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Michael
Bay’s Texas Chainsaw Massacre
1974 entstand eines jener Werke, die von da an als Gründungsväter
einer neuen Generation von Horrorfilmen gelten sollten: Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre. Zusammen mit Filmen wie Night of the Living Dead stand es für eine Dramaturgie, die herkömmliche Horrorszenarien
gänzlich umzukehren versuchte: kein einheitlicher Spannungsbogen mehr wurde
gezeichnet, sondern eine Abfolge von Morden oder sonstigen Grausamkeiten, die
mit den Jahren immer mehr Schauwerte entwickelten. Schauwerte, das bedeutet,
zerstückelte Körper aller Art, blutige Makeup-Effekte und immer untotere
Zombies. In den Gründungsfilmen des Genres war jene Entwicklung erst angedeutet,
die meisten Brutalitäten wurden von gnädigem Schwarz verschluckt,
und mit aktuellen Mainstream-Gewaltorgien à la Kill Bill konnten sie ohnehin nicht einmal ansatzweise mithalten. Dies war
aber auch nie ihr Ziel, denn während Kill Bill eher eine Studie zum ästhetischen Wert von Gewalt ist, waren
die Ziele der ursprünglichen Splatterfilme viel eher im subversiven Unterwandern
von Genrekonvention und tradiertem Erzählkino zu suchen.
Trotz ihrer gemeinsamen Wurzeln stehen Texas Chainsaw Massacre und Night of the Living Dead auch für unterschiedliche Richtungen des Genres: Die Night of the Living Dead-Serie bewegte sich insbesondere in ihren Fortsetzungen immer mehr
auf eine filmische Form zu, die versuchte, Spannungsbögen gänzlich
zu eliminieren und zu einer glatten Abfolge von Gewalt zu gelangen. Die Gleichförmigkeit
der immer weiter eskalierenden Gewalt führte zu einem Gewöhnungseffekt,
der einem - wohl durchaus auch in selbstkritischer Absicht - die Tumbheit der
eigenen Wahrnehmung von Gewalt vor Augen führte. Es ging in den Zombiefilmen,
die dem Klassiker von George Romero folgten, vielfach um das Abschlachten seelenloser
Zombies, deren fehlendes Herz mit Massen an Gedärm kompensiert wurde. Die
Wahl des empfindungslosen Zombies als Gegner erlaubte es den Makeup-Spezialisten,
ihre Zombie-Opfer grausam zuzurichten, und so wurden, auch das ist in Night of the Living Dead bereits ein wichtiger Aspekt, die meist jugendlichen Helden von gejagten
Opfern immer mehr auch selbst zu Tätern. Man empfindet bei Romero vielfach
Mitleid mit den Zombies, die nichts weiter tun, als einem Instinkt folgend langsam
- und in gebührendem Abstand betrachtet - auch ungefährlich durch
die Gegend zu wanken. Das hirnlose Abschlachten jener Untoten wurde bei Romero
bis zum konsequenten Ende durchgezogen, in dem der - schwarze - Held von den
erhofften Rettern selbst niedergeschossen wird, da er für einen der Zombies
gehalten wird - oder weil es für die selbsternannten - weißen - Hilfssherrifs
so bequem ist, ihn für einen solchen zu halten.
Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre war anders: In keiner Szene wurde hier die Grenzlinie zwischen Opfer
und Täter verwischt: Es gab einen Campingbus voller jugendlicher Opfer,
die einer nach dem anderen von einer Familie kannibalistischer Mörder abgeschlachtet
wurde. Besonders hervor tat sich natürlich der Sohn der Familie: Leatherface,
benannt nach seiner dekorativen Gesichtsbedeckung, der mit seiner Kettensäge
seine Opfer zersägte und in kühltruhengerechte Teile zerlegte. Während
bei Romero die Zombies zum Tier wurden, das von den Protagonisten bedenkenlos
getötet werden durfte, so vollzog sich bei Hooper die Annäherung genau
umgekehrt: insbesondere gegen Ende des Filmes wird die mittlerweile einzige
Überlebende des Massakers grausam gefoltert und ihr jedwede Menschlichkeit
genommen. Die Protagonisten werden zum gejagten Tier, ein wesentlicher Punkt
jenes Films war wohl die völlige Reduzierung der Vernunftbegabtheit seiner
Helden: Es spielte keine Rolle mehr, was ein Mensch denkt oder fühlt, alle
wurden gleich im Angesicht des richtenden Leatherface. Die durch den Film provozierten
Ängste seien die Verarbeitung der durch den Vietnamkrieg ausgelösten
Traumata, heißt es oft über das Chainsaw Massacre, und Angst scheint tatsächlich das dominante Thema des Films
zu sein.
