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Der
menschliche Makel
Der
Sommer unseres Missvergnügens
Vom
politischen Furor zur persönlichen Resignation: Robert Benton hat Philip
Roths Roman "Der menschliche Makel" verfilmt. Anthony Hopkins spielt
einen Professor, der an der eigenen Lebenslüge und der Bigotterie der anderen
zugrunde geht. Ob eine proletarisch verkleidete Nicole Kidman ihm hilft?
"Die
Ära der Scheinheiligkeit" nennt der Erzähler von "Der menschliche
Makel" die kurze Zeit, die zwischen dem Fall der Mauer und dem 11. September
2001 liegt. Zwei Kriege - der Kalte Krieg und der Krieg gegen den Terror, beide
enorme Zurschaustellungen des staatlichen Gewaltpotenzials - umrahmen eine knappe
Dekade, in der die Annehmlichkeiten des Privaten als Temperaturmesser für
das politische Klima herhielten. Robert Bentons Verfilmung von Philip Roths
Roman setzt im Sommer 1998 ein, zu einem Zeitpunkt mithin, als Bill Clinton
vor dem Impeachment-Ausschuss in der Affäre Monica Lewinsky aussagen musste.
Politik vollzog sich damals auf kleinstem gemeinsamem gesellschaftlichem Nenner:
Eine ganze Nation diskutierte leidenschaftlich die Definition von "Geschlechtsverkehr",
Kenneth Starr war auf allen Kanälen, ein Spermafleck auf einem Praktikantinnenkleid:
the
human stain.
So
lautet der Originaltitel von Bentons Film und der Romanvorlage Roths, einer
furiosen Abrechnung mit dem Amerika Bill Clintons. Beide, der Roman mehr noch
als der Film, handeln von Flecken, die nicht mehr auszuwaschen sind - weil sie
praktisch schon immer da waren. Im feinen Gewebe der Menschheitsgeschichte sitzen
sie so tief, dass jeder Versuch der Reinigung ein "barbarischer Witz"
wäre. Grausamkeit, Missbrauch, Versagen, Exkremente. Der Spermafleck auf
Monica Lewinskys Kleid zeugte nicht von Clintons, sondern von Amerikas großer
Schande. "Das Phantasma von Reinheit ist abstoßend", schreibt
Roth.
Der
politisch-korrekte Diskurs wird in "Der menschliche Makel" zum schlimmsten
Auswuchs eines kollektiven Selbstreinigungsreflexes erklärt; er ist das
Instrument einer grandiosen Selbsttäuschung. Nach drei Legislaturperioden
sozialer Verwüstung errichtete sich Clintons liberales Amerika auf einem
Haufen Lügen, Heucheleien und der Illusion von sozialer und ökonomischer
Prosperität, gekleidet in den nebulösen Jargon der political
correctness.
Doch der gesellschaftliche Frieden ist zu billig erkauft worden.
Coleman
Silk, gespielt von einem ruhelosen Anthony Hopkins, kämpft in "Der
menschliche Makel" an allen Fronten gegen einen gesellschaftlichen Status
quo, der ihn regelrecht zu überrollen droht. Ein einziges Wort hat ihn
im Alter von 71 Jahren aus seiner Lebensbahn geworfen. Seinen Lehrstuhl an einer
angesehenen Ostküsten-Universität verlor er, weil er zwei abwesende
Studenten als "spooks", als Gespenster, bezeichnete. Im Lexikon, erfuhr
er später, firmiere "spooks" jedoch auch als veraltete, rassistische
Bezeichnung für Schwarze, und da es sich bei den Studenten um Afroamerikaner
handelte, wurde Silk Opfer des politisch-korrekten backlashs.
Das
ist der Auftakt für den großen Sommer der Scheinheiligkeit. Silk
beginnt eine Affäre mit der 34 Jahre alten Putzfrau Faunia Farley (Nicole
Kidman), und es dauert nicht lange, bis er eine anonyme Nachricht erhält:
"Jeder weiß, dass Sie eine missbrauchte, des Lesens und Schreibens
nicht mächtige Frau, halb so alt wie Sie selbst, sexuell ausbeuten."
