zur
startseite
zum
archiv
Mephisto
Ein
Egomane und die Macht
„Alle
Damen und die meisten Herren
fanden,
dass Hendrik Höfgen nicht
nur
ein bedeutender und höchst geschickter,
sondern
auch ein bemerkenswert schöner
Mann
sei. Seine zusammengenommene,
vor
bewusster und berechneter Anmut
fast
steife Haltung und sein kostbarer
Frack
ließen es übersehen, dass er
entschieden
zu fett war, vor allem in
der
Hüftengegend und am Hinterteil.“ (1)
„Die
Allgemeinheit ist nicht daran
interessiert,
ein falsches Bild über
die
Theaterverhältnisse nach 1933
aus
der Sicht eines Emigranten zu
erhalten.“
(2)
Bis
zum Bundesverfassungsgericht gingen Gustav Gründgens Erben, um die Veröffentlichung
von Klaus Manns Roman „Mephisto. Roman einer Karriere“ (1936) zu untersagen
– und erzielten dort 1971 den gewünschten Erfolg. Erst 1981/82 erschien
der Roman bei Rowohlt wieder in der Bundesrepublik Deutschland, der zwar äußere
Daten der Lebensgeschichte Gründgens aufnahm, aber dennoch eher – wie Klaus
Mann selbst sich ausdrückte – einen bestimmten Typus von egozentrischem,
im Film egomanischen Mitläufer vorstellte, der die Machtübernahme
der Nationalsozialisten erst möglich gemacht habe. (3)
Er
scheint sympathisch, aufgeschlossen, voller Tatendrang, dieser Mann, der im
Hamburg der 20er Jahre am Theater von einer großen Karriere träumt.
Er hat zu kämpfen, mit seiner eigenen Vergangenheit, weil er beispielsweise
einmal als Junge in einem Knabenchor zu hoch gesungen hatte und daraufhin vom
Lehrer gemaßregelt wurde, er solle doch still sein. Die Scham sei ihm
in den Kopf gestiegen. Diese Ambivalenz kennzeichnet sein Leben. Hendrik Höfgen
(Klaus Maria Brandauer) hält sich für den (von anderen noch unerkannten)
größten zeitgenössischen Schauspieler, aber in seinem menschlichen
Größenwahn schwingt doch auch immer der Zweifel mit, die Angst, es
könne vielleicht nicht so sein, die Sehnsucht nach Bestätigung durch
andere, die Hoffnung, dass ihm die Massen zujubeln und er seine Ängste
vergessen könnte.
Hendrik
Höfgen tut alles, um diese Bestätigung zu bekommen. Zusammen mit seinem
Freund Otto Ulrichs (Péter Andorai), einem Kommunisten, will er das Theater
umkrempeln, zu einer Bühne für die Interessen der Arbeiter werden
lassen – und sich zum Star dieser Bühne. Nur seine Geliebte, die Tochter
eines Hamburger Ingenieurs und einer Schwarzen, Juliette Martens (Karin Boyd),
hat Hendrik in seinem Innersten wirklich erkannt. Sie nennt ihn bei seinem richtigen
Vornamen, Heinz, was ihn wütend macht. Sie gibt ihm Ballettunterricht,
und wenn Brandauers Höfgen vor dem Spiegel tanzt, dann strömt dies
Lächerlichkeit, Abscheu und Schrecken zugleich aus. Da ist einer, der sich
selbst zum Hampelmann machen würde, wenn „er es nur schafft“.
„Einen
aus der Million von kleinsten
Mitschuldigen,
die nicht die großen
Verbrechen
begehen, aber vom Brot
der
Mörder essen, nicht Schuldige sind,
aber
schuldig werden; nicht töten, aber
zum
Totschlag schweigen, über ihre
Verdienste
hinaus verdienen wollen
und
die Füße der Mächtigen lecken,
auch
wenn diese Füße im Blute der
Unschuldigen
waten. Diese Millionen
von
Mitschuldigen haben 'Blut' geleckt.
Darum
bilden sie die Stütze der Machthaber.“
(Hermann
Kesten)
Noch
schimpft Höfgen auf den „österreichischen Kabarettisten“ Hitler, noch
macht er seiner Frau Barbara (Krystyna Janda), einer aus großbürgerlichem
Elternhaus stammenden Frau, Vorwürfe, weil sie mit dem der NSDAP angehörenden
Schauspieler Hans Miklas (György Cserhalmi) einen Abend verbracht hat,
weil sie Mitleid mit Miklas hat, noch stellt er den Hamburger Intendanten Kroge
(Tamás Major) vor die Wahl: Miklas geht oder er geht. Noch scheint Hendrik
Höfgen einer, der dem Kommenden zu widerstehen scheint.
Doch
schon bei einem Auftritt der Primadonna Dora Martin (Ildikó Kishonti)
wird sichtbar, was Hendrik wirklich bewegt: Während die Diva mit Applaus
überhäuft wird, sitzt Höfgen in seiner Garderobe und hält
sich die Ohren zu, weil er es nicht ertragen kann.
