MENMANIACS: THE LEGACY OF LEATHER
Jochen Hicks (VIA APPIA) spielfilmlanger Dokumentarfilm über die
bizarren Spiele der männermanischen Lederwelt sieht über Nägel &
Nieten, Jocks & Boots hinweg auf Menschen, die ihre Fetische vorzeigen
und von ihren Obsessionen erzählen. Dem exotischen Ritual zum Trotz
gelang Hick - einer der wenigen Dokumentaristen, die hinhören können -
ein eher unspektakulärer, aber attraktiver, menschlich berührender und
nahegehender Film, der höchst kunstvoll die Balance zwischen
Information und Emotion zu halten weiß. Ein Glücksfall, daß ein Film
wie MENMANIACS nicht nur auf Festivals reüssiert, sondern auch im Kino
läuft: Fördergremien und TV-Redaktionen hatten null Mark dazugegeben.
Hick hatte im vorigen Jahr Tom of Hamburg, den International Mr.
Leather, zum großen Contest nach Chicago begleitet. Mit der Kamera
unter dem Arm durchkreuzt er die Labyrinthe des Chicago Congress Hotel,
der nüchternen, überdimensionierten Messeherberge, auf der Suche nach
Lederleuten in Harness oder Uniform, die ihrerseits beim Cruising sind.
Ja, wir sehen den Fetischisten, der hingebungsvoll den Stiefel leckt,
den Sklaven, der uns beiläufig über die Dienstvorschriften in Kenntnis
setzt, die Lederfrau, die sich vom Männerspiel angezogen fühlt. Niemals
wird der Zuschauer zum Voyeur degradiert, weil ja alle da sind, um
beachtet zu werden. Wir sind in einer Show: die Wahl des Mr. Leather
erleben wir als gewaltige Choreographie, das rituelle Spiel der
Lederobsession wiederholt sich in San Francisco, New York, Amsterdam.
Kandidaten und Preisrichter sprechen Statements in Hicks Kamera, das
Publikum wird befragt, zwischen den Wahlgängen gibt es Showeinlagen,
and the winner is ...
Wir sind im Land der Oscar-Verleihungen, und Jochen Hick sollte den
nächsten Film über Oscar-Maniacs drehen, denn die bierernsten deutschen
Hollywoodberichte waren auch dieses Jahr wieder danebengegangen
(schlimmstes Beispiel: die Kier-Verhunzung im Sender Premiere), weil es
eben nicht um die Vermittlung von Fakten (Journalismus), sondern um das
Mitspielen im großen Spiel geht, also um den künstlerischen Auftritt.
In der Lederwelt der menmaniacs entlastet die drastische Illusion vom
Realitätsdruck. In den Straßen von San Francisco tummeln sich ziemlich
nackte Leder-Cops, bulliger als die Bullen; Nazi-Uniformen verlieren
als Travestiekostüm ihren Schrecken; der nekrophile Akt macht dem Tod
die Herrschaft streitig. - Leicht wäre es, die Gewalt der S/M-Szene zu
denunzieren und zu geißeln: Hick zeigt dagegen, geduldig zusehend und
hinhörend, wie die Gewalt sich im obsessiven Spiel verliert, und die
schwulen Extremisten werden in seinem Film unauffällig zum Vorbild für
die neuerdings allseits so geschätzte kultivierte multiple
Persönlichkeit, wie sie gegenwärtig in Gestalt der Fotokünstlerin Cindy
Sherman zum Ausdruck kommt, die, stets sich in den extremsten Rollen
fotografierend, nach dem Verfolger Ausschau hält (Ausstellung in den
Deichtorhallen Hamburg bis Ende Juli).
Hick also findet die Normalität im Unnormalen, und deswegen können wir
in diesem Film auch unverstellt Thomas Karasch, den aidskranken Tom of
Hamburg, wahrnehmen, der uns vier Wochen vor seinem Tod in der
Gesamtheit seiner Rollen als Chaingang-Leader, Pornohändler,
Videofilmmacher (sein Werk ist in Hicks Film integriert) und Mr.
Leather als Mensch nahekommt. - Applaus für MENMANIACS!
Dietrich Kuhlbrodt
Diese Kritik ist zuerst erschienen in:
MENMANIACS: THE LEGACY OF LEATHER
BRD 1994/95. R. B, K, T: Jochen Hick. P: Jochen Hick, P.C. Neumann. Sch: Micheline
Maske. M: Charly Schöppner. Pg: Galeria Alaska. V: Jochen Hick, Falkenried 56,
20251 Hamburg.Tel: 040/420 81 99. L: 86 Min. DEA: Berlinale 1995. St: Mai 1995.