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Moby
Dick
(1997)
Der
weiße Wal, noch mal
Während
Bartleby der Erfinder der höflichen Dauernegation ist („Ich möchte
lieber nicht“), so stößt man bei Kapitän Ahab auf den Vertreter
des unumstößlich singulären Dauerauftrags (Rache an Moby Dick).
Krank sind sie beide, Figuren, die von Versehrtheit erzählen, bei dem einen,
dem Krüppel, erhält man die psychologische Folie, bei dem anderen,
dem Gerichtsschreiber, weiß man eigentlich gar nicht, warum er sich so
merkwürdig verhält. Aber weiß man es wirklich bei Ahab? Dieser
führt doch viel eher vor, wie man sich psychologisch bei der Deklaration
des Feinds irrt. Moby Dick ist nicht Feind, sondern Vorbild, vom Himmel der
Götter heruntergeholt in die Tiefe des Meers. Wenn aber das geschätzte
Objekt einem wehtut und einen dabei hindert, an der Selbstvergötterung
zu arbeiten, ist der Teufel los. Dann muss der Gott sterben.
Es
gibt die schöne Szene in dem Film, wo Ahab, belauscht von Ismael, von seiner
auch körperlichen Vergrößerung spricht. Fünfzehn Meter
groß, kein Auge, und vor allem kein Herz. Das Herz würde einen doch
nur ständig daran erinnern, dass es keine Nachfolge Christi gibt und dass
die Herzschläge des Herrn ein Trommelfeuer sind, die man gehalten ist,
als Paradiesesglocken zu antizipieren. Das elfenbeinerne, künstlich applizierte
Bein ist kein Elfenbein. Ich weiß nicht, ob die Situationisten Kapitän
Ahab als würdigen Vorgänger der Zweckentfremdung anerkennen würden,
aber genau so was macht er, allerdings in einem nicht spielerischen, sondern
zwanghaften Sinn. Aber das ist Zweckentfremdung der Zweckentfremdung, und somit
höchst situationistisch. Und vor allem ist Ahab ein Meister des Herumschweifens.
Er benutzt sein Schiff wie ein preiswertes Taxi, um sich auf den Weltmeeren
umzuschauen. Er reduziert die Wale, die er jagen soll, auf den einen, der es
ihm angetan hat. Da steckt so viel Liebe wie Hass drin. Er legt die Berufung
über den Beruf. Er ist der mittelalterliche Ritter, der Kämpfer gegen
die Windmühlen, er hat die Chance des großen Programms, das da heißt
Wahnsinn. Ein Mangel ist immer dabei, bei ihm bildet er den Rahmen: „Ich sehe
immer nur das, was fehlt.“ Und was fehlt überall? Moby Dick. Und damit
er selbst, Ahab. Und was braucht Ahab? Ein Riesenspektakel. Im Grunde die Revolution.
Die hat er bekommen, als er zuletzt auf den Wal klettert, wenn er auch dabei
zugrunde geht, und genau das haben wir auch heute, wir kleben auf dem Spektakel,
auf dem Rücken des Wals, mit dem einzigen Unterschied, dass wir ein Bild
dazwischengeschoben haben, das uns erlaubt, wie in einer gigantischen Dia-Show
von Bild zu Bild zu wechseln. Von Bartleby besitzen wir kein Bild, bei ihm ist
das Spektakel noch ganz innerlich, nicht zu veräußern, der richtige
Mann am falschen Ort zur falschen Zeit. Der wahre Asylant, der nicht mehr oder
noch nicht in die wirkliche Welt abhauen kann.
So
gesehen ist Ahab eine der letzten großen literarischen Figuren, denen
es noch einmal gestattet ist, aus sich heraus zu gehen. Danach beginnt die Zeit
des verzweifelten Wünschens, wo die hergebrachten Glaubenssysteme erneut
die Stelle des praktizierten Wahnsinns übernehmen oder auch die unsäglichen
Forderungen nach neuer Mythologie. Wir begnügen uns heute mit der Methode
des überall geläufigen kleinen Remakes, das den Abstand der tausend
Übergänge eingezogen hat. Deshalb geht es uns auch so gut. Das ist
vielleicht nicht elegant, aber doch effizient.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Moby
Dick (1997)
MOBY
DICK
USA
/ England / Australien / Deutschland - 1997 - 175 min. - Literaturverfilmung,
Abenