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Midnight
Run –
5 Tage bis Mitternacht
Weil
das Leben nicht nur Orson Welles und Abbas Kiarostami sein kann: Eine Reise
ins finstere Herz von Hollywoods 80er Jahren, um aus diesem eine sympathische,
straffe Arbeit zu bergen. Midnight
Run
ist das beste buddy
movie
der Epoche: das ist noch kein Fixlistenplatz für den Kanon, aber allemal
ein Grund zur Freude.
Wenn
Midnight
Run
(1988) im Fernsehen gespielt wird (und anderswo sieht man sich solche Filme
kaum an), dann an Sonntagnachmittagen oder Weihnachtsabenden, wenn der Zuseher
entweder Besseres zu tun hat oder wehrlos in der Couch hängt: irgendwann
nach Disney-Familienkomödien mit Baseball spielenden Golden Retrievern,
die in Europa nie das Licht eines Projektors gesehen haben, und vor gut abgehangenen
Louis De Funes- und Bud Spencer-Schwänken (ein Salut an die beiden wackeren
Arbeiter des Fernsehghettos).
Mit
einem Film wie diesem bekommt man das amerikanische Mainstream-Kino der 80er
Jahre wohl eher zu fassen als mit seinen prononcierten popkulturellen Entwürfen
(Blade
Runner,
Blue
Velvet,
Something
Wild)
oder ausgereiften High-Concept-Konfigurationen (Flashdance,
Top
Gun):
Auf alle Fälle verläuft die Konfrontation versöhnlicher als bei
Letzteren und mit mehr Augenmaß für die tatsächliche Unterhaltungspraxis
der Zeit als im Falle Ersterer.
Midnight
Run
riecht nach 80er Jahren, und das beginnt beim aufgekratzten Soundtrack, der
so ungeniert über die credit
sequence
gepratzt wird, wie wir das aus den seichten Yuppie-Lustspielen unseres Vertrauens
kennen (etwa The
Secret of my Succe$s
oder Working
Girl).
Der bemüht sich pflichtschuldig um Coolness, mit jener abgestandenen E-Gitarren-
und Saxophon-Bluesigkeit samt Disco-Einsprengseln, die man aus den 80er-Alben
älterer Singer/Songwriter jenseits der Selbstaufgabe kennt. (Serge Gainsbourgs
Love
On The Beat,
Randy Newmans Trouble
in Paradise
oder beinah das gesamte Schaffen Bob Dylans in dieser Periode, nur zum Beispiel.)
Verantwortlich dafür zeichnet ausgerechnet Danny Elfman, der in Folge seiner
Kollaborationen mit Tim Burton eher als gewitzter, zitatfester Schauerromantiker
bekannt werden sollte.
Aus
gegenwärtiger Perspektive sticht am Kino, an dem Midnight
Run teilhat,
vor allem sein Status des "Dazwischen" ins Auge: Was es noch nicht
und was es nicht mehr ist. Hauptdarsteller Robert De Niro, zum Beispiel, ist
nicht mehr der frische, variantenreiche De Niro der 70er, der in einem Film
ein psychotischer heiliger Narr (Mean
Streets),
im nächsten introvertiert aggressiv (The
Godfather, Part II)
und bald darauf ein smoother reicher Bengel (1900)
sein konnte, aber auch noch nicht ganz der saturiert raunende, selbstironische
Marken-De Niro, der heute zwei bis drei Mal im Jahr seine Routine neurotisch-aggressiver
Männlichkeit abzieht. Erstaunlich ausgelassen gibt er hier eine Performance,
die sich weder als mimischer Kraftakt geriert, noch ins Beliebige absinkt: De
Niro gibt Jack Walsh, einen vom korrupten System gedemütigten Ex-Polizisten
und nunmehrigen Kopfgeldjäger für ein zwielichtiges Kautionsbüro,
der den untergetauchten eigensinnigen wie harmlosen Mafia-Buchhalter Jonathan
Mardukas (Charles Grodin) innerhalb von fünf Tagen von New York ins Gefängnis
nach L.A. bringen muss.
Natürlich
müssen auf dem Weg durchs schöne Nordamerika allerhand psychologische
und handfeste Komplikationen aus demselben geräumt werden (wie sich das
für ein road
movie
gehört). Freilich stellen sich die Mafia (die der Buchhalter um Millionen
betrogen hat), das FBI (das Mardukas selbst verhaften will) und ein konkurrierender
Kopfgeldjäger (der den lukrativen Auftrag selbst ausführen will) dem
ungleichen Duo in schöner Regelmäßigkeit in den Weg (ein Krimi,
soso). Was nicht selten zu Missbrauch und Zerstörung diverser Verkehrsmittel
(vulgo Action) willkommenen Anlass gibt. Was wiederum das Aufbauen emotionaler
Bindung und das Angleichen konfligierender Männlichkeitsbilder zwischen
Kopfgeldjäger und Buchhalter beschleunigt, das sonst vor allem über
pubertäres gemeinsames Geblödel und Gekicher funktioniert. (Wir sagen
buddy
movie
dazu, wer dem Film eine Anmutung von "Niveau" geben will, darf es
"Charakterkomödie" nennen.) Wir sehen, der multigenerische Blockbuster
ist grundsätzlich schon recht gut entwickelt (es ist sogar eine Rühr-Szene
mit Frau und Kind in der Mitte eingebaut, um alle Nicht-Männer unter den
Zusehern vom Umschalten abzuhalten).
Doch
im Gegensatz zu vergleichbaren Bubenkino-Blaupausen der 80er Jahre wie Lethal
Weapon,
48
Hrs.,
die frühe Bruckheimer-Produktion Beverly
Hills Cop
(die Martin Brest vor Midnight
Run
inszeniert hat) oder Wise
Guys
(zu dem Midnight
Run-Drehbuchautor
George Gallo das Skript geschrieben hat), wird hier erstaunlich zurückgenommen
agiert. Wo in den anderen Filmen die um Eindrücklichkeit, Feeling und Schauwerte
bemühte Inszenierung entweder die Folge der Szenen ins Beliebige auflöst
(so kann Eddie Murphy, wenn er in Beverly Hills einfährt, um seinen soeben
ermordeten Freund zu rächen, schon wieder fröhlich mit der nächsten
vorbeifahrenden Schönheit schäkern) oder dem Film das verbreitete
Testosteron zu Kopf steigt (etwa im Selbstjustiz-Pathos der Lethal
Weapon-Finali),
ist die lakonische Verdichtung der Ereignisse, vor allem der gegenseitigen Bespitzelungs-
und Verfolgungszusammenhänge hier über weite Strecken eher dem klassischen
Hollywood verpflichtet. Die Konzeption von Männlichkeit entspricht auch
mehr dem Professionalismus bei Howard Hawks als dem frei flottierenden Chauvinismus
Bruckheimer/Simpson’scher Prägung. Das Heldentum, das in Midnight
Run
eingeübt wird, ist keines der Kausalität von Opfer und Rache, wie
bei den geschundenen Männerkörpern Mel Gibson oder Bruce Willis, sondern
eines der Balance zwischen hehrer Ethik und der Pragmatik persönlicher
Interessen wie bei den sozialisierbaren Einzelgängern Humphrey Bogart oder
John Wayne.
Bezeichnend
für die Selbstbeherrschung, die Midnight
Run
seinen Helden abverlangt, ist ein Augenblick im hektisch, aber unspektakulär
abgewickelten Finale des Films: Jack Shaw verhandelt mit dem Mafia-Boss in einer
Casino-Halle gehetzt einen Deal aus. (Dass beide Hinterabsichten und eine Verstärkung
im Rücken haben, versteht sich von selbst.) Der Mafioso erinnert ihn an
vergangene Kränkungen, um ihn aus der Fassung zu bringen, und es kommt
der Moment, wo Shaw ihm eigentlich von Rechts wegen eine reinhauen dürfte/müsste/sollte.
Allein: Der Moment verstreicht. Weil Shaw einfach Besseres zu tun hat.
Und,
um gleich bei dieser Szene zu bleiben: Allein am straighten Spiel Dennis Farinas
als Mafia-Boss im Unterschied zu seinen hyperaktiven Gangster-Karikaturen in
Get
Shorty oder
Snatch
lässt
sich der Graben erahnen, der diesen Film und seine Darstellung krimineller Männlichkeit
noch von der flachen, ironischen Designer-Lässigkeit bei Luc Besson, Guy
Ritchie und dem Gros der Tarantiniden trennt.
Überhaupt:
Die Schauspieler. Nicht nur, dass sich hier eine ganze Menge beiläufig
bekannter Gesichter in der zweiten Reihe tummeln und dort aufs Fachmännischste
chargieren - Yaphet Kotto (Alien,
Blue
Collar),
Joe Pantoliano (The
Matrix,
Memento),
Philip Baker Hall (Magnolia,
Dogville)
oder Mafioso-Facharbeiter Richard Foronjy (Carlito’s
Way,
Once
Upon a Time in America).
Die größte Überraschung ist Charles Grodin, der hier als Buchhalter
Jonathan Mardukas eine zurückhaltende, konzentrierte, De Niro ebenbürtige
Vorstellung gibt. Mit Schrecken lässt sich ausmalen, was Robin Williams,
der die Rolle angeblich ebenfalls gerne wollte, aus demselben Material gemacht
hätte. Grodins Mardukas mag ein biederes Weißbrot sein, aber das
Neurotische oder Tollpatschige an ihm wird eher unterspielt als ausgebeutet.
