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Million
Dollar Baby
Hoffnung
wohnt hier nicht mehr
Mit
der Schwere eines Requiems: "Million Dollar Baby", der neue, mit Oscars
ausgezeichnete Film von Clint Eastwood, erzählt von einer Boxerin, die
es um jeden Preis schaffen will, und von einem Trainer, der seine besten Tage
bereits hinter sich hat
Frankie
Dunn ist einer der besten cut
men
der Branche. "Ich stoppe Blut", sagt er in R. X. Tooles Kurzgeschichtensammlung
"Rope Burns", "ich stoppe es zwischen den Runden für die
Boxer, damit sie weitermachen können. Blut ruiniert die Jungs, und mein
Job ist es, das Blut zu stoppen, damit sie genug sehen, um weiterzukämpfen.
Ich mache diese eine kleine Sache, ich bin jeden Cent wert, den ich bezahlt
bekomme. Wenn ich das Blut stoppe und den Kampf rette, liebt mich der Junge
mehr als seinen Vater." Dunn präpariert die Wunden seiner Boxer mit
einer Mischung aus Vaseline, blutstillenden Lösungen, Adrenalin und Q-Tips,
die er ihnen in die Nase rammt. Manche Platzwunden sind so tief, dass man das
rohe Fleisch durch die obszön klaffenden Öffnungen sehen kann. In
"Million Dollar Baby" zoomt die Kamera einmal in solch eine Wunde,
direkt hinein in den Schmerzensherd, bevor das Bild körnig und schließlich
schwarz wird.
Als
Boxfilm ist Clint Eastwoods 26. Regiearbeit
eine kleine Offenbarung. Die Kämpfe sind schnörkellos und direkt wie
die Sprache von Tooles Kurzgeschichten, auf denen "Million Dollar Baby"
beruht. Sie dauern oft nur wenige Minuten und enden mit einem K.o. Keine ausgefeilten
Boxchoreografien, sondern brutale Überlebenskämpfe: Raus in die Schlacht,
rein in den Infight, und dem Gegner keine Sekunde zum Nachdenken lassen! Wille
siegt über Technik. Eine konzentrierte Wut steckt hinter den Schlägen
von Maggie Fitzgerald (Hilary Swank). Dies sei ihre letzte Chance, hat Frankie
am Anfang zu ihr gesagt, eigentlich sei sie bereits zu alt fürs Boxen.
Aber von irgendwoher mobilisiert sie ungeheure Kräfte, macht jüngere
Gegnerinnen platt, steigt eine Gewichtsklasse auf, ist einfach nicht zu stoppen.
Um nichts in der Welt, hat sie Frankie entgegnet, will sie zurück in den
Trailerpark, zu ihrer übergewichtigen Mutter und der jüngeren Schwester,
die Sozialhilfe für ihr totes Baby kassiert. Maggie Fitzgerald tritt für
ihren Lebenstraum mit bloßen Fäusten ein. Sie ist ein amerikanischer
Albtraum.
Eastwood
selbst spielt die Rolle des cut
man
und Trainers Frankie Dunn. Dessen kleine Boxhalle in East Los Angeles hat, wie
er, schon bessere Zeiten erlebt. Ein Mausoleum des Boxsports, für das der
Set-Designer Henry Bumstead zu Recht mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Grünlich-braun
strahlt das modrige Kunstlicht von der Hallendecke und gibt den Blick frei auf
einen Trainingsparcours im fortgeschrittenen Stadium des Verfalls. Kein Ort,
an dem man sich für eine große Zukunft wappnet; der heruntergefallene
Putz hat das einst so stolze Wandbild der "Hit Pit Gym" schwer in
Mitleidenschaft gezogen und eine deprimierende Patina der Vergänglichkeit
hinterlassen. Bumstead beweist ein feines Gespür für die Atmosphäre
dieses Ortes, der aus einem dreckigen Noir-Boxfilm der Vierziger-, Fünfzigerjahre
stammen könnte, vielleicht Mark Robsons "Der Champion" oder "The
Set Up" von Robert Wise. Man ist ganz perplex, wenn man irgendwann die
Hit Pit Gym wieder verlässt und in einer heruntergekommenen Back Alley
im L. A. der Gegenwart steht.
Die
Geschlossenheit der Milieus ist ein wiederkehrendes Motiv in den letzten Filmen
Clint Eastwoods. Eastwoods Spätwerk lässt sich in zwei Kategorien
einteilen: in die selbstironischen Porträts alter Männer, mit denen
er in den Neunzigerjahren einen neuen, gebrochenen Eastwood-Typus etablierte
(von Petersens "In the Line of Fire" über "Space Cowboys"
bis zu "Blood Work"); und in seine zynischen Zivilisationsparabeln
wie "Erbarmungslos"
oder zuletzt "Mystic
River".
"Million Dollar Baby" ist die Quintessenz dieses Alterswerks, das
den Moden des Erzählkinos genauso wenig über den Weg traut wie dem
moralischen Konsens westlicher Sozialgemeinschaften. In dem einen Punkt bleibt
Eastwood Traditionalist, im anderen ein notorischer Pessimist. In einem Interview
zu "Mystic River" beschrieb Eastwood seine Vorstellung von gutem Kino
unmissverständlich: "Es ist ein feines Beispiel für einen Schauspielerfilm.
Es geht nicht um Spezialeffekte. Alles ist echt, echt fotografiert. Ein guter
altmodischer Ensemblefilm. Sehr selten heutzutage."
Eastwood
hat in den letzten Jahren einen fast puristisch zu nennenden Erzählstil
kultiviert. Das ist "Million Dollar Baby" zugute gekommen. Mittellange
Einstellungen, sparsame Musikeinsätze (ein paar hingeworfene Bluesakkorde,
beste Americana) und das zurückgenommene Spiel seiner Darsteller vermitteln
eine Stille, in der bereits eine tiefe Resignation zu spüren ist. Morgan
Freemans lederne Off-Kommentare, seine trockenen Pulp-Aphorismen verstärken
dieses Gefühl noch. "Million Dollar Baby" besitzt die Schwere
eines Requiems.
Eastwoods
Figuren sind gescheiterte Existenzen. Eddie "Iron Scrap" Dupris (Freeman),
einst ein hoffnungsvoller Boxer, der halb blind seinen Lebensabend damit verbringt,
im Hit Pit Gym den Hallenboden zu schrubben. Maggie, die nie ihre Chance gekriegt
hat. Und Frankie, den es jede Woche wieder in die Kirche verschlägt, obwohl
er seinen Glauben längst verloren hat. Bei Eastwood aber stehen die inneren
Verletzungen seiner Figuren neuerdings auch symptomatisch für die Versehrtheiten
eines Kollektivkörpers. In "Mystic River" projizierte er die
traumatischen Kindheitserinnerungen seiner Figuren auf den moralischen Niedergang
einer ganzen Nachbarschaft. Eastwoods fundamentale Skepsis gegenüber repräsentativen
Körperschaften wie Kirche und Staat wirft einen Schatten auf die gesellschaftliche
Ordnung seiner Filme. Auch darum wird Frankies Boxhalle in "Million Dollar
Baby" mit solcher Bedeutung aufgeladen: Mit ihrem Vierzigerjahrecharme
fungiert sie als nostalgischer Rückzugsort für die gescheiterten Alten.
Interessant
ist im Zusammenhang mit Eastwoods ambivalenter Sozialphilosophie auch, wie sich
über einen Zeitraum von weniger als zwei Jahrzehnten in der zeitgenössischen
Filmkritik der Mythos festigen konnte, Clint Eastwood sei so etwas wie das liberalkonservative
Gewissen der amerikanischen Filmbranche. Immerhin beachtlich für jemanden,
den die Filmkritikerin Pauline Kael Anfang der Siebziger noch als "Faschist"
bezeichnet hatte. Nun ist es unbestritten, dass Eastwood politisch dem republikanischen
Lager zuzuordnen ist. Gleichzeitig unterstützt er demokratische Politiker,
spricht sich für eine liberale Wirtschaftspolitik und gegen die Todesstrafe
und den Irakkrieg aus. Eastwoods unsentimentaler Humanismus, eine abgeschwächte
Form von Altersstarrsinn, gefällt der Filmkritik. In "Million Dollar
Baby" hört man ihn sogar das erste Mal schluchzen. Frankie schleppt
auch immer einen alten Yeats-Schmöker mit sich rum, den er auf Gälisch
liest. Wie kauzig. Weitere Fragen werden nicht gestellt.
