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Wie
CNN vor
Ab 1984 verantwortete Michael
Mann, in seiner Position als ausführender Produzent, im wesentlichen Aussehen
und Inhalt der TV-Serie „Miami Vice“. Diese Produktion war ein visueller und
produktionstechnischer Meilenstein und modernisierte den Typus Fernsehserie
von Grund auf, man könnte geradezu von einem Paradigmenwechsel dieses
Genres sprechen. Denn: Mit „Miami Vice“ wurde eine Produktionsqualität
für das Medium Fernsehen erreicht, wie sie vorher lediglich in Hollywoodfilmen
zu sehen war. Es ist nicht abwegig, zu behaupten, dass “Miami Vice” ein Wegbereiter
für den Erfolg und das visuelle Konzept heutiger Serien wie “CSI” oder
“ER” war.
Und: Die Serie definierte wie
keine andere Ästehtik und Hybris eines seltsamen Jahrzehnts. „Miami Vice“
war Avantgarde und Mainstream in einem, war ein sensibles Echo der stilistischen
Tendenzen ihrer Entstehungsepoche als auch innovativer Neuerer und Trendsetter
dieser Ära. Erstmalig erschien der Look einer Fernsehserie glamourös
und modern und seiner Zeit voraus, und wichtiger als der narrative Inhalt. Michael
Mann verstärkte diesen Eindruck, indem er der Musik einen wesentlichen
Bedeutungsgehalt gab: Sie diente als emotionale Ebene, die oftmals Dialoge ersetzte,
gar vollkommen überflüssig machte. Die Musik und die Bilder bildeten
so ein Übergewicht zur Narration, welche zunehmend, von Staffel zu Staffel,
an Bedeutung einbüßte. Irgendwann war klar, dass die Handlung der
einzelnen Folgen keinerlei Gewicht mehr hatte, die Inszenierung der Protagonisten,
der Action, der Musik, der Gefahr, der Nacht war wichtiger als jegliche dramaturgische
Struktur. Letzlich blieb die Story ein Alibi, ein Vorwand für in sich “narrativ
inhaltlose” Action. „Miami Vice“, mit dieser Gewichtung von Form über Inhalt,
kann eindeutig als ein Teil der Postmoderne bezeichnet werden, wenn nicht, was
das Fernsehen angeht, sogar als einer ihrer Wegbereiter.
Zusätzlich sind in der Serie
für Michael Mann typische Erzählmuster auszumachen, welche sich variiieren,
wiederholen, permanent präsent sind, und in allen seinen Filmen ebenfalls
zu finden sind. Hauptthema der ganz spezifischen Welt Manns ist das Muster des
Protagonisten, welcher Part zweier sehr widersprüchlicher Welten ist. Manns
Helden befinden sich in einem permanenten Drahtseilakt zwischen diesen widerstreitenden
Welten.
Der Preis für diesen Konflikt zwischen
Schein und tatsächlicher Verortung ist Einsamkeit, sind Gewaltexzesse und
oftmals der Tod. Manns Helden sind Professionals, welche diesen Preis kennen
und akzeptieren. Sie orientieren sich an einem stringenten, selbst auferlegten,
ungeschriebenem Moralkodex, welcher ihnen als ethischer Kompass dient und ihnen
hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Manns Figuren scheinen aus Filmen
Howard Hawks` entsprungen zu sein, jedenfalls haben sie in Attitüde und
Format sehr viel mit den Charakteren dieses Hollywoodmeisters gemein. Zuhause
in zwei sich auschliessenden Welten: Die Undercoverpolizisten Crockett und Tubbs
agieren wie Drogendealer und sehen auch so aus. Sie sind ständig in Gefahr,
nicht nur entlarvt zu werden, sondern auch die Kontrolle über ihren Drahtseilakt
auf der Trennlinie zwischen diesen Welten zu verlieren. Zu dem von Mann einstmals
auf die kurze Formel gebrachte Duktus der Serie (“MTV-Cops”) kam also ein höchst
interessanter, existenzieller Konflikt hinzu, der “Miami Vice” vom belanglosen
und ästhetisch desaströsen Einerlei des Jahrzehnts deutlich abhob.
Mann hat nicht vergessen, was
den Erfolg der Serie ausmachte, nämlich einerseits die zeitgenössischen
Strömungen aus
Mode, Musik, Fotografie, Architektur, Design
aufzufangen, andererseits aber auch ein Stück weit Avantgarde zu sein –
dem Zeitgeist voraus. Dieses grundsätzliche Prinzip wendet er nun gleichermaßen
auf seine neueste Filmproduktion an, die heisst wie die Serie: „Miami Vice“.
