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Das
Messer im Wasser
Gelungene
(politische) Parabel
Eine
Landstraße in Polen. Ein Paar fährt, die meiste Zeit schweigend,
durch die karge Landschaft. Andrzej (Leon Niemczyk) ist ein herrschsüchtiger
Beifahrer. Sie, Krystyna (Jolanta Umecka), solle nicht so weit links fahren.
Krystyna hält an. Ohne ein Wort zu sagen, wechseln sie die Plätze
und Andrzej fährt weiter. Plötzlich steht ein junger Mann (Zygmunt
Malanowicz) auf der Straße und versucht, das Auto anzuhalten. Im letzten
Moment bremst Andrzej und schimpft mit dem jungen Mann. Trotzdem fordert er
ihn – unter zynischen Bemerkungen – auf, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen.
Nach
einigen Kurzfilmen war „Das Messer im Wasser“ Roman Polanskis erster längerer
Kinofilm, der den Regisseur auch über die Grenzen Polens hinaus bekannt
machte. „Nóz w wodzie“ ist eine Charakterstudie, eine Art Kammerspiel
über drei Personen, minimalistisch inszeniert, an wenigen Schauplätzen
(vor allem auf einem Segelboot) und begrenzt auf diese drei Personen. Vor allem
aber ist der Film eine harsche, beißende Kritik an der nachkriegspolnischen
Gesellschaft des realen Sozialismus.
Andrzej
und Krystyna sind unterwegs zu einer Segelpartie am Wochenende. Aus zunächst
unersichtlichen Gründen lädt Andrzej den jungen Mann – dessen Namen
wir nicht erfahren – zu der Fahrt auf dem Segelboot ein. Der junge, gut aussehende
Kerl ist ein Rumtreiber, ein Taugenichts, so sieht es jedenfalls Andrzej, ein
rebellischer, teilweise zorniger, aufbegehrender Typ, der sich von niemandem
etwas sagen lassen will. Andrzej hingegen weiß alles, kann alles und kommandiert
alles. Andrzej, wesentlich älter als seine junge Frau, ist der Herr im
Hause und auf dem Boot. Der junge Mann versteht nichts vom Segeln, aber er behauptet,
das sei doch Kinderkram, ein solches Boot zu lenken. Kein Kinderkram. Die Segel
rotieren über seinem Kopf, als er das Steuer von Andrzej in die Hand bekommt.
Krystyna
bleibt ruhig, greift nur ein, wenn Andrzej oder auch der Junge sich über
die Maßen in die Haare geraten. Der junge Kerl allerdings lernt – was
soll er auch machen? –, was auf dem Boot alles zu beachten ist. Als das Paar
ins Wasser springt, bleibt er allein zurück, weil er angeblich nicht schwimmen
kann. Da kommt Wind auf, und durch Andrzejs Hilfe hat er nun Macht über
das Boot. Er lenkt es Richtung der beiden Schwimmenden. Andrzej und Krystyna
kehren an Bord zurück.
Man
isst, trinkt, streitet, sonnt sich, schläft.
Am
nächsten Morgen jedoch eskaliert die Situation zwischen Andrzej und dem
jungen Kerl. Andrzej hat dessen Klappmesser und will es nicht hergeben. Er provoziert
den jungen Mann, bis das Messer ins Wasser fällt, dann er untertaucht und
plötzlich verschwunden ist. Ist er ertrunken?
Obwohl
das Boot als Synonym für eine ganze Gesellschaft steht, Andrzej den Prototyp
des machtbesessenen sozialistischen, aber nichtsdestotrotz oder gerade deshalb
spießigen Kleinbürgers verkörpert, Krystyna eine Frau darstellt,
die für ausgleichende Gerechtigkeit steht, jedoch letztlich keine Chance
hat, der Macht etwas entgegenzusetzen, und der junge Mann die wilde, rebellische,
lebensgierige (polnische) Jugend repräsentiert, wirkt die Dramaturgie in
„Nóz w wodzie“ nie im Sinne eines Lehrstücks aufgesetzt – und das
vor allem auch deshalb, weil diese kammerspielartige Parabel durchaus auch für
andere Gesellschaften gelten könnte. Polanski lehrt nicht, sondern lässt
die Konflikte aus dem Spiel der Personen, ihrer Mentalität heraus entstehen.
