pointe beinahe völlig unterläuft. Hulot, als unschuldige
Verkörperung des Alten, ist sich seines Gegensatzes zum Neuen kaum bewusst:
er merkt nur, dass es im Verhältnis zum Modernen zwickt und zwackt, als
wäre es ein gar nicht passender Mantel.
Und
damit rettet Tati seinen Film: Der Gegensatz behält in Hulot einen Unschärfebereich.
Hulot ist keine These mit Hut und Pfeife. Er ist immer auch der blanke, zur
Verbalisierung nicht fähige Eigensinn, ein schieres, wenngleich unschuldiges
Gegenprinzip zu allem Funktionieren. Den Ort, an den er gehörte, gibt es
im Grunde nicht. Auch das krumme Haus, das alte Viertel sind nur Plätze,
an denen er unterkommt, ohne groß aufzufallen. Das ist nicht die Tragödie
der Modernisierung, der sei es noch so unterspielte Pointen gegen die Moderne
abzugewinnen sind. In der komischen Figur des M. Hulot steckt vielmehr eine
existenzielle Tragödie: und die kann nur mit dem Verschwinden, mit dem
Tod Hulots enden, der sich natürlich zum Flughafen führen lässt
wie das Lamm zur Schlachtbank.
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
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diesem Film gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
(Mon
oncle)
Frankreich
1958, 110 Minuten
Regie:
Jacques Tati
Drehbuch:
Jacques Lagrange, Jean L’Hôte, Jacques Tati
Musik:
Franck Barcellini, Alain Romans, Norbert Glanzberg
Director
of Photography: Jean Bourgoin
Schnitt:
Suzanne Baron
Produktionsdesign:
Henri Schmitt
Darsteller:
Jacques Tati (Monsieur Hulot), Jean-Pierre Zola (Monsieur Arpel), Adrienne Servantie
(Madame Arpel), Lucien Frégis (Monsieur Pichard), Betty Schneider (Betty),
Jean-François Martial (Walter), Dominique Marie (Nachbarin), Yvonne Arnaud
(Georgette, Dienstmädchen), Adelaide Danieli (Madame Pichard), Alain Bécourt
(Gerald Arpel)
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