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Melinda & Melinda
Als ich noch ein Schüler war, nicht wusste, wo aus noch ein, da erklärte mein Lateinlehrer, Humanist alter Schule, den Unterschied zwischen Komödie und Tragödie. Auf das Ende kommt es an: In der Komödie, die von Enttäuschung, Demütigung und Tod nur so triefen kann, fügt sich zum Abgang hin alles recht zusammen –Mann und Frau, verlorener Sohn und Königsvater, Mensch und Glück. Die Tragödie kann der Komödie zum Verwechseln ähnlich sehen; aber ehe bei ihr der Vorhang fällt, sind alle – tot. Mit jedem neuen Jahr dämmert mehr, dass diese Definition wohl nicht auf das Drama allein beschränkt gewesen ist und dass ein Humanist bisweilen überaus zynisch sein kann.
Humanist
ist Woody Allen auf seine alten Tage nicht geworden. Im Gegenteil ist sein Leben
beruhigend konstant, geht Allen noch immer von der Sinnlosigkeit des menschlichen
Lebens in einem kontingenten Kosmos aus, dessen Ausdehnung ihn vermutlich noch
genauso sehr verstört wie zu seinen besten Zeiten. Hätte er sich mit
Anything
Else
nicht aus der Schauspielrolle zurückgezogen – auch in der schlechtesten
aller möglichen Welten kann man laut Allen ein bisschen Würde wahren
– so wäre die mehr als äußerliche Persistenz des lachenden Hungerkünstlers
noch augenfälliger. Sein aktueller Film Melinda
& Melinda
steht ebenfalls in der Tradition des Lachens als einzig wirksames Mittel gegen
ein unerbittliches und grausames Leben. Trotz einiger Schwächen lässt
auch er den grellbunten Widerspruch vergessen, der jedem (guten) Woody Allen
Film anhaftet: Wie man den Allenschen Sentenzen („Ich werde sterben. Du wirst
sterben. Das verdirbt uns irgendwie den Spaß.“) beipflichten muss, immerzu
beipflichten muss, und doch lachen kann.
Dieses
Woody-Allen-Paradox ist in Melinda
& Melinda
das Leitmotiv, nur heißt es dort: Komödie und Tragödie. In einem
französischen Café irgendwo in New York sitzen vier typische Intellektuelle,
vielleicht nach einem Allen-Film, und diskutieren über das Leben. „Der
Kern des Lebens ist nicht komisch – er ist tragisch!“, setzt ein untersetzter,
kleiner Kerl ein, der natürlich die Personifikation der Komödie ist.
„Das sehe ich anders. Philosophen halten es für absurd!“, entgegnet sein
hageres Pendant mit verbrauchtem Gesicht und den müden Bernadineraugen:
Tragödie. Ein Dritter erzählt den Anfang einer Geschichte und fragt,
ob diese Stoff für eine Tragödie oder Komödie sei. Mit den darauf
folgenden unterschiedlich erzählten Antworten setzt die eigentliche Filmhandlung
ein.
Beide
Erzählungen beginnen damit, dass eine aufgelöste Frau, Melinda (Radha
Mitchell), eine gediegene Dinerparty aufmischt. In der tragischen Version besucht
Melinda ihre alte Freundin, eine wohlhabende Park-Avenue-Prinzessin und deren
nicht nur auf der Bühne schauspielernden Ehemann. Aus Langeweile hat sie
ihren Ehemann für einen Photographen namens San Juliano sitzen lassen,
verlor dadurch das Sorgerecht für die Kinder, kam in eine Nervenheilanstalt,
Selbstmordversuch – das volle Programm also. Weil das noch nicht genug ist,
versucht ihre Freundin sie in der weiteren Erzählung zu verkuppeln, was
natürlich dem Untergang geweiht ist und in einem neuerlichen Selbstmordversuch
der tragischen Melinda endet. Ihr komisches Alter Ego indes ist nur die Nachbarin
eines Paares, welches wie das Negativbild zu Prinzessin und Schauspielerin wirkt:
Sie ist eine aggressiv-erfolgreiche Independent-Filmemacherin – neuester Film:„Die
Kastrationssonate“ – ihr Mann Hobie (Will Ferrell) der abhängige Schauspieler,
der Hinken für das Aushängeschild einer tragischen Darstellung hält.
Schnell wird klar, dass letzterer Allens Stellvertreter vor der Kamera ist,
folglich die komische Melinda aus dem Rampenlicht drängt: Die Komödie
ist Allens ureigenes und alleiniges Metier, die Frau nur Urkatastrophe mit gutem
Ausgang. Hobie will Melinda, die wiederum jemand anderen, ganz Hobie unähnlichen
– der Rest ist die Essenz aus nunmehr 40 Jahren Woody-Allen-Film. Dieses simple,
aber wohl ewig funktionierende Narrationsmuster leidet allerdings darunter,
dass Allen nicht mehr selbst vor der Kamera steht. Woody Allen kann eigentlich
nur Filme über Woody Allen machen und so fällt – wie schon beim sehenswerteren
Anything
Else
– auf, dass jeder neue Protagonist immer ein schlechtes Surrogat für den
echten Allen bleiben muss. Ferrell in der Rolle des Hobie kann einem mit seiner
unoriginellen Mimesis nur Leid tun– aber welcher Hauptdarsteller in einem Woody-Allen-Film
könnte das nicht?
Bemerkenswert
sind an Melinda
& Melinda
nicht so sehr die beiden Teilerzählungen, im Grunde genommen leicht blässliche
Kopien früherer Filme, sondern ihr Zusammenspiel: Einzelne Elemente des
einen Teils lassen sich leicht verändert im anderen wieder finden. Während
die tragische Melinda also sich nach dem Zusammenbruch ihrer neuerlichen Hoffnung
von einem Dach stürzen will, schafft Hobie es auf wundersame Weise eine
heiße Republikanerin derart abzukühlen, dass sie sich aus dem Fenster
stürzen will – es ist alles eine Sache der Perspektive. Der Höhepunkt
dieser Erzählweise wird dann erreicht, wenn der Zuschauer über das
Leben der tragischen Melinda zu lachen beginnt, sei es wegen der betont untragischen
Schauspielerei der Akteure oder der vielen Verquickungen mit der Komödie.
Dergestalt entsteht bereits innerhalb und zwischen den beiden Teilhandlungen
eine subtile Synthese. Wie der Titel Melinda
& Melinda dieselbe
Person meint, so sind auch Tragödie und Komödie das zuletzt Tragikomische
des Lebens.
Zu dieser
Einsicht gelangt auch der intellektuelle Zirkel der Rahmenhandlung. Das Komische
im Leben genießen, so lange es geht, denn: „Ein perfektes Kardiogramm
oder nicht – wenn man es am wenigsten erwartet, ist: Ende.“ Und das Denken bei
sich selbst: Altphilologen und Woody Allen – wer hätt’s gedacht?
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
Melinda
und Melinda
Melinda
and Melinda. USA 2004. R,B:
Woody Allen. K:
Vilmos Zsigmond. S:
Alisa Lepselter. M: Div. P: Fox Searchlight. D: Radha Mitchell, Chloë Sevigny,
Jonny Lee Miller, Will Ferrell, Amanda Peet u.a. 100 Min. Fox ab 23.6.05
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