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Minority
Report
Inhalt:
Im
Jahre 2054 werden in Washington D.C. keine Morde mehr begangen. Ein genialisches,
aber höchst umstrittenes System ermittelt den potenziellen Mörder,
bevor er seine Tat begehen kann, und die Polizisten des "Precrime"
Instituts schlagen Augenblicke vor der Bluttat zu. Das Institut untersteht John
Anderton, einem entschlossenen Befürworter des Systems. Doch als sein Name
eines Tages selber von dem System als zukünftiger Mörder herausgegeben
wird, wird aus dem Jäger der Gejagte.
Kritik:
Als
Steven Spielberg im Jahre 2001 mit A.I.
einen Science-Fiction-Film in die Kinos der Welt brachte, der als große
Hommage an den 1999 verstorbenen, legendären Regisseur Stanley Kubrick
angelegt war, auf dessen Ideen er zum Teil basierte, provozierte er bei seinen
eigenen, wie auch Kubricks Anhängern, mehr Unmut und Verwunderung als Begeisterung.
Die Verehrer des 2001
- Regisseurs fanden zuviel "Spielberg'sche" Wärme, gar Ansätze
von Kitsch in Spielbergs nachdenklichem Film, während er dem vorwiegend
am Mainstream orientierten Anhang Steven Spielbergs deutlich zu kompliziert,
unzugänglich und in seiner vollkommen menschlichen und dennoch melancholischen
und von tiefer Verzweiflung durchsetzten Art vor allem zu unangenehm zu klassifizieren
war. Obwohl ich als bekennender Verehrer Kubricks anfangs schnell versucht war,
mich der erstgenannten Gruppierung anzuschließen, so halte ich A.I.
in der Rückschau gerade auch wegen seiner unausgegorenen, fast unfertig
wirkenden Segmente für einen der interessantesten und sehenswertesten Filme
des letzten Jahres, dem jedoch als Hauptproblem fraglos immer seine unübersehbare
Inhomogenität anhaften wird. Weder "ist" der Film Kubrick, noch
"ist" er Spielberg. Eine Problematik, die Spielbergs neuesten Film
mit Sicherheit nicht tangieren wird.
Denn
im Frühherbst kommt mit Minority
Report
ein Film in die deutschen Kinos, der zugleich eine glänzende Hommage an
Stanley Kubrick, wie auch der beste Film in Spielbergs gesamter Karriere ist!
Es scheint fast so, als sei Minority
Report
jener Film geworden, der A.I.
hätte werden sollen; ein vollkommen eigenständiges Werk, das unverkennbar
die Handschrift seines Regisseurs trägt, und dennoch - wenn auch sicherlich
unbeabsichtigt - unter dem ästhetischen Einfluss Kubricks steht. Dieses
Mal werden beide Lager zufrieden sein und endlich mal wieder völlig gefangen
von der Kraft und Magie des Kinos die Säle verlassen: Spielberg-Fans und
"neutralen" Zuschauern bietet Minority
Report
unfassbar kurze 145 Minuten packendster Kinounterhaltung auf höchstem Niveau;
während Freunde der Filme Stanley Kubricks stilistische Finessen und psychologische
Thesen und Diskussionsgrundlagen finden werden, wie sie der Meister selber kaum
hätte kunstvoller schaffen können. Es ist ein faszinierendes "Opus
Magnum" geworden, das seine Zuschauer mit den ersten Bildern in seinen
Bann zieht und in einen Rausch versetzt, aus dem er am Ende kaum mehr wieder
in die wirkliche Welt entlassen werden will. Minority
Report
ist einer jener Filme, der wie die Definition des Begriffes "Kino"
im Wörterbuch stehen könnte: Man taucht ab, genießt, leidet,
denkt, macht Augen wie ein kleines Kind bei der Bescherung am Heiligen Abend,
ist vollkommen verblüfft und ganz am Ende versucht man langsam wieder an
die Oberfläche zurückzukommen.
Der
Film basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte des berühmten Science-Fiction-Autors
Philip K. Dick, dessen Feder auch die Grundlagen zu Scotts Blade
Runner
und Verhoevens Total
Recall
entstammen. Allerdings muss man sagen, - und das wiederum verärgerte manche
Fans des 1982 verstorbenen Autoren etwas - hat Spielbergs visuelle Umsetzung
mit Dicks rund 40 Seiten langer Geschichte nur wenig zu tun. Außer dem
Kernpunkt der Handlung und den meisten Figuren, wurde kaum etwas beibehalten.
Stattdessen schmiedeten die Autoren Scott Frank (Out
Of Sight)
und Jon Cohen (Erstlingsarbeit) aus der im Vergleich zum Film relativ simplen
(wenngleich auch für die 50er-Jahre ungemein visionären) Kriminalhandlung
wohl das beste Drehbuch, das Spielberg je umsetzen konnte. In der Tat fragt
man sich bei Minority
Report
manchmal, was ein Regisseur überhaupt noch falsch machen kann, wenn ihm
seine Autoren ein Script von solcher Klasse vorlegen, dass es gar die meisten
inszenatorischen Schwächen (welche es hier allerdings nicht gibt) auszubügeln
verstünde. Handlungstechnisch gliedert sich der Film in mehrere Ebenen
und durch die ausgewogene, fast gleichberechtigte Behandlung dieser Ebenen wird
ein äußerst stimmiges, vollendet wirkendes Gesamtbild entworfen.
