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Mit
Mistgabel und Federboa - Farmer John
Farmer John in
seinem Widerspruch
John Peterson ist wohl das, was man aus der Art geschlagen
nennt. Seit Jahrzehnten arbeitet seine Familie in der Landwirtschaft, tief im
konservativen Mittleren Westen, im Bundesstaat Illinois, Welten entfernt aber
von dessen größter Stadt Chicago. Zwar übernimmt John nach dem
frühen Tod seines Vaters die Farm. Vom nahe gelegenen College, das er nebenbei
besucht, bringt er aber Hippies und jede Menge aus der Sicht seiner Nachbarn
und Verwandten übergeschnappter Ideen mit auf die Farm. Die Studenten drehen
durchgeknallte Filme, betreiben dilettantisch Landwirtschaft, singen und leben
das Leben einer Landkommune. Natürlich verbreiten sich in der umliegenden
Gegend bald wie Lauffeuer Gerüchte, hier seien drogensüchtige Satanisten
dabei, kleine Kinder zu schlachten.
Die Idylle als Oase der Freiheit inmitten der Reaktion
ist nicht von Dauer. Es sind schwere Zeiten für die Landwirtschaft, John
Peterson muss einen großen Teil des weitläufigen Farmgeländes
verkaufen. Er durchleidet eine mehrjährige Depression, er geht nach Mexiko,
er schreibt ein Theaterstück über die Widrigkeiten des Handwerks,
das vor Farmern mit Tränen in den Augen aufgeführt wird. Dann hat
er die eine oder andere Erleuchtung und beginnt, auf den Feldern eigenhändig
Bio-Gemüse anzubauen. Von homöopathischen Düngemethoden über
den aufrecht chemiefreien Kampf gegen Ungezieferhorden geht alles ökologisch
über die Maßen korrekt zu. Als die Bio-Mode von den Großstädten
her in den USA Fuß zu fassen beginnt, wird seine Farm zum Öko-Kollektiv
"Angelic Organics" (hier die sehr besuchenswerte Website: http://www.angelicorganics.com/),
dessen Produkte mehr und mehr Kunden sich etwas kosten lassen. Kurzum: Eine
Erfolgsgeschichte mit viel aspera und wenig astra, aber doch einem Happy End.
John Peterson ist um einiges seltsamer, als schon
diese Aufzählung ihn erscheinen lassen dürfte. Zum Beispiel liebt
er es, im Fummel auf dem Traktor zu sitzen oder im Bienenkostüm mit seiner
Freundin Leslie über die Felder zu springen. Wenn er spricht, klingt er
tuntig, er ist aber, wie eine Serie von Freundinnen demonstriert, kein bisschen
schwul. Er liebt, sagt er im von ihm selbst geschriebenen Erzähltext aus
dem Off, Stahl, der sich in die Erde gräbt, er liebt die Verkleidung, die
Natur und entdeckt irgendwann Rudolf Steiner. Er ist, mit einem Wort, von einer
auch für US-Verhältnisse wirklich bizarren Individualität, in
der zusammenkommt, was nach landläufiger Vorstellung von Normalität
nicht zusammenpasst.
Der Film und sein Protagonist werden alle Fans des
esoterisch-ökologischen Landbaus fraglos hellauf begeistern. Aber auch
für jene, die - wie der Rezensent - das ganze einschlägige geistige
Rüstzeug für, wenn auch ziemlich harmlosen, Unfug halten, ist das
alles keineswegs uninteressant. Es beginnt schon damit, dass das Leben des John
Peterson seit den fünfziger Jahren bestens auf Film dokumentiert ist. Johns
Mutter Anna, ein Fan von Jim Morrison, auch wenn er sich wirklich schlecht gekleidet
hat, wie sie findet, brachte eine Farbfilm-Super-8-Kamera auf die Farm. John
und seine Familie haben sich durch die Jahrzehnte hindurch ständig gefilmt,
das Material ergänzt die Bilder des Dokumentarfilmers Taggert Siegel auf
faszinierende Weise. Es ist ein bisschen wie die um alle Avantgardismen bereinigte
Eso-Version von Jonathan Caouettes am Apple zusammengebastelter Videoschnipsel-Autobiografie
"Tarnation".
Zur Medien- kommt die Zeitgeschichte. So scheckig
bunt die Persönlichkeit John Petersons zusammengesetzt ist: gerade darin
wird sie zum Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen, die die USA
in den letzten Jahrzehnten bei aller sozialen Segmentierung als ganzes durchgemacht
haben. Friedens- und freiheitsbewegte Hippies treffen in den sechzigern auf
amerikanische Heartland-Tradition - und John Peterson vereint beides in seiner
Person. Der ökonomische Niedergang der Landwirtschaft ist am Schicksal
seiner Farm ebenso ablesbar wie die postmaterialistische Lust am Qualitätsprodukt
- untermischt freilich (auch das ist zu sehen) mit von neokolonialen Zügen
nicht ganz freier Beschäftigung mexikanischer Billigarbeiter. Dass es dem
Film völlig an Distanz zu seinem Gegenstand mangelt, macht ihn zwar gelegentlich
etwas nervtötend, schadet aber seinem Status als Dokument US-amerikanischer
Widersprüchlichkeiten kein bisschen. Wer darüber etwas wissen will,
sollte sich "Mit Mistgabel und Federboa - Farmer John" ansehen.
Ekkehard Knörer
DieserText ist zuerst erschienen
in:
Mit
Mistgabel und Federboa - Farmer John
USA
2006 - Originaltitel: The Real Dirt on Farmer John - Regie: Taggart Siegel -
Darsteller: (Mitwirkende) John Peterson - Länge: 83 min. - Start: 13.9.2007
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