Die gesellschaftlichen Überwachungsinstanzen funktionieren in "Der
menschliche Makel" noch genauso gut wie in den Filmen Douglas Sirks. Und
wie bei Sirk sind die Menschen angesichts dieses Drucks nicht in der Lage, ihre
privaten Begehren mit ihren bescheidenen Lebensträumen in Einklang zu bringen.
Am Ende seines Lebens jedenfalls muss Coleman sich eingestehen, dass er selbst
sein Leben auf der schlimmsten aller Lügen aufgebaut hat.
"Imitation
of Life" heißt ein Film Sirks, der das Sujet von "Der menschliche
Makel" um einige Jahrzehnte vorweggenommen hat. Coleman lebt mit einem
Geheimnis, das er nie einem Menschen anvertraut hat: Er ist als Afroamerikaner
geboren worden, wegen seiner hellen Haut aber sein ganzes Leben lang als Weißer
durchgegangen. Als junger Mann hat Coleman begonnen, sich als Jude auszugeben.
Den Kontakt zu seiner Familie und seiner eigenen Geschichte hat er zugunsten
einer Karriere in einer Ivy-League-Gesellschaft gekappt. "Du denkst wie
ein Gefangener, Coleman", sagt seine Mutter zum Abschied, "du bist
weiß wie Schnee und denkst wie ein Sklave." Colemans Schande ist
auch die Schande Amerikas. Coleman Silk ist eine clintoneske Figur, zugleich
Opfer und Symptom eines gescheiterten Gesellschaftsprojekts.
Zwar
hat der politische Furor Roths in Nicholas Meyers Drehbuch einer persönlichen
Resignation Platz gemacht. Doch auch in der Verfilmung wird die Verachtung für
das gesellschaftliche Establishment eloquent und scharf vorgetragen, fast wie
in einem bösen Rap. Und früher oder später muss es im Film natürlich
die Justiz, die in den 90er-Jahren der lange Arm der political
correctness
war, treffen. "Du bist ein Meister außerordentlicher Schwatzhaftigkeit",
attackiert Coleman seinen Anwalt (und dies hätte ebenso gut Bill Clintons
Replik auf ein Plädoyer Kenneth Starrs sein können), "ein Meister
endloser, prunkvoll-überfrachteter Sentenzen. Und so reich an Verachtung
für das letzte menschliche Problem, dem du dich selbst nie hast stellen
müssen. Niemals wieder will ich deine selbstgerechte Stimme oder dein widerwärtiges,
lilienweißes Gesicht sehen."
Solch
Tiraden brechen in "Der menschliche Makel" leider zu selten aus den
Figuren hervor. Oft ist der Ton von Bentons Romanverfilmung gedämpft. Wo
es Roths wortgewaltigem Rundumschlag an politischer Analyse fehlt, findet Bentons
Gesellschaftskritik nur im ambivalenten Abhängigkeitsverhältnis von
Coleman und Faunia Beweiskraft. Faunias Exmann Les (Ed Harris), ein psychopathischer
Vietnamveteran, ist in Roths Roman noch so etwas wie das missing
link
zwischen den staatlichen und den privaten Sanktionen. Im Film dient er allein
als Katalysator für Colemans Selbstzerstörungstrieb.
Ausbeuterisch
ist dessen gesellschaftlich geächtete Affäre mit Faunia jedoch nicht
in sexueller Hinsicht. Für Coleman bleibt sie vielmehr die letzte Hoffnung
auf eine späte Wiedergutmachung für seinen Verrat, für seine
Kapitulation vor den gesellschaftlichen Verhältnissen. Doch eine Wiedergutmachung
ist unmöglich geworden. Der kleine Rest menschlichen Trosts, den Benton
seinen Figuren zugedacht hat, versinkt am Ende unter der Eisdecke eines entlegenen
Sees.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Der
menschliche Makel
USA
2003 - Originaltitel: The Human Stain - Regie: Robert Benton - Darsteller: Anthony
Hopkins, Nicole Kidman, Ed Harris, Gary Sinise, Wentworth Miller, Anna Deavere
Smith, Harry Lennix, Jacinda Barrett, Kerry Washington - FSK: ab 12 - Länge:
112 min. - Start: 18.12.2003
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