Höfgen
lässt sich protegieren, erst von genau jener Dora Martin, vor der er sich
nach der Vorstellung verneigt, ihr Komplimente macht und damit erreicht, dass
sie sich für ihn in Berlin stark macht. Es folgt eine beispiellose Karriere
in der Kulturhauptstadt Deutschlands – und Höfgen bleibt auch in Deutschland,
als 1933 Hitler die Macht übernimmt. Höfgen lässt sich weiter
protegieren, u.a. von der Schauspielerin Lotte Lindenthal (Christine Harbort),
der Freundin des nationalsozialistischen preußischen Ministerpräsidenten
(Rolf Hoppe), die ihm eine Wunschrolle als Mephisto verschafft.
„Man
hätte Hendrik Höfgen für einen
Mann
von etwa fünfzig Jahren gehalten;
er
war aber erst neununddreißig – ungeheuer
jung
für seinen hohen Posten.
Seine
fahle Miene mit der Hornbrille
zeigte
jene steinerne Ruhe, zu der sich
sehr
nervöse und sehr eitle Menschen
zwingen
können, wenn sie sich von
vielen
Leuten beobachtet wissen. Sein
kahler
Schädel hatte edle Form. Im
aufgeschwemmten,
grau-weißen Gesicht
fiel
der überanstrengte, empfindliche und
leidende
Zug auf, der von den hochgezogenen
blonden
Brauen zu den vertieften Schläfen lief;
außerdem
die markante Bildung des
starken
Kinns, das er auf stolze Art
hochgereckt
trug, so dass die vornehm
schöne
Linie zwischen Ohr und Kinn kühn
und
herrisch betont ward.“ (1)
István
Szabós Inszenierung, die sich relativ streng an Manns Roman anlehnt,
präsentiert uns einen Menschen, der eigentlich nur sich selbst kennt. Für
Klaus Maria Brandauer war die Rolle Höfgens eine Herausforderung, und es
gelang ihm meisterhaft, diesen Egomanen in all seinen Zügen zu zeigen.
Brandauer überzeugt in einer Rolle, in der er Höfgen in all seinen
Beziehungen – sei es zu Schauspielern, zu Intendanten, zu Kollegen, zu Frauen
oder dann später zu den Machthabern – als einen Menschen präsentiert,
für den nichts anderes zählt als die eigene Zurschaustellung, man
könnte auch sagen, die eigene Prostitution vor dem Publikum, nicht nur
im, sondern auch außerhalb der Theater. Die Ehe mit Barbara Bruckner,
die Beziehung zu Juliette Martins, die Verbeugung vor Dora Martin, mit der er
ebenfalls eine Liaison gehabt haben soll, die Bekanntschaft mit Lotte Lindenthal
– sind für ihn nur Mittel zum Zweck. Nur sein schlechtes Gewissen bringt
ihn dazu, den Ministerpräsidenten dazu zu bringen, Barbara nach Paris ausreisen
zu lassen. Im gleichen Atemzug unterwirft er sich der Forderung Görings,
der hier zweifellos gemeint ist, sich von Barbara, die gegen das Regime ist,
scheiden zu lassen.
Wenn
Brandauer den Mephisto spielt, kann man den Eindruck kaum los werden, dass er
auf der Bühne sich selbst spielt: Das Schmierige, Hinterhältige, auch
Boshafte in seiner Rolle wie in seinem eigenen Verhalten. „Freiheit? Wozu? Ich
brauche nur Erfolg!“ entgegnet er Juliette bei einem letzten, heimlichen Treffen
in Paris. Als er sich für seinen verhafteten Freund Otto Ulrichs bei Göring
einsetzt, schmeißt der ihn mit den Worten wütend hinaus: „Achten
Sie darauf, dass Sie nicht wie ein Käfer zertreten werden.“ Hier deutet
sich an, wohin Höfgen es gebracht hat.
„Auf
seinen breiten Lippen lag ein erfrorenes,
vieldeutiges,
zugleich höhnisches und um
Mitleid
werbendes Lächeln. Hinter den großen,
spiegelnden
Brillengläsern wurden seine
Augen
nur zuweilen sichtbar und wirksam:
dann
erkannte man nicht ohne Schrecken,
dass
sie, bei aller Weichheit, eiskalt, bei aller
Melancholie
sehr grausam waren. Diese
grün-grau
schillernden Augen ließen an
Edelsteine
denken, die kostbar sind, aber
Unglück
bringen; gleichzeitig an die gierigen
Augen
eines bösen und gefährlichen Fisches.“ (1)
Brandauer
spielt Höfgen, sicherlich im Sinne Klaus Manns, als einen Egomanen, der
nicht bemerkt, wie er später selbst zum Spielball, zum Instrument anderer
gemacht wird. „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler?“ denkt
Höfgen in der Schlussszene des Films. Höfgen kann nicht verstehen,
dass es aus seiner Situation, in die er sich selbst gebracht hat, kein Entrinnen
mehr gibt. Er begreift nicht, dass seine eigene Mentalität nicht mächtig
genug ist, um ganz ähnlichen, aber politischen und machtbesessenen Egomanen
zu widerstehen. Seine krankhafte Selbstsucht und Selbstbezogenheit machen ihn
zum unpolitischen Mitläufer, unpolitisch, weil Höfgens eigene innere
„Politik“ andere und anderes nicht mit bedacht hat.