Was bei Dick als relativ konventionelle Geschichte über den zum Jäger
gewordenen Gejagten fungiert, bei der der komplexe philosophische Hintergrund
lediglich in Ansätzen angedeutet wird, wird in Scotts und Cohens Drehbuch
und schließlich in Spielbergs Film weitergestrickt zu einem faszinierenden,
konkreteren Diskurs über die Frage nach der Urschuld und der Urunschuld
des Menschen, über die Verachtung und den Missbrauch des Menschen und über
die grundsätzliche menschliche Fehlbarkeit.
Allein
anhand dieser Aufzählung sollte auffallen, was an Minority
Report
so anders ist, als an vergleichbaren Filmen wie etwa Blade Runner, der durchaus
stilistische Ähnlichkeiten aufweist: Spielbergs Film trägt auch deutlich
ein Stück typischer Spielberg-Ideologien und Wertvorstellungen in sich.
Während in Blade
Runner
die Zukunft schon am Ende zu sein scheint, die Menschheit sich selbst überlebt
zu haben scheint, so ist sie bei Minority
Report
vollständig aufgegangen in ihrer Zukunft. Genau dies ist der Punkt durch
den der Film so bedrückend, so unangenehm wirkt. Während uns andere
Science-Fiction-Filme wie hirngespinstige Vorstellungen endlos entfernter Zeiten
vorkommen, wirkt Spielbergs Film erschreckend "nah", kommt uns bekannt
vor, wirkt zuweilen wie die Furcht einflößende Umsetzung dessen,
was Wissenschaftler und Forscher als Wunder und Möglichkeiten des Zukunft
anpreisen: Wenn etwa John Anderton (Tom Cruise) auf seiner Flucht durch eine
Einkaufspassage läuft, werden seine Augäpfel von speziellen Kameras
abgetastet und von allen Seiten sprechen ihn gewaltige Werbehologramme von Firmen
wie etwa "American Express" oder "Nokia" mit Namen an und
stellen ihm auf seine Person zugeschnittene Angebote vor; ebenso sind Zeitungen
animiert und die neuesten Nachrichten "fließen" sofort ins Bild
und an die häufig verregneten Straßenschluchten werden gesäumt
von haushohen Videotafeln. Aber nicht nur in technischer, sondern auch in ideologischer
Hinsicht scheint der Film einen Nerv unserer Zeit zu treffen, der direkt in
die Zukunft führen könnte: Wenn wir die Zeitungen durchblättern
sehen wir jeden Tag neue Meldungen von Gräueltaten wie Kindsmorden, Amokläufen
und Terrorismusakten. Wer hat sich angesichts solcher Berichte nicht schon einmal
gefragt, wie es wäre, wenn derartiges im Vorfeld bereits verhindert werden
könnte? Die Gegenfrage dürfte allerdings sein, ab welchem Stadium
der Mensch bereits "schuldig" ist - erst wenn er die Tat begangen
hat, oder dann, wenn er nur die Intention hat, sie zu begehen. Eine Frage, der
sich Minority
Report
unter besonderer Berücksichtung des Systems, auf dessen Grundlage diese
Entscheidungen im Film getroffen werden, mit Bravour stellt.
Die
Nennung des Systems geht gleichermaßen einher mit einer Betrachtung des
stilistischen, visuellen Konzepts des Filmes, denn das System ist in seiner
optischen Beschaffenheit wie ein Symbol für die "Kleidung" des
gesamten Werkes: Es besteht aus drei in höchstem Maße begabten Kindern
- zwei männlichen und einer weiblichen Figur namens "Agatha"
(beeindruckend gespielt von Samantha Morton) - deren besondere und einzigartige
Fähigkeit es ist, Visionen von Gewalttaten, Verbrechen und Morden zu haben,
bis hin zu einer Woche, bevor diese passieren. In der Regel haben alle drei
dieselben Bilder vor Augen, schreien dieselben verzerrten Rufe von Tätern
und Opfern heraus und zappeln gleichermaßen in ihren wie spasmisch wirkenden
Anfällen. Tag wie Nacht liegen sie treibend in einem Pool aus grünlich
schimmernder Flüssigkeit, in einem halbdunklen, zylinderförmigen Saal,
der von den "Precrime"-Cops "der Tempel" genannt wird. Bewacht
werden sie von einem freakartigen Wissenschaftler, der sie - genannt die "Precogs"
- hegt und pflegt wie seine eigenen Kinder. Die Köpfe der "Precogs"
sind verbunden mit gigantischen Monitoren an der Decke des Saals, auf denen
ihre abscheulichen Visionen, unter denen sie fraglos auch selber immens leiden,
in kurzen, zuckenden Bildern dargestellt werden. Auf kleine Holzkugeln werden
dann die Namen von Opfern und Tätern eingraviert und Anderton und seine
Mitarbeiter erstellen aus den Bildern, den Namen und ihrer Datenbank dann an
einer riesigen Videowand den genauen Ort und den Ablauf des Mordes.
Das
"Puzzle" an der Videowand ist nur einer von zahllosen optischen Geniestreichen
in Spielbergs Film. Minority
Report
ist in technischer Hinsicht von derartiger Perfektion, dass man verleitet wird,
den Bildern mehr zu folgen als der Handlung, was bei einem Film, der ein Drehbuch
hat, das mit seinen ständigen, atemberaubenden Wendungen und verblüffenden
retardierenden Momenten einem Raymond Chandler alle Ehre machen würde,
ein fataler Fehler sein kann. Dennoch muss die Arbeit des Teiles der Crew, der
für die Optik zuständig ist, entsprechend gewürdigt werden. Spielbergs
langjähriger Kameramann Janusz Kaminski bestätigt seinen Ruf als Genie
an seinem Gerät eindrucksvoll, liefert eine seiner besten Arbeiten ab und
gibt dem Film seine einzigartige Atmosphäre. Er taucht Tom Cruise und seine
zwischen Morbidität, Wahnwitz und Dekadenz hin und her schwimmende Umgebung
in finstere blau-grau-Töne, lässt seine Bilder verwaschen wirken und
gibt dem Film einen finsteren, grimmig aussehenden Anstrich - so schmierig und
verdunkelt wirken einige Momente (besonders während einiger nächtlicher
Außeneinstellungen im Regen) des Filmes, dass nicht nur der ausgeklügelt
konstruierten Handlung wegen der Genrebegriff "Neo-Film-Noir" durchaus
angebracht wäre. Die Riege, die für die CGI-Effekte zuständig
war, könnte mit ihrem Beitrag zu Minority
Report
in diesem Bereich jeden Filmpreis der Welt gewinnen! Ihre Effekte wirken plastisch,
realistisch und greifbar, jeder für sich. Gleichzeitig wirken sie aber
auch wie selbstverständlich, verhelfen dem Film zu einem unglaublich vorstellbar
wirkenden Zukunftsgemälde voller düsterer und makaberer Einfälle
und Entwürfe.
Steven
Spielbergs Regie letztlich führt den Film endgültig in den Bereich
des Meisterwerkes. Mit einem Zirkel von perfekten Mitarbeitern um sich herum,
die bei diesem Film scheinbar allesamt zur gleichen Zeit auf dem Höhepunkt
ihrer Karrieren stehen, braucht sich Spielberg beinahe erstmals nur noch auf
seine Figuren und auf das blanke Inszenieren zu konzentrieren, da der Rest wie
von alleine nebenher zu laufen scheint. Er macht seine Sache grandios! Spielberg
inszeniert atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Minute, setzt ein
furioses Timing beim Schnitt ein und verfällt trotz aller Opulenz des Visuellen
nie der Versuchung, den Film "allein zu lassen". Er nimmt sich Zeit
für die ruhigeren Momente, akzentuiert mühelos auch die philosophischen
und nachdenklichen Segmente und wirft hierdurch Diskussionsansätze auf,
wie man sie bei einem Hollywood-Film (ein Begriff mit dem man sich bei Minority
Report
sehr schwer tut) nur sehr, sehr selten bekommt. Am Ende dann gibt er seinem
Zuschauer nach über zwei Stunden meisterlichen Kinos noch einen Showdown,
der den Atem stocken lässt, während dem wie im Rhythmus eines Presslufthammers
die mehr und mehr erschreckenden Geheimnisse der Handlung gelüftet, die
Fäden entworren und elegant zusammengeführt werden. Steven Spielberg
gibt dem Film letztlich den Schwung auf einem Gleis, das Minority
Report
mit Sicherheit dorthin führen wird, wo er hingehört: In der Bereich
der absoluten Kultklassiker!
Janis
El-Bira
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Minority
Report
(Minority
Report, 2002)
Regie:
Steven Spielberg
Premiere:
17. Juni 2002 (USA)
Drehbuch:
Philip K. Dick & Scott Frank
Dt.
Start: 03. Oktober 2002
FSK:
ab 12
Land:
USA
Länge:
145 min
Darsteller:
Tom
Cruise (John Anderton), Colin Farrell (Danny Witwer), Max von Sydow (Lamar Burgess),
Samantha Morton (Agatha), Steve Harris (Jad), Neal McDonough (Gordon Fletcher),
Patrick Kilpatrick (Jeff Knott), Jessica Capshaw (Evanna), Richard Coca (Pre-Crime
Cop), Kirk B.R. Woller (Pre-Crime Cop), Klea Scott (Pre-Crime Cop), Frank Grillo
(Pre-Crime Cop), Anna Maria Horsford (Casey), Sarah Simmons (Sekretärin),
Eugene Osment (Techniker)
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