Beide Filme, Texas Chainsaw Massacre genauso wie Night of the Living Dead waren Arbeiten, die es schafften, filmgeschichtliche Wendepunkte für
ihr Genre zu werden. Die Annäherung zwischen Täter und Opfer - bei
beiden auf unterschiedlichem Wege, aber bei beiden auch konsequent durchgezogen,
ist ein Aspekt, dessen Radikalität auch heute noch auffällt. Michael
Bay, dessen Name nach filmischen Verbrechen wie Pearl Harbor nicht gerade positive Assoziationen weckt, versucht sich nun an einem
Remake des Stoffes. Er fungiert hierbei weniger als Regisseur, jene Ehre überläßt
er Marcus Nispel. Eher versucht er sich, getreu dem großen Vorbild von
Jerry Bruckheimer, für den er lange als Regisseur tätig war, in der
Produktion. Und wie Bruckheimer auch verlagert er seinen Namen gleich in großen
Lettern mit aufs Plakat.
Nispel erzählt seine Fassung des Horrorstoffes als relativ freies
Remake. Der Ort der Handlung bleibt gleich, der Bus voller Teenager, und natürlich
Leatherface und seine Teenager-dezimierende Kettensäge ebenso. Das filmische
Umfeld und die Machart des Filmes unterscheiden sich jedoch erheblich vom Vorbild:
zum einen wird der Familie von Leatherface eine größere Rolle eingeräumt
als im Original. Seinerzeit hatten Vater, Großvater und Bruder des Killers
eher die Aufgabe, eine zutieftst patriarchale Gesellschaft zu symbolisieren,
in der der Großvater, der bereits in der Verwesung zu stecken schien,
immer noch das Oberhaupt der Gemeinschaft bildete, und der jüngere Bruder
des Kettensägenmörders in seiner völligen geistigen Umnachtung
hauptsächlich ein weiteres Opfer der mörderischen Familie war. Bei
Michael Bay nun wird der kleine Bruder zum kindlichen Retter, zum guten Engel,
der sich gegen seine Familie auflehnt, und den Teenagern bei ihrer panischen
Flucht zu Hilfe kommt. Es tauchen entfernte Verwandte und Bekannte auf, die
in Wohnwagen hausen, auf die die flüchtende Heldin Erin (Jessica Biel)
wie zufällig zu treffen scheint. Die Fortpflanzug der Familie bringt dem
Remake auf narrativer Ebene lediglich einen Zuwachs an hinterhältigen Menschen,
an vermeintlichen Rettern, die sich später als Bedrohung entpuppen. Die
Aussage jedoch, die die Familienstruktur des Vorbildes zu tragen schien, das
Patriarchat, das noch in seinen letzten Zügen seine Gewalt ausübt,
geht gänzlich verloren.
Vor allem aber eines stört die Neuschaffung Nispels: in Hoopers
Original waren die Szenen, in denen der sägenschwingende Mörder hinter
der Heldin her war, tatsächliche Geisterbahnfahrten, die in ihrer filmischen
Umsetzung beinahe avantgardistisch wirkten: In völligem Dunkel blitzten
nur manchmal für Sekundenbruchteile Augen, Arme oder sonstige Körperteile
in Bewegung auf, die Flucht der Protagonistin wurde zu einer physisch im Filmmaterial
spürbaren Aktion, ihre Angst übertrug sich auf den Zuschauer, indem
der Film in Dunkel getaucht und abstrakte Striche zerschnitten wurde, als hätte
die Kettensäge, vor der die Heldin noch auf der Flucht war, zumindest den
Film bereits erwischt. Bei Marcus Nispel nun wird jedes Detail hell erleuchtet.
