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Mission
Ein kolossales Bild- und Ton-Spektakel über
die Schwierigkeiten von Missionspraxis und Missionspolitik des Jesuitenordens
im Südamerika des 18. Jahrhunderts. Was von Bedeutung für die aktuelle
Befreiungstheologie der Dritten Welt hätte werden können, geht jedoch
im ästhetischen Harmonisierungsbestreben und in allgemeiner theologischer
Versöhnung unter.
Durch die grandiosesten und malerischsten aller Wasserfälle
schwimmt, gleitet, stürzt der Jesuitenmissionar, rücklings und leider
geflochten ans Kreuz. Die Musik Ennio Morricones rauscht ihrerseits auf, und
es bleibt viel Zeit, sich satt zu sehen an Naturschönheiten, an ästhetischer
Eintracht zwischen Bild und Ton, an artistischer Großtat. Wie hat der
Mann am Kreuz das bloß gemacht? Ein toller Stunt! Offenbar soll der Zuschauer
jedoch einen letalen Ausgang dieser Wasserfallbenutzung annehmen, denn die Handlung
geht davon aus, daß die Indios, die sich ihres Missionars entledigt hatten,
nun einen neuen brauchen. Darum klettert Pater Gabriel (Jeremy Irons) allein,
einsam und keuchend die nasse Felswand innerhalb der malerischen Wasserfälle
hoch. Er, das Oberhaupt der etablierten Mission Sankt Ignatius, verliert den
Halt, fängt sich, schafft es. Seit Arnold Fanck habe ich solche Kletterbilder
nicht gesehen. Und es folgen noch viele mehr! Pater Gabriel also setzt sich
in den Urwald und bläst eine zage Morricone-Weise auf der Blockflöte,
die gottlob trocken geblieben ist.
Derart angelockt, sind die feindlichen Indianer schnell
bekehrt. Im Urwald aufgereiht, verkündigen sie den Sinn ästhetischer
Choreographie. Jeden Moment, so scheint es, bekommen sie den Einsatz zum Chorgesang.
Aber das ist jetzt zu früh. Erst später kommt eine veritable Bühne,
und gesungen wird noch genug. Wer kommt, das ist der Sklavenjäger Rodrigo
Mendoza (Robert de Niro) mit seinen Netzen. Schwupps hat er wieder ein Dutzend
Indios aus dem Urwald gefischt, was Anlaß zu einer einwandfrei funktionierenden
Schockmontage gibt. Und darüberhinaus gibt diese Tat Anlaß zur Reue.
Mendoza tut Buße und schleppt sein prall gefülltes Netz die hohe,
hohe nasse Felswand im Wasserfall - wir kennen sie inzwischen schon sehr genau
- zu den für Blockflöte empfänglichen Indios empor. Im Netz sind
selbstredend nicht mehr Indios, sondern die schwerlastigen Symbole des ehemaligen
Sklavenjägers: Rüstung, Degen, Pistolen. Was aber fangen die Indios
mit dem Einkesselungsexperten an? Als allererstes schmeißen sie Netz und
Inhalt ins Wasser. Sodann verzeihen sie ihm. Tränen laufen übers lehmverschmierte
Niro-Antlitz, und zwei Musiken erklingen zur gleichen Zeit, wieder die zage
Flöte, aber nun auch der originale Eingeborenenchor. Das Ende ist schnell
erzählt, auch wenn wir eigentlich noch am Anfang sind. Die neue Jesuitenkolonie
prosperiert, doch sie fällt der hohen Politik zum Opfer. Um ihre Stellung
in Europa zu halten - in Portugal droht das Verbot - schließen die Jesuiten
ihre Missionen in Südamerika, um die Portugiesen bei Laune zu halten, was
bedeutet, daß es freie Sklavenjagd geben wird. Ein grauenhaftes Gemetzel
hebt an und die entmenschte Soldateska häuft schreiende Babies aufeinander
und das noch im strömenden Regen. Pater Gabriel wird massakriert; der bewaffnete
Kampf nützt auch nichts. Aber einen Sinn ergibt es doch, denn der Jesuitenkardinal
in Asunciön (Ray MacAnally) wird ganz nachdenklich: das habe er denn doch
nicht gewollt, und er schreibt an den Papst die Worte: „In Wirklichkeit bin
ich tot, und die Toten leben. Denn deren Bild lebt in der Erinnerung".
