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Mit
den Waffen einer Frau – Gold im Visier
Der ultimative Härtetest im Damen-Biathlon hat
mit dem Sport direkt nichts zu tun. Die Mutprobe besteht im Verzehr eines vergorenen,
übelriechenden Herings – und diese in der Nationalmannschaft der Biathletinnen
„Schwedentest“ genannte Hürde nehmen die Neuzugänge Magdalena Neuner
und Kathrin Hitzer unter Würgen und Glucksen, aber mit Fassung. Der Rest
der weiblichen Mannschaft amüsiert sich köstlich.
Neben Trainingseinheiten und Wettkampffieber hinter
den Kulissen sind es solche menschelnden Seitenblicke, die zum Repertoire eines
Sportfilms neuerer Machart gehören. Weder Sönke Wortmanns Fußballdoku
„Deutschland – ein Sommermärchen“ noch Winfried Oelsners Handballfilm „Projekt
Gold“ kamen ohne Streiche in der Duschkabine oder Blödeleien im Mannschaftsbus
aus. Florian Leidenberger und Ralf Heincke präsentieren nun die vergleichsweise
milde weibliche Variante in der Erfolgsspur vorheriger „Backstage“-Dokumentationen.
Sie beschreiben sieben Monate voller Trainings- und Weltcup-Etappen, folgen
den Sportlerinnen ins Sommercamp nach Utah oder zum Schneelehrgang im dauerdunklen
Finnland, bis im Februar 2007 die ersehnt-gefürchtete Biathlon-WM im italienischen
Antholz ansteht. Für diejenigen, die sich nicht zur wachsenden Fangemeinde
dieser zwischen Skilanglauf und Schießsport wechselnden Disziplin zählen,
kann es bis dahin etwas zäh werden. Während Wortmanns WM-Projekt ohne
das im Vorfeld sattsam durchgekaute Fernseh-Ereignis auskam, fehlen Einblicke in Spielabläufe
und das Regelwerk des Biathlon diesmal sehr.
Möglicherweise stört (den Biathlon-Laien)
die fehlende Wettkampfperspektive aber nur deshalb, weil die Protagonistinnen
– darunter die gefeierte Olympiasiegerin Kati Wilhelm – in den Interviews eher
zugeknöpft bleiben und wenig tiefere Einsichten in den Kampf um Medaillen
oder auch Konkurrenzdruck innerhalb der Truppe geben. Immerhin gibt Kati Wilhelm
in einer stillen Minute dann doch zu erkennen, dass Magdalena Neuners Sensationserfolge
– in Antholz wird es schließlich dreifaches Gold sein – bei der „Veteranin“
gemischte Gefühle auslösen. Daneben leistet sich Martina Glagow –
die dreifache Silber-Gewinnerin auf der Olympiade von Turin 2006 – einige kritische
Anmerkungen zum Leistungssport. Meistens sind jedoch Platitüden zu hören,
die von Sportschau-Interviews am Spielfeld- oder Pistenrand bestens bekannt
sind. Vielleicht wollten Heincke und Leidenberger nicht tiefer schürfen,
die beide seit längerem im TV-Sportzirkus unterwegs sind. Im Kreis vorwiegend
gut gelaunter Athletinnen und treusorgender Trainer fehlt es an Drama und mangels
interessanter Sportler-Episoden auch an Dramaturgie, die einen Spannungsbogen
bis zur WM in den Südtiroler Alpen aufrechterhalten könnte. Auch das
finale Ereignis verpufft, weil recht hektisch zwischen Einzelsituationen hin-
und hergeschnitten wird. Dass die Bilder mit einer konventionellen elektronischen
Musik „gedopt“ werden – elegische Klänge für Landschaftsaufnahmen,
rockige Rhythmen in Langlaufszenen – hilft der Dokumentation auch nicht auf
die Sprünge.
Ihre immerhin von leichter Skepsis angehauchten Seitenblicke
auf den deutschlandseligen Sportler-Hype, der nun auch die Biathletinnen erfasst
hat, hätten die Filmemacher dagegen ruhig ausbauen können. Wenigstens
zeigen sie eine vom Blitzlichtgewitter geblendete Kati Wilhelm auf dem glatten
Parkett einer Sportler-des-Jahres-Veranstaltung, eine erstaunlich duldsame Magdalena
Neuner beim Akkord-Signieren von Deutschlandfahnen und Winterjacken und peinliche
Augenblicke einer Freilichtshow mit Roberto Blanco, der die seligen WM-Gewinnerinnen
zum Song „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ auf die Bühne holt.
Immerhin für solche kurzen Momente wird die diesem Film immanente Tendenz
zur Hagiographie selbstironisch (?) durchbrochen. Man muss kein Spielverderber
sein, wenn man sich ein wenig mehr kritischen Journalismus in Sachen Spitzensport
wünscht.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: film-Dienst
Mit
den Waffen einer Frau - Gold im Visier
Deutschland
2007 - Regie: Ralf Heincke, Florian Leidenberger - Darsteller: (Mitwirkende)
Kati Wilhelm, Magdalena Neuner, Andrea Henkel, Martina Glagow, Kathrin Hitzer,
Sabrina Buchholz - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 94 min. -
Start: 1.11.2007
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