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Mission to Mars
Brian
de Palmas Science-Fiction-Epos rund um die erste bemannte Mars-Expedition.
Wir schreiben das Jahr 2020 und
alles sieht noch immer aus wie in den Neunzigern. Bei einem Barbecue entspannen
sich zum letzten Mal die wichtigsten Teilnehmer der geplanten Marsmission: Luke
Graham (Don Cheadle), seines Zeichens Leiter des Landungstrupps, Woody Blake
(Tim Robbins), der mit seiner Frau Terri Fisher (Connie Nielsen) eine glückliche
Beziehung führt und die Schaltzentrale leiten wird, sowie Jim McConnell
(Gary Sinise), eigentlich derjenige, der am meisten für den kommenden Marsflug
getan hat, jedoch nicht teilnehmen wird, da er seit dem Tod seiner Frau als
psychisch instabil gilt. Monate später: Bei der Untersuchung des Mars kommen
alle von Grahams Begleitern unter mysteriösen Umständen ums Leben
- dem Leiter gelingt es noch eine letzte Transmission zur Kontrollstation abzuschicken,
dann ist der Kontakt endgültig gerissen. Unter Blakes Führung wird
eine Rettungsaktion gestartet, wobei der Kommandant auf der Teilnahme Sinises
besteht und an der auch Fisher mitwirkt. So beginnt eine sechsmonatige Reise
ins Ungewisse, um die Geheimnisse des Mars zu klären und beseelt von der
geringen Hoffnung, den Überlebenden zu bergen. Doch auch der zweite Weltraumflug
steht unter keinem guten Stern.
Man muß sich das vermutlich
so vorstellen: als es vor Kurzem den allgemeinen Medienrummel um mögliches Leben am Mars
gab, entschied man sich in Hollywood, ein wenig von der Gratispublicity zu profitieren.
Dazu wurde ein Drehbuch zusammengeschustert (vier Autoren teilen sich den credit), das entfernt an die
Parodie einer Star
Trek-Folge erinnert (mystischer Kontakt mit
fremder Intelligenz), und dann gleich mit eimerweise Zitaten aus anderen Filmen
zugekleistert: 2001 - Odysee
im Weltraum, Abyss, Unheimliche Begegnung der Dritten
Art und noch viele mehr finden sich in Mission to Mars zitiert bis abgekupfert,
allerdings ohne jeden Zusammenhalt: von einer Story kann man beim Endprodukt
hier mit dem besten Willen nicht sprechen - die Welten von de Palmas neuem Werk
wollen in keiner Hinsicht zusammengehen. Das liegt weniger an der sprungweise
absolvierten Handlung, den zahllosen Möglichkeiten, die der Film anreißt,
um sie dann nicht zu verwenden (etwa die Zeitverzögerung einer Übertragung
vom Mars zur Kommandostation, die breit erklärt wird - um dann nie wieder
vorzukommen), als an der flachen Charakterisierung und den Dialogen, die mit
zum Peinlichsten gehören, was man in den letzten Jahren ertragen mußte.
Im schlimmsten Fall kommt dann beides zusammen: das Ende der Partyszene zu Beginn
etwa, in der Robbins und Cheadle Sinise erklären, warum er nicht mitfliegt
- als ob dies nicht schon alle wüßten. Das ist nicht nur ein reichlich
seltsamer Weg, den Zuseher auf Kosten der Protagonisten zu informieren, sondern
auch noch peinlich geschrieben - die Akteure, die allesamt schon in vielen Filmen
ihr Können unter Beweis gestellt haben, können sich oft vor peinlichem
Schweigen kaum noch helfen. Das wird im Verlauf des Films nicht besser und erreicht
einen traurigen Höhepunkt, als gegen Schluss eine schön gestaltete
Morphing-Sequenz kommt, die den Zuseher eigentlich durch ihre funktionale Schönheit
beeindrucken sollte. Täte sie womöglich auch, würden die Darsteller
nicht auch noch ständig wiederholen, was zu sehen ist. Hier führt
kein Weg dran vorbei: das Drehbuch von Mission
to Mars ist unter aller Sau - in jeder Hinsicht.
Personen begehen völlig unmotiviert sinnlose Akte (Gary Sinise weigert
sich einmal ohne jede ersichtliche Begründung einen Helm aufzusetzen, während
das Raumschiff Sauerstoff verliert - entweder die Macher wollen besonders gefinkelt
auf seine psychische Instabilität hinweisen oder es geht dann doch nur
darum, ein paar Sekunden Erstickungsnot herauszuschinden), mühselig herausgearbeitete
Situationen werden binnen zwei Sekunden gelöst und wieder vergessen (ein
Mann, der eben noch von einjähriger Einsamkeit am Mars in bedrohliche Umnachtung
verfallen ist, kann unmittelbar darauf schon mathematische Probleme erklären).
Möglicherweise gaben die Drehbuchautoren einfach irgendwann auf und überließen
alles der Marketingabteilung. Das würde auch erklären, warum Mission to Mars so exzessives
und offensichtliches product placement begeht wie kaum ein Film zuvor: Gelegentlich fürchtet man,
die Katastrophen in diesem Film würden durch das Übergewicht wegen
der vielen Werbeaufdrucke und Logos auf allem Sichtbaren ausgelöst und
das Blockbuster-Kürzel des Films, M2M, erinnert nicht nur verdächtig
an M&Ms - für die Schokobonbons hat man sogar noch eine Art tragende
Nebenrolle angeklebt, die selbst hartgesottensten Advokaten der Schleichwerbung
die Tränen in die Augen treiben dürfte vor marktschreierischem Gehabe.
Entsetzlich klingt das alles (und
dabei begeht der Film noch viel schwerere Sünden, die hier aus Platzgründen
nicht alle aufgezählt werden können) und trotzdem ist Mission to Mars ein wunderbarer Film.
Auch wenn man immer wieder glaubt,
dass jetzt gleich die Parodie beginnt (als Eröffnungseinstellung leistet
sich de Palma einen wirklich niederträchtigen Scherz, der seinem Frühwerk
alle Ehre gemacht hätte) - bis zum Schluss bleibt hier alles gnadenlos
(und selten hat dieses Adjektiv besser gepasst) ernst. Hat man sich erst einmal
damit abgefunden, daß man die Dialoge besser gleich wieder verdrängt
und der Handlung mit Konzepten wie Logik, Psychologie oder gar nur minimaler
Blockbuster-Philosophie (Hauptsache, es explodiert viel, dann wird schon keiner
Fragen stellen) nicht beizukommen ist, präsentiert sich Mission to Mars nämlich als visuell wundervoll
gearbeitete Ode an die Melancholie. Schon während der unnützen Dialoge
des Barbecues zeigt sich Stephen H. Burums Kamera entfesselt - wie schon beim
Beginn seines letzten Films, Spiel auf Zeit, setzt der Regisseur auf lange, durchgehende steadycam-Bewegungen. Das wirkt zu Beginn
wie Stil um seiner selbst willen, doch wenn die Handlung sich ins All begibt,
bekommt dieses Konstruktionsprinzip Sinn. Auf einem Raumschiff, das wie eine
Extrapolation von Kubricks Discovery aus 2001 wirkt, taumeln die Helden des Films hilflos durch die Schwerelosigkeit.
Zuerst tun sie es noch tanzend (mit der mittlerweile vertrauten Unlogik des
Films zu einem der schwächsten Lieder aus dem gesamten Schaffen von van
Halen) in der Schwerelosigkeitszentrifuge, doch spätestens wenn die Unglücksfälle
sich häufen, wird dieses Konstruktionsprinzip zu einer Frage von Leben
und Tod. Um Sekundenbruchteile geht es oft, doch die Protagonisten schweben
in unnachgiebig langsamem Gleiten ihren Bestimmungsorten zu - hier erreicht
de Palmas Film plötzlich eine Eigenständigkeit, die man schon nicht
mehr erwartet hätte: eine Schwermut durchdringt plötzlich, was eigentlich
Actionszenen sein sollten, und füllt den Film mit einer unerwarteten Melancholie,
die einen selbst Armin Müller-Stahls unerträglichen Akzent verzeihen
lassen.
So betrachtet kann man in Mission to Mars auch die Fortsetzung von Mission:
Impossible
sehen - hier wie dort verzichtet de Palma auf ein Drehbuch, das eine kohärente
Handlung bieten würde; die Geschichte wird zur Trägersubstanz, die
die Brücken zwischen den groß orchestrierten Höhepunkten auffüllen
muss. Doch war der frühere Film als Hochgeschwindigkeitsvehikel noch zu
Blockbuster-Bedingungen akzeptabel, so setzt sich de Palma nun zwischen alle
Stühle: Von einer herzzerreißenden Szene in der Mitte des Films abgesehen,
die sich mit Ennio Morricones celestischem Soundtrack zu einer wahren Weltraumoper
verbindet, funktioniert hier nichts mehr zum Spannungsaufbau (ironischerweise
kehrt de Palma für diese Szene auch zu den Schnittverfahren seiner früheren
Arbeiten zurück: Dennoch bleibt sie unbeschleunigt, gefangen in der Traurigkeit
dieses Films); stattdessen wird hier eine Melancholie der Verlangsamung praktiziert,
die allen Marketingstrategien spottet. Man könnte auch von einer Rückkehr
zu James Camerons The
Abyss sprechen:
Waren fast alle großen Science-Fiction-Filme Hollywoods in den neunziger
Jahren (Starship Troopers, Mars Attacks!, Flucht
aus L.A.)
von komödiantisch-parodistischen Zügen geprägt, kehrt de Palma
zu einer Ernsthaftigkeit zurück, die über dem Nonsens des Drehbuchs
steht (mit Camerons Film teilt Mission to Mars auch eine eher peinliche Entscheidung ganz zum Schluss). Das
rettet Mission
to Mars
letztendlich über alle dramaturgischen Mängel hinweg - im Rückblick
hätte dieser verzweifelte Film auch in Zeitlupe ablaufen können, obwohl
es nötig wäre, einen Stummfilm daraus zu machen, um ihn in einen Triumph
zu verwandeln.
Das Resultat erinnert so dann
mehr an viele billige Science-Fiction-Filme der Fünfziger, insbesondere
eine Arbeit von William Cameron Menzies, der als Produktionsdesigner von Vom
Winde verweht
berühmt
wurde und dann B-pictures drehte, die oft ihre Drehbuchschwächen
durch überwältigende atmosphärische Dichte kompensierten. In
Invasion
vom Mars
verwandelte er mittels seines Sinns für surreale Handlungsorte, mangelnde
Logik und eines wundersamen Gespürs für kindliche Ängste eine
typisches "Invasoren vom Mars sind böse Kommunisten"-Sujet in
die paranoide Alptraumphantasie eines zwölfjährigen Jungen. Auch de
Palmas Film macht Vergleichbares mit neueren, abgegriffenen Science-Fiction-Themen.
Als sich die außerirdische
Macht zum ersten Mal in der endlosen Röte des Mars manifestiert, bildet
sie einen Strudel, der alle Fremdkörper ansaugt. Einer der Astronauten
versucht zu fliehen und seine langsamen Bewegungen werden zusehends vergeblich
angesichts der Kraft in seinem Rücken; irgendwann ist der Moment erreicht,
wo der nächste Vorwärtssprung nichts mehr bringt, und er für
einige Momente in der Luft hängt, unfähig seine Bewegung fortzusetzen,
festgefroren. Es ist dieser hilflose Moment des Stillstands, der absoluten Vergeblichkeit,
den Mission
to Mars
zwei Stunden zu intensivieren versucht - und dabei bewundernswert scheitert.
Christoph Huber
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.allesfilm.com
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Mission to Mars
USA 2000. R: Brian DePalma. B: Jim
Thomas, John Thomas & Graham Yost. K: Stephen H. Burum. S: Paul Hirsch.
M: Ennio Morricone. P: Spyglass/Jacobson Company. D: Gary
Sinise, Tim Robbins, Don Cheadle, Connie Nielsen, Jerry O´Connell, Armin
Mueller-Stahl u.a. 114 Min. Constantin ab 11.5.00
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