Zum
Beispiel, wie es wirklich um Eastwoods Idee eines sozialen Gemeinwesens bestellt
ist und wie sich die in seinen Filmen äußert. Im Zuge der Diskriminierungs-
und Euthanasievorwürfe vonseiten amerikanischer Behindertenorganisationen
und religiöser Fundamentalisten wegen "Million Dollar Baby" war
bereits einiges zu hören: Eastwood baut Luxushotels, lässt sie nicht
behindertengerecht ausstatten und tritt dann vor dem Kongress auf, um gegen
die Diskriminierung hart arbeitender Geschäftsmänner zu protestieren.
Doch muss man gar nicht so weit blicken. Seine letzten Filme gewähren einige
aufschlussreiche Einblicke in Eastwoods liberale Gesinnung, wenn er komplexe
soziale Verhältnisse auf den kleinsten Nenner runterzubrechen versucht.
Eastwoods
mangelndes Verständnis für soziale Randgruppen ist auch in "Million
Dollar Baby" befremdlich. So rigoros er im Film den amerikanischen Siegermythos
untergräbt, so harsch bleibt sein Urteil über die Kollateralopfer
dieser Mentalität. Wenn etwa Maggies Hillbillyfamilie als Inbegriff des
Sozialschmarotzertums dargestellt wird, dann zeigt dies sehr deutlich die Toleranzgrenzen
von Eastwoods liberalem Konservatismus auf. Hier hätte eigentlich nur noch
der "Dueling Banjos"-Song aus "Deliverance" zur musikalischen
Untermalung gefehlt. Gerade in diesem Punkt konnte sich Eastwood über das
Unverständnis seiner Landsleute nur wundern: "Was muss man ihnen denn
noch alles bieten?", ärgerte er sich in der New York Times über
die Kritik von rechts. "Die Bösen im Film sind Menschen, die sich
am amerikanischen Wohlfahrtssystem bereichern."
So
richtig böse ist in "Million Dollar Baby" eine ostdeutsche Exprostituierte,
die im Kampf um den Weltmeisterschaftstitel dem wütenden White-Trash-Girlie
hinterrücks einen fiesen Schlag versetzt. Billie "The Blue Bear",
gespielt von der viermaligen Kickboxweltmeisterin Lucia Rijker, ist so unsympathisch
gezeichnet, dass sie locker alle Ressentiments gegen osteuropäische Sportlerinnen
bestätigt. Der Witz geht in "Million Dollar Baby" auf ihre Kosten.
Der
diffamierende Unterton, der Eastwoods Worten zu vernehmen ist, zielt unter anderem
auch auf "Danger" ab, einen etwas minderbemittelten Jungen, der seine
Tage in Frankies Boxhalle verbringt, weil ihm sonst nichts bleibt. Auch hier
geriet Eastwood ins Kreuzfeuer der Kritik. "Iron Scrap" Eddie ist
in "Million Dollar Baby" der Einzige, der Danger überhaupt Beachtung
schenkt - abgesehen von den Kids in der Gym, vor denen er den Jungen regelmäßig
in Schutz nehmen muss.
Am
Ende ist Freeman, nicht Eastwood, die Seele von "Million Dollar Baby",
wenn er mit Wischmopp und frischen Handtüchern die Ordnung im Hit Pit Gym
aufrechtzuerhalten versucht. Im Vergleich mit dessen Straßenschläue
zieht Eastwoods Altersstarrsinn in jeder Hinsicht den Kürzeren. Freeman
ist es auch, der schließlich die vermeintliche Euthanasierede halten wird,
ganz im Halbdunkel, als gäbe es für beide kein Entrinnen mehr vor
der ewigen Verdammnis.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der:
Million
Dollar Baby
USA 2004 - Regie: Clint Eastwood - Darsteller: Clint Eastwood, Hilary Swank, Morgan Freeman, Jay Baruchel, Mike Colter, Lucia Rijker, Brian O’Byrne, Anthony Mackie - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 132 min. - Start: 24.3.2005
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