Stattdessen ist er vor allem mit einer unorthodoxen Mischung von Naivität
und Abgebrühtheit gesegnet.
Das
ist wohl auch dem (nicht besonders eleganten, aber eben: effizienten) Skript
zu verdanken, und nicht nur das: Fast alle Charaktere verhalten sich hier angenehmer
Weise immer eine Spur intelligenter und sehr vieles passiert eine Spur schneller,
als man dem Film zutrauen würde. Aus dem repetitiven Karussell der Überwachungs-,
Verhaftungs-, Entführungs- und Mordversuche gewinnt Midnight
Run
lange Zeit neue, wenn schon nicht einfalls-, so doch zumindest temporeiche Variationen.
Dass das nicht für die überlangen zwei Stunden Spielzeit reicht, um
vollends glücklich zu sein, ist klar. Aber wer die kleinen Freuden des
Genre-Kinos zu schätzen weiß, der wird sich schon freuen, wenn eine
Begegnung Jack Shaws mit seiner ihm entfremdeten Tochter vor allem in ratlosem
Schweigen zugebracht wird. Nicht auszuschließen, dass einfach niemandem
etwas Besseres eingefallen ist. Aber der Punkt ist: Das allein ist
eben schon besser als neunzig Prozent aller üblichen Dialoge in dieser
Situation.
Gerade
auf der Ebene des Beiläufigen findet hier ein ganzer Nebenfilm statt: einer
der schönsten, die je über Nikotinkonsum gemacht wurden. Der blaue
Dunst, der im beständigen motivischen Kreisen ums Rauchen-Müssen und
Nicht-Passivrauchen-Wollen, ums Zigarettenschnorren und Nicht-zum-Anzünden-Kommen
abgesondert wird, kittet nicht zuletzt die verschiedenen Personengruppen (Jack
und Mardukas, Jacks Auftraggeber, Mafia, FBI, konkurrierender Kopfgeldjäger)
zu einem gemeinsamen (diffus maskulinen) Milieu zusammen.
Aber
auch wenn der FBI-Agent nicht gerade zum wiederholten Mal dem verhörten
Kopfgeldjäger seine Zigarettenschachtel abluchst: Die beständig überforderten
Kontrollbeamten, die kriminellen Großunternehmer und die wendigen freelancer,
von denen Midnight
Run
erzählt, befinden sich in ständiger Vernetzung und in permanentem
gegenseitigen Austausch. Die Flexibilität, mit der hier Identitäten
übernommen oder erfunden, Allianzen gebildet und gelöst und Überwachung
ausgeübt und überlistet wird, verweist schon von Ferne auf die High-Tech-
und Maskerade-Thriller der 90er Jahre (Sneakers,
Mission:
Impossible,
The
Saint,
The
Jackal)
und ihre (sehr unterschiedlichen) aktuellen Steigerungen ins Absurde in Produktionen
wie 24
oder demonlover.
Nur dass es hier um einen Pass zu fälschen noch reicht, einfach das Foto
im gestohlenen Ausweis zu überkleben. Ein derart hemdsärmeliges Heimwerkerethos
ließe von den Tarnern und Täuschern der 90er Jahre wohl einzig Clint
Eastwood in Absolute
Power
durchgehen. Aber der ist ja ebenfalls eher einem Kino des erzählerischen
Handwerks verpflichtet als einem des Spektakels.
Dieser
Text ist auch erschienen in:
Midnight
Run - Fünf Tage bis Mitternacht
MIDNIGHT
RUN
USA
- 1988 - 126 min.
Komödie, Kriminalfilm
FSK:
ab 12; feiertagsfrei
Prädikat:
wertvoll
Verleih:
UIP, CIC (Video)
Erstaufführung:
6.10.1988/April 1989 Video
Fd-Nummer:
27088
Produktionsfirma:
Universal
Produktion:
Martin Brest
Regie:
Martin Brest
Buch:
George Gallo
Kamera:
Donald E. Thorin
Musik:
Danny Elfman
Schnitt:
Billy Weber,Chris Lebenzon, Michael Tronick
Darsteller:
Robert
De Niro (Jack Walsh)
Charles
Grodin (Jonathan Mardukas)
Yaphet
Kotto (Alonzo Mosely)
John
Ashton (Marvin Dorfler)
Dennis
Farina (Jimmy Serrano)
Joe
Pantoliano (Eddie Moscone)
Richard
Foronjy (Tony Darvo)
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