Ergriffen rezitiert das eine Stimme aus dem Off. Und haben wir es denn nicht
die ganze Zeit gesehen, spielfilmlang, das Bild, das der Film von den Indios
unter Führung der beiden Jesuiten gemacht hat? Indio-Folklore und Jesuiten-Kolonie
in alles erledigender ästhetischer Harmonie: da bleibt keine Frage offen.
Morricone erzielt die musikalische Eintracht, indem
er ein klassisches europäisches Thema mit einer einfachen Flötenmelodie
kontrastiert, die von Rhythmen südamerikanischer Eingeborener inspiriert
ist. Regisseur Roland Joffe (THE KILLING FIELDS) erzielt indio-euro-Eintracht,
indem er gemeinsame choreografische Strategien entwickelt. Die Eintracht besteht
vorwiegend darin, daß die Eingeborenen sich zu langen Reihen aufbauen
(am Ufer, auf der Brücke), singen, tanzen und den Jesuiten applaudieren.
Genauso setzt man Statisten ein. Und die Harmonie ist mit den Augen der handelnden
Personen gesehen: das sind die Augen der Europäer. Darum sind die lang
ausgemalten Genresequenzen - Indios baden, necken sich im Wasser, bitten die
Euromänner zur Körperpflege - nichts weiter als Folklorevorstellung
- für die angereisten Filmtouristen. Hier läuft der Film zur Hochform
an Verlogenheit auf. Die überselig lächelnde Indiofrau mit Kleinkind
auf dem Arm, dahinter die neckischen Knaben, die des Jesuitenpaters Einbaumboot
schaukeln, bis er, huch, ins Wasser fällt. In den Bildern, in der Musik
bleibt nicht der winzigste Rest von Geheimnis und Würde oder überhaupt
von etwas, was den Indios eigenbliebe. Selbst die Naturschönheiten werden
vom Film restlos vereinnahmt. Beginnt man einem so faszinierenden Bild, wie
der nachtdunklen Blau-in-Blau-Fahrt auf dem Fluß etwas abzugewinnen -
nur eine einzige schwache Fackel gibt ein wenig gelb in die Tönung-, muß
der Kardinal Altimira das Bild schon kommentieren, mimisch: er schmunzelt, wie
unser Bundeskanzler es nicht besser könnte.
Man brauchte über den Film nicht so viele Worte
verlieren, wenn er nicht so viele gute Ansätze gehabt - und verschenkt
hätte. Nicht Fiktion, sondern historische Tatsache war das Massaker an
den Guarani-Indios 1756 in der Schlacht von Caibale di Guarani. Und wenn uns
erzählt wird, daß die Indios - übrigens waren es 1400 - ihr
Leben für die weltweite Politik des Jesuitenordens, der „Sturmtruppe des
Papstes", hingaben, so sollte man auch sagen, daß der politische
Nutzen des Massakers nur darin bestand, daß der Orden in Portugal erst
drei Jahre später (1759) entmachtet wurde. Und wenn man zeigt, daß
weder Gewaltlosigkeit noch Widerstand was nützt, es sei denn deren ästhetische
Aufbereitung im Kino-Einsatz, dann hätte ich dem Produzenten David Puttnam
gern 'was direkt ins Gesicht gesagt.
Dietrich Kuhlbrodt
Diese Kritik ist
zuerst erschienen in: epd Film 11/86
Mission
THE
MISSION
Großbritannien
1986. R: Roland Joffe. B: Robert Bolt. K: Chris Menges. Sch: Jim Clark. M: Ennio
Morricone. T: Clive Winter. Ko: Enrico Sabbatini. Sp: Peter Hutchinson. Pg:
Goldcrest/Kingsmere. P: Fernando Ghia, David Puttnam. V: Neue Constantin.
L: 128 Min. St: 6.11.1986. D: Robert de Niro (Mendoza), Jeremv Irons (Gabriel),
Ray McAnallv (Altamirano), Liam Neeson (Fielding), Aidan Quinn.
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