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Mise-en-Abyme
In
Celluloid we trust!
Als André Gide 1893 mit der Mise-en-Abyme
erstmals jene rahmensprengende Darstellungsfigur im Drama beschrieb, ahnte er
wohl kaum, dass er damit den Grundstein für das, was heute gemeinhin als
postmoderne Ästhetik bezeichnet wird, gelegt hat. Seither verweisen Medien
nicht mehr nur zufällig auf sich selbst und ihren Charakter der Künstlichkeit,
sondern fordern durch “Rahmenüberschreitung” den Zuschauer geradezu dazu
auf, über das Wesen von Wahrheit, Fiktion und deren Verhältnis zueinander
nachzudenken. War aber das Durchschreiten der “vierten Wand” für das Theater
(also dessen Schauspieler) physisch jederzeit möglich (und ist heute vielleicht
noch das einzig verbliebene und arg überstrapazierte Mittel theatralischer
Kunstfertigkeit), war dem Film durch seine raumzeitliche Abwesenheit vom Darstellungsort
eine technische Schranke gesetzt. Mise-en-Abymes, das zeigt der jetzt erschiene
Kurzfilm von Björn Last gleichen Titels, sind hier jedoch nicht nur ebenso
möglich, sondern wesentlich facettenreicher inszenierbar.
In 19 Minuten erzählt “Mise-en-Abyme” die Geschichte
einer Filmproduktion. “Ein Film über die Liebe” soll gedreht werden, doch
der Hauptdarsteller verlässt das Set, weil sich die Hauptdarstellerin wieder
einmal verspätet. Das provoziert nicht nur die grundsätzliche Fragen
über den Sinn des Filmemachens und -schauens bei den verbliebenen Crew-Mitgliedern,
sondern führt schließlich zu einer äußerst filmischen
Lösung des Problems: Ein Schauspielwilliger, der der Produktionsleiterin
beim Prüfen des Materials in einer früheren Sequenz des Films aufgefallen
ist, wird kurzerhand engagiert, indem der Film zurückgespult und dem Möchtegern-Mimen
in der Rückblende das Angebot zur Mitwirkung unterbreitet wird.
Die Geschichte, die Last in seinem Experimentalfilm
erzählt, ist schon reichlich konfus - bildet aber den Gegenstand, die “scharfe
Idee” (Godard) seines Werks deutlich ab: Film ist eine Welt für sich, die
scheinbar eigenen physikalischen und logischen Regeln gehorcht - Regeln, die
das Publikum zu akzeptieren gelernt hat und auf der die Kunstproduktion nun
beharren kann. Die Überschreitung dieser Regeln - und damit erfüllt
der Film das Versprechen seines Titels - ist daher immer ein transzendentaler
Akt. Und so weist “Mise-en-Abyme” etliche Kniffe der Uneigentlichkeitsmachung
auf, die die Kunstform Film zu bieten hat: unmögliche Zeitraffung, demedialisierende
Medialisierung, Rückblenden-Humor, Backstage-Dramatik, Angriffe des Kritikers
auf den Filmverlauf, Zeitgleichheit von Drehbuch schreiben und verfilmen, diegetische
Musik als abschaltbarer Soundtrack, Schauspielerkommentar-Intermezzi, gemischte
schwarzweiße und farbige Monitorfeedbacks und schließlich das Durchschreiten
der “vierten Wand”, das eine Kamera hinterlässt, die nur noch auf sich
selbst blickt.
“Mise-en-Abyme” ist ein gleichermaßen intellektuelles
wie witziges Experiment, das seinen Zuschauern die Möglichkeiten der Film-Unmöglichkeiten
pointiert vorführt und dabei noch augenzwinkernd auf seinen Charakter als
Amateurfilm verweist. Wenn in den Eingangsszenen ein Schauspieler auftritt,
der äußerst hölzern den Regisseur, der ihn in diesem Augenblick
filmt, als Darstellungsprobe wiedergibt und jener Regisseur dann das Spiel unterbricht,
um auf die Langweiligkeit seiner Person als dramatische Figur hinzuweisen, dann
füttert Lasts Film die Erwartungen des Zuschauers an einen Amateurfilm
und enttäuscht sie im gleichen Moment. “Mise-en-Abyme” ist ein kleiner
Beitrag zur Mediensimulation oder in den Worten des Drehbuchs: Ein Stolperstein
auf der Yellow-Brick-Road der Medienkompetenz.
Stefan Höltgen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
„Mise-en-Abyme“-Regisseur Björn
Last ist auch Herausgeber einer eigenen Website mit Filmkritiken, die teilweise
auch in der filmzentrale erschienen sind:
Mise-en-Abyme
(D
2006)
Regie
& Buch: Björn Last, Kamera: Christian Hüning, Christian Grundey
& Björn Last, Musik: Marcus Poppe
Darsteller:
Nadine Steinbach, Klaus Frevert, Steven Sonntag, Suntje Freier, Bjärn Beermann
u.a.
Länge:
19 Minuten
Produktion:
Mitternachtskino.de
Film-Homepage: http://www.mise-en-abyme.de
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