Pinke Flamingos, cremefarbene
Art-Decobauten vor hellblauem Himmel, weiße Anzüge und elektronische
Musik gibt es im Miami des Jahres 2006 nicht mehr. Die narrative Grundkonstellation
mit Crocket (Colin Farrell) und Tubbs (Jamie Foxx) wurde beibehalten: Die beiden
arbeiten als verdeckte Ermittler, geben sich als Drogenhändler aus, und
versuchen ein kolumbianisches, global agierendes Kartell zu infiltrieren. Crocket
kommt eine Liebesgeschichte mit der Frau (Gong Li) des Drogenbarons dazwischen.
Nach wie vor ist die Story zweitrangig und irgendwie verworren und dient nur
als vordergründige Ausflucht, Schiessereien, exotische Handlungsorte und
Ausfahrten im Powerboot zum Mojitotrinken in Havanna zu bebildern. Die Musik
ist ebenfalls 2006 – harte Crossover-Gitarren und synthetische Beats und Samples
dominieren. Nie schien der elektronische Pop der 1980er ferner als auf diesem
sehr empfehlenswerten Soundtrack.
Interessant und ebenfalls hart
am Zeitgeist ist das visuelle Konzept des Films, welches sich konsequent dem
allgemeinen Trend zur Digitalisierung verschreibt. Mann entschied sich ganz
bewusst dafür, den Film komplett auf Videomaterial zu drehen. Dies verleiht
den insbesondere bei Nacht und in dunklen Innenräumen spielenden Szenen
ein ganz eigenes, in Hollywoodfilmen bisher kaum zu sehendes pixeliges Fluidum,
einen grünlichen Schimmer, ein grizzeliges, graues Dunkel: wie CNN vor
Bagdad, der Nachthimmel phosphoreszierend erleuchtet von den Markierungsbomben.
Konsequenterweise spielt der Film zu 80 Prozent bei Dunkelheit, wahrscheinlich
dies die einzige Reminiszenz an die alte Serie. Kameramann und Academy Award
Preisträger Dion Bebe hat aus der technisch-visuellen Limitierung des Videomaterials
einen Stil kreiert, der durchaus gefangen nimmt. So bleiben die grünlich
flimmernden Nachtsequenzen in Erinnerung, mit ihrem nachrichtenhaften, dokumentarischen
Duktus. Dazu trägt auch das Kamerakonzept bei: Ständig in Bewegung,
befreit von den physischen Einschränkungen durch Stativ und Schiene, immer
nah an den Protagonisten, immer auf Augenhöhe. Wenn die Videokamera nicht
mittels einem Flugzeug, Powerboot, Ferrari in atemberaubender Geschwindigkeit
einen Dialog der Protagonisten in Parallellauf festhält.
In der Schnitt- und Erzähltechnik
dieses Films findet die Globalisierung der Weltwirtschaft ihr Echo: Miami ist
nur noch Ausgangsort einer Handlung, die sich wenig Mühe gibt, ihre Unwichtigkeit
zu kaschieren – ganze Suberzählstränge werden schlichtweg weggelassen,
ohne dass man als Zuschauer etwas vermisst. “Miami Vice” im Jahr 2006 zeigt
den Drogenhandel als ein globales Geschäft, als konsequenten Turbokapitalismus
– es geht um Vertriebswege und den Zugang zu Märkten. Der Gangster als
Geschäftsmann handelt mit dem, was Marge bringt – Drogen, Waffen, egal.
Ähnlich konsequent wie diese Branche im Handeln schneidet Mann seinen Film:
In Zeiten, in denen die Kartelle schon lange vor allen anderen globalisiert
ihrem Profit nachgingen, ist es nur ein Filmschnitt zwischen Haiti, Urugay und
Kuba.
“Miami Vice” 2006 ist Autorenkino
State-of-the-Art, äußerst aufwändig in 107 Drehtagen mit einem
Budget von ca. 120 Millionen Dollar gedreht. Auch dieser Film ist Zeichen seiner
Zeit, lotet Entwicklungen aus, und reflektiert deren subliminales Echo: Vergangen
ist der Glamour und der Glitter der 80er, hinweggefegt vom schmutzig-pixeligen,
nachrichtenhaften Look unserer Zeit. Es ist offenbar, dass die tägliche
Bilderflut aus Fernsehen und Internet die Dominanz des Kinofilms über unsere
Sehgewohnheiten abgelöst hat. In gewissem Sinne untermauert “Miami Vice”
den Niedergang unserer Sehkultur und bereichert und kanalisiert unsere Sehgewohnheiten
andererseits – so aufregend könnten Fernsehnachrichten ausschauen.
Dirk C.
Loew
Zu diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Texte
USA
2006 - Regie: Michael Mann - Darsteller: Jamie Foxx, Colin Farrell, Gong Li,
Naomie Harris, Ciaran Hinds, Justin Theroux, Luis Tosar, John Ortiz, Ilan Krigsfeld,
Tom Towles - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 132 min. - Start:
24.8.2006
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