Nicht, dass dies ein neues Phänomen im Teenie-Slasherfilm wäre: auch
an der Freddy Krüger-Reihe beispielsweise lässt sich verfolgen, wie von einem Teil
zum anderen Freddys vernarbtes Gesicht immer heller und heller wurde, bis jede
kleine Verletzung in voller Schönheit die Leinwand füllte. Auch ist
es nicht so, dass dies per se ein Problem darstellt: die hell ausgeleuchteten
Splatter-Effekte in neueren Klassikern des Genres wie Braindead oder Bad Taste funktionieren auf ihre ganz eigene Weise, indem sie den Film über
ihren Attraktionscharakter strukturieren. Aber Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre leidet entweder an der Zaghaftigkeit seiner Macher oder an der deutschen
Zensur. Alles ist hell in diesem Film, und doch gibt es kaum einen Splattereffekt
zu sehen. Blutige Höhepunkte der Verfolgung hätten sie werden können,
aber außer einer spektakulären Kamerafahrt durch einen durchschossenen
Kopf gibt es nichts fürs Auge, das über die Langeweile hinweg täuschen
könnte, die sich einstellt, weil die Filmemacher nicht den Mut zu jener
Underground-Ästhetik hatten, die das Original so Furcht erregend werden
ließ.
Hier zeigt sich auch wieder das wohl älteste Dilemma des Horrorfilm-Freundes,
das bereits vor langer Zeit den Genuß von Tod Brownings Freaks zu zerstören drohte: man verlangt nach immer mehr Schnitten
an den Körpern im Film, der Körper des Films selbst aber muss möglichst
unverletzt bleiben, um den maximalen Genuss zu erlauben. Geradezu obsessiv sucht
mancher Fan nach jener Version, die um noch eine halbe Sekunde länger ist
als die letzte, die noch einen geplatzten Kopf mehr beinhaltet. Marcus Nispel
bietet nichts von alledem, sein Massaker erstickt an der Last, die es sich selbst
mit dem übermächtigen Vorbild auferlegt hat und an der Mutlosigkeit,
die wohl auch damit zusammenhängt, dass der Film offensichtlich auf eine
junge, zahlungskräftige Käuferschicht schielt, deren größter
gemeinsamer Nenner gefunden werden musste.
Wer darunter leidet, dass The Texas Chainsaw Massacre in seiner ungeschnittenen Fassung (die zwar nicht viel mehr Blut,
wohl aber mehr Angst verbreitet) in Deutschland immer noch beschlagnahmt - und
somit nur, welch Ironie, an Kunsthochschulen und Universitäten zugänglich
ist, der lasse die Finger von Nispels inspirationslosem Remake und begnüge
sich lieber mit anderen Alternativen: der Hommage an Hoopers Film beispielsweise,
die das grand finale von Peter Jacksons Bad Taste eindeutig ist, oder Christoph Schlingensiefs grandioses Das deutsche Kettensägenmassaker, das in seinem liebenswerten Trash hausgemachte Splattereffekte,
wunderbare Schauspieler und eine Geschichte von Wessi-Kannibalen und Ossi-Opfern
zu einem Film vermixt, der sogar das Original an Güte leicht zu übertreffen
vermag.
Benjamin Happel
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre
(Texas Chainsaw Massacre, USA 2003)
Regie: Marcus Nispel
Drehbuch: Scott Kosar nach Motiven des Originaldrehbuchs von Tobe
Hooper und Kim Henkel
Kamera: Daniel Pearl
Schnitt: Glenn Scantlebury
Musik: Steve Jablonsky, Mel Wesson
Darsteller: Jessica Biel, Jonathan Tucker, Erica Leerhsen,
Mike Vogel, Eric Balfour, Andrew Bryniarski,
Thomas Hewitt, R. Lee Ermey u.a.
Internet Moviedatabase
http://imdb.com/title/tt0324216/combined
Offizielle Website
http://www.texaschainsawmovie.com
Kinostart: 01. Januar 2004
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