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Die Presseschau zum Film, auf der DVD enthalten,
ist ein Spiegel der Ratlosigkeit, die der Film beim Publikum hinterlässt.
Die Inhaltsangaben verschiedener Zeitungen differieren erheblich voneinander,
außer wenn der eine vom anderen abgeschrieben hat.
Christoph Schlingensiefs zweiter Langfilm ist kein
Film, der einer narrativen Struktur folgt – vielmehr scheinen Versatzstücke
verschiedener Erzählungen ineinander vermischt, der Zuschauer, so er sich
auf den Film einlassen will, wird erleben, wie sich nach und nach eine Geschichte
in seinem Kopf zusammensetzt, die sich vermutlich von den Geschichten in den
Köpfen anderer Zuschauer immer unterscheiden wird.
Mehrere Realitätsebenen scheint es zu geben,
da ist Joe (Helge Schneider) und seine Eltern, er wird später in eine Art
Anstalt überwiesen, wo ein Arzt kotzt und ein anderer in Nazi-Uniform herumrennt;
da ist eine Wiese, auf der ein improvisiertes Picknick stattfindet, eine Wiese,
auf der Joe und ein als Frau gekleideter bärtiger Mann namens Evi (Volker
Bertzky, der aktuell unter dem Namen Sergej Gleithmann als Grotesktänzer
auf Schneiders Tournee auftritt) von weißgekleideten Zombies verfolgt
werden; ab und zu in einer Art Theaterloge Schneider als Hitler verkleidet,
immer wieder ein bunkerartiger Kellergang, immer wieder Kriegsgeräusche;
Kannibalismus, unartikulierte Stimmen, eine Tasche, die im Wald vergraben wird,
nach der gesucht wird, Essen auf möglichst ekelhafte Art; die körnigen,
kontrastreichen Schwarzweißbilder sind unterlegt von Schneiders coolem
Jazz.
Eine merkwürdige Erfahrung beim Zuschauen: Die
Befremdung, die der Film beim Zuschauer erzeugt, löst sich irgendwann auf
zu einem Versuch des Verstandes, die Bilder, die Motive zu ordnen und verständlich
werden zu lassen; was natürlich nicht restlos gelingt, was jedoch den Vorgang
der Organisation einer Geschichte im Kopf des Zuschauers bewusst macht. Vielleicht
ist der Film eingeteilt in ein Reich der Lebenden und ein Reich der Toten mit
durchlässiger Zwischenwand; vielleicht ist der Film eine Art Traum von
jemandem, dessen Traum-Ich von Helge Schneider gespielt wird; vielleicht ist
er die Bebilderung einer Psychose des kollektiven Unterbewusstseins, um die
Bewältigung der Schuld der Eltern, um Ödipus on
the rocks, um orale Lüste. Immer
wieder spielt Schlingensief mit den Bildern des Genrefilms: Horror, Film Noir,
Melodram werden ins Eklige gezerrt; vielleicht also ist alles als eine Art Travestie-Phantasmagorie
der filmischen Form zu sehen. Vielleicht will „Menu Total“ mit seiner Vielzahl
von Metaphern, die ins Leere führen, die Gattung des vielschichtigen, symbolüberfrachteten
Kunstfilms ad absurdum führen.
Vielleicht aber, und darauf besteht Schlingensief,
ist alles einfach nur eine absurde Komödie, über die man sich totlachen
sollte, wenn man sich als Zuschauer erst mal die richtige Einstellung zum Film
angeeignet hat. Nicht jeder hat das verstanden: Bei der legendären Aufführung
im Forum der Berlinale 1986 verließen in den ersten zehn Minuten zahlreiche
Besucher den Kinosaal, allen voran Wim Wenders. Später freilich kam Udo
Kier, der sich köstlich amüsiert hatte, auf Schlingensief zu: Der
Grundstein für eine fruchtbare Zusammenarbeit.
Harald Mühlbeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
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Total
Deutschland
1986.
Regie,
Buch, Kamera: Christoph Schlingensief.
Produktion:
Stefan Sowa, Wolfgang Schulte.
Darsteller: Helge Schneider (Joe), Alfred Edel, Dietrich Kuhlbrodt, Volker Bertzky, Anna Fechter.
Länge:
78 Minuten.
DVD:
Extras:
Interview, Presseschau
Format:
4:3
Dolby
Digital 2.0
Englische
Untertitel nicht ausblendbar
Anbieter: Filmgalerie 451 www.filmgalerie451.de
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