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Menschenfeind
Im
letzten Jahr hat der französische Film IRREVERSIBEL von
Gaspar Noé die Gemüter gespalten. Im Kino wurde er vom Publikum
meist übersehen, es ist jedoch zu erwarten, dass sich das Videothekenpublikum
aufgeschlossener zeigen wird. Deshalb lag es nahe, den Film im Doppelpack mit
seinem Vorläufer herauszubringen: „Seul contre tous“ trägt nun den
passenden, wenn auch deutlichen Titel MENSCHENFEIND.
Die
Figur des Pferdeschlachters, mit enormer Präsenz gespielt von Philippe
Nahon, zieht sich als ein kontinuierliches Motiv durch alle Filme Noés.
Im ersten Kurzspielfilm CARNE wird sein inzestuöses Verhältnis zur
halbwüchsigen autistischen Tochter (Blandine Lenoir) geschildert. Als er
glaubt, ein Arbeiter habe sich an ihr sexuell vergangen, attackiert er den nächstbesten
Mann, wofür er zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird. In „Menschenfeind“
lebt er nach der Haft mit einer schwangeren Kneipenwirtin (Franckie Pain) und
deren Mutter in Lille zusammen. Die Schwierigkeit, eine neue Arbeit zu finden
und die Spannung innerhalb der lieblosen Beziehung endet in einem hemmungslosen
Gewaltausbruch. Nur mit einer Pistole und etwas Geld flieht er nach Paris, wo
er seine Tochter aus dem Heim abholen möchte. Das Wiedersehen mündet
in die vorhersehbare Tragödie...
MENSCHENFEIND
könnte im Kontext der pessimistischen Soziodramen Bruno Dumonts (HUMANITÄT) begriffen
werden, Noés Kino geht jedoch weit brachialer zu Werke: Auf dem Körper
seines Protagonisten agiert er ein grausames Spektakel aus, sein Körper
und sein Leben werden zum Material einer filmästhetischen Performance.
Es zählt dabei weniger, was erzählt wird, denn die Erzählung
auf der narrativen Ebene ist labil, sondern das momentane Wie. Eine filmische
Illusion, die einfache Darstellung des sozialen Alltags, wird dabei ebenso aufgegeben
wie die psychologische Dimension der Figuren. Noés Filme wenden sich
von einem literarisch-narrativen Kino ab und kultivieren ein cinéma
pur,
den Versuch einer Reinform filmischer Darstellungsmöglichkeiten, die gelegentlich
an die Experimente der nouvelle
vague
erinnern, deren Grenzen jedoch durchbrechen.
Wesentliches
Mittel ist dabei die dramaturgische Unzuverlässigkeit: handelnde Figuren
verschwinden unvermittelt, die Grenzen zwischen Vision und Realität verschwimmen
ständig. Selbst die der Off-Erzähler löst sich vom Protagonisten
ab. Noé bedient sich dabei eines extremen Breitwandformates. Dieser radikal
eingeschränkte Bildkader erzeugt eine befremdliche, isolationistisch fragmentierte
Bildwelt.
MENSCHENFEIND
ist ein unangenehmer, gnadenloser Film, ein Angriff auf die Sinne und die Ethik
des Zuschauers - heute ein seltenes Erlebnis... Die bei Legend Films erschienene
DVD konserviert den Film angemessen für die Nachwelt: mit Originalton,
gelungener Synchronisation und Originaltrailer. Leider fehlt der Kurzfilm CARNE,
der wohl für die Werkedition von Noé bei Legend in Planung ist.
Marcus
Stiglegger
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Menschenfeind
Anbieter:
Legend Films
Originaltitel:
Seul contre tous
Frankreich
1998
Regie
und Buch: Gaspar Noé
Länge:
89 Minuten
FSK.
Keine Jugendfreigabe gemäß § 14 JuSchG
Bild:
16:9 anamorph, 2.35:1
Ton:
Deutsch Dolby Digital 5.1, Französisch Dolby Digital 2.0, dt. Untertitel
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