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Melinda
und Melinda
Das
Drama bleibt Theorie
Woody
Allens filmischer Kosmos dreht sich von jeher um das Aufspüren der Komödie
im Drama und des Dramas in der Komödie. Die Konservierung der geschlossenen
klassischen Formen ist ihm noch nie gelungen. Weder in seinen klamaukigsten
Slapstickfilmen im Stile eines "Sleeper" noch in den sinistren Bergman-Hommagen
eines "Interiors": An der Trennung des gestrengen Faches ist er im
Grunde stets gescheitert. Seine Figuren halten das reine Drama nicht aus, sie
können es partout nicht ernst nehmen. Sie benehmen sich ganz so, wie es
eine von ihnen einmal formuliert hat: "Nicht die Kunst imitiert das Leben,
sondern das Leben imitiert die Kunst." Und so geben sie sich Film für
Film größte Mühe, das geschlossene Drama nachzuahmen - allein,
es fehlt die Überzeugung. An der pessimistischen Grundhaltung mangelt es
indes keineswegs: Die Geschichten, sei es in der Komödie oder im Drama,
enden immer gleich. Immer gleich traurig. Und dann, so scheinen seine Figuren
sich stets zu sagen, dann gehen sie doch besser den Weg über die Komödie.
Fast
erstaunlich mag es angesichts dieses Woody Allenschen Kosmos' anmuten, daß
er einen Film wie "Melinda und Melinda" erst jetzt dreht im, sagen
wir mal, Spätsommer seiner so fleißigen Karriere. Stehen doch die
Geschehnisse um Melinda stellvertretend für dieses gespaltene Verhältnis
zur aristotelischen Ordnung. In -einem kleinen Experiment nämlich erzählt
Woody Allen Melindas Geschichte parallel montiert zweimal - eben als Drama und
als Komödie. Daß er sich und seinen Zwiespalt dabei allerdings nicht
wirklich ernst nimmt, zeigt sich im Konstrukt seines Films. In der Rahmenhandlung
sitzen vier Freunde abends zusammen und machen sich als Zeitvertreib ein Vergnügen
daraus, eine Anekdote um jene Melinda in den erwähnten zwei Varianten fortzuspinnen.
Melindas doppelte Geschichte erhält damit nicht einmal auf der Filmebene
einen wahrhaftigen Anspruch, sondern verläßt auch hier den rein hypothetischen
Raum nicht. Das Drama bleibt reine Theorie, während die Komödie durch
die Parallelmontage im Gesamten obsiegt.
Der
Ausgangspunkt beider Geschichten entspringt der Anekdote über eine leicht
verwirrt wirkende junge Frau, Melinda, die eines Abends in eine private Dinnerparty
platzt, die ein Ehepaar gibt, weil es sich von den Gästen ein berufliches
Weiterkommen erhofft. Der Einfall (im Friedrich Dürrenmattschen Sinne durchaus
wörtlich zu nehmen) als Voraussetzung für die Komödie: Schon
für diese Grundsituation nimmt sich Allen einen Komödien-Klassiker
und torpediert sein gesamtes Konzept bereits am Beginn. Daß dies am Ende
dennoch auf charmanteste Weise gelingt, ist fraglos erneut seiner unfaßbar
entspannten Inszenierung geschuldet. Nach wie vor wirken seine Filme wie aus
einem Guß, obwohl von seinem altbewährten Stab kaum noch jemand dabei
ist (eine der Ausnahmen bildet Santo Loquasto, dessen Production Design wohl
auf ewig mein New York-Bild prägen wird). Kinderleicht wirkt die Montage,
zwingend jede Kameraposition, absolut natürlich das Spiel der Darsteller.
Das mag zunächst unspektakulär erscheinen, doch diese zur Perfektion
getriebene visuelle Klarheit ist die reine Wohltat - jene Wohltat, die sich
trotz gewisser Abnutzungseffekte seit Jahren bei Woody Allen einstellt. Zudem
fasziniert auch in "Melinda und Melinda" Allens Fähigkeit, B-Komiker
wie Will Ferrell ("Saturday Night Live") so natürlich in seine
Welt und ins gesamte Ensemble zu integrieren, als hätte dieser nie woanders
gespielt.
Am
Ende des Films übrigens freuen sich die vier Freunde von allen Figuren
am meisten - sie hatten einen gelungenen Abend. Die Zuschauer indes müssen
wieder raus, in ihren Alltag, und jeden Tag aufs neue entscheiden über
Drama und Komödie.
Oliver
Baumgarten
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
Melinda
und Melinda
Melinda
and Melinda. USA 2004. R,B:
Woody Allen. K:
Vilmos Zsigmond. S:
Alisa Lepselter. M: Div. P: Fox Searchlight. D: Radha Mitchell, Chloë Sevigny,
Jonny Lee Miller, Will Ferrell, Amanda Peet u.a. 100 Min. Fox ab 23.6.05
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