Andrzej
wird zwar nicht als völlige Negativgestalt präsentiert. Polanski gesteht
ihm zu, dass man von ihm lernen kann. Und der junge Mann lernt von ihm. Andererseits
überkommt Andrzej Eifersucht und Neid auf einen wesentlich jüngeren
Mann, der so ist, wie er selbst einmal war. Hinzu kommt, dass Krystyna den jungen
Mann mag, nicht nur weil sie sich erinnert, dass Andrzej auch einmal so war.
Letztlich bleibt dem jungen Mann nur ein Mittel, um von Andrzej los zu kommen:
Finesse und Flucht. Er versteckt sich hinter einer Boje, taucht, schwimmt zum
Boot, erobert Krystyna und rächt sich damit an Andrzej, der zwischenzeitlich
auf der Suche nach ihm an Land geschwommen ist.
Krystyna
sagt dem jungen Kerl, dass sie die Nase voll hat von der Arroganz der Macht
und dem Spießertum Andrzejs, aber auch, dass sie Angst hat, dass der junge
Mann einmal genauso werden könnte. Andrzej, der glaubt, der junge Mann
sei ertrunken, bekommt es mit der Angst, die er wiederum mit Arroganz und Machtdemonstration
zu überspielen versucht. Insbesondere die Schlussszene verdeutlicht, in
welchen Verstrickungen Polanski sein Heimatland zu dieser Zeit sah: Das Auto
des Paares steht an einer Wegkreuzung. Rechts geht es zur Polizei, links nach
Hause. Andrzej glaubt noch immer, der junge Mann sei ertrunken. Er hat ihn nicht
verstanden, und er sieht sich trotz seines eigenen Machtanspruchs als hilflosen,
jämmerlichen Kerl, der etwas erlebt hat, was nicht in seinem Weltbild vorkommen
darf. Er sieht sich vor der Entscheidung: Blamage und Offenbarung bei der Polizei
oder Verheimlichung, Vertuschung.
„Nóz
w wodzie“ erreicht teilweise – obwohl in ruhigem Tempo erzählt – eine klaustrophobische
Atmosphäre, besonders in den Schlussminuten. Polanski benennt – ohne darauf
direkt einzugehen – sämtliche Probleme, die er in der damaligen polnischen
Gesellschaft sah: eine sehenswerte Parabel, die von ihrer Bissigkeit und Treffsicherheit
kaum etwas verloren hat.
•
D V D •
Bildformat:
1.33:1, Vollbild 4:3
Ländercode
2
Extras:
Fotogalerie; Biografien
Untertitel:
Deutsch
Ton:
Deutsch, Dolby Digital 2.0 Mono
Polnisch,
Dolby Digital 2.0 Mono
Der
Fa. McOne ist es zu verdanken, dass Polanskis „Nóz w wodzie“ neben „Ekel“
jetzt endlich auch im deutschsprachigen Raum auf DVD erschienen ist. Das Konzept
von McOne – möglichst preiswerte Herausgabe solcher Klassiker – hat zur
Folge, dass die DVD nur mit spärlichen Extras versehen ist. Außer
einer Fotogalerie, Biografien und Trailern zu verschiedenen von McOne veröffentlichten
DVDs findet man (leider) kein Bonus-Material auf der Scheibe. Trotzdem ist es
dankenswert, dass McOne diese beiden Polanski-Filme und demnächst noch
eine Reihe anderer Klassiker endlich herausbringt.
Für
das Alter des Films ist das Bild durchaus akzeptabel, trotz weniger einzelner
Verunreinigungen, die dem Genuss des Streifens keinen Abbruch tun. Der Mono-Ton
ist ebenfalls akzeptabel, obwohl man manchmal bei der deutschen Fassung schon
genau hinhören muss. Ich habe den Film streckenweise in der polnischen
Originalfassung mit deutschen Untertiteln gesehen, wobei ich den Eindruck hatte,
dass die Untertitelung nicht ganz vollständig war.
Wertung Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat: Besonders wertvoll
Wertung DVD: 8,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Das
Messer im Wasser
(Nóz
w wodzie)
Polen
1962, 94 Minuten
Regie:
Roman Polanski
Drehbuch:
Jakub Goldberg, Roman Polanski, Jerzy Skolimowski
Musik:
Krzysztof Komeda
Director
of Photography: Jerzy Lipman
Schnitt:
Halina Prugar-Ketling
Produktionsdesign:
Boleslaw Kamykowski
Darsteller:
Leon Niemczyk (Andrzej), Jolanta Umecka (Krystyna), Zygmunt Malanowicz (junger
Mann)
Internet
Movie Database:
©
Ulrich Behrens 2004
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