In
dieser Hinsicht ist Szabós „Mephisto“ auch ein Musterbeispiel dafür,
wieso nicht nur prominente Mitläufer des Nationalsozialismus sich stets
für unpolitisch hielten (etwa Frau Leni Riefenstahl). Sie glauben dies
wirklich, weil sie eben nur an sich glauben und daran, auch sich ändernde
Verhältnisse für ihre eigene Selbstbezogenheit instrumentalisieren
zu können. Der Fall kommt danach. Der Schock über den eigenen Irrtum
führt schnurstracks in die Verleugnung. Die eigene verblendete Sicht muss
noch irgendwie aufrechterhalten werden, in dem sie noch mehr eingeschränkt
wird auf das eigene Ego. „Was wollen die von mir?“ Als ob „die“ irgendwelche
Fremden wären, die Höfgen nicht verstehen kann, als ob er nicht begreifen
könne, was sie denn nun wollen, als ob er nicht sehen könne, dass
sie schon erreicht haben, was sie wollen, als ob er nicht spüren wolle,
dass der Ministerpräsident ihm seine Macht, auch die über Höfgen,
demonstrieren will. Höfgen muss bei Strafe seines eigenen Zusammenbruchs
(ver-)leugnen, in seiner Welt bleiben und alles andere in einen inneren Käfig
weg sperren.
Vielleicht
ist es die überzeugende Präsentation und Aufdeckung dieses inneren
Gefängnisses eines Mitläufers durch Szabó und Brandauer, das
auch Gustav Gründgens in Kenntnis des Romans Klaus Manns schon nicht ertragen
konnte.
„Mephisto“
ist eine jener gelungenen „Literatur“-Filme, von denen man doch etwas öfter
verwöhnt werden möchte.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
(1)
aus: Klaus Mann, Mephisto
(2)
Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, März 1966, durch das die
weitere Verbreitung des Romans untersagt wurde.
(3)
Schon kurz vor seinem Freitod hatte Klaus Manns Verleger die Veröffentlichung
abgelehnt. Mann hatte daraufhin folgenden Brief an ihn geschrieben:
„Sehr
geehrter Herr Jacobi,
Ihr
Brief vom 5. Mai ist unbezahlbar! Einen Roman drucken – das heißt bei
euch jetzt also ‘eine Aktion starten’. Diese Aktion, so meinen Sie – dürfte
im Fall des ‘Mephisto’, keinesfalls einfach sein und muss ergo zunächst
unterbleiben. Warum? Weil Herr Gründgens ..., hier eine bereits bedeutende
Rolle spielt. Das heiße ich mir Logik! Und Zivilcourage! Und Vertragstreue!
– Ich weiß nicht, was mich mehr frappiert: die Niedrigkeit Ihrer Gesinnung
oder die Naivität, mit der Sie diese zugeben. Gründgens hat Erfolg:
warum sollten Sie da ein Buch herausbringen, das gegen ihn gerichtet scheinen
könnte? Nur nichts riskieren! Immer mit der Macht! Mit dem Strom schwimmen!
Man weiß ja, wohin es führt: zu eben jenen Konzentrationslagern,
von denen man nachher nichts gewusst haben will. ... Ich darf Sie um die Gefälligkeit
bitten, mir das Ihnen anvertraute Exemplar des ‘Mephisto’ (eine Seltenheit)
umgehend an obige Adresse schicken zu wollen. Bitte schreiben Sie mir nicht
mehr.
Hochachtungsvoll
Klaus Mann“
Mephisto
(Mephisto)
Deutschland,
Ungarn, Österreich 1981, 144 Minuten
Regie:
István Szabó
Drehbuch:
Péter Dobai, nach dem Roman von Klaus Mann
Musik:
Zdenkó Tamássy
Director
of Photography: Lajos Koltai
Schnitt:
Zsuzsa Csákány
Produktionsdesign:
János P. Nagy, József Romvári
Darsteller:
Klaus Maria Brandauer (Hendrik Höfgen), Krystyna Janda (Barbara Bruckner),
Ildikó Bánsági (Nicoletta von Niebuhr), Rolf Hoppe (Ministerpräsident);
György Cserhalmi (Hans Miklas), Péter Andorai (Otto Ulrichs), Karin
Boyd (Juliette Martens), Christine Harbort (Lotte Lindenthal), Tamás
Major (Oskar Kroge), Ildikó Kishonti (Dora Martin), Mária Bisztrai
(Motzné), Sándor Lukács (Rolf Bonetti)
Internet
Movie Database:
zur
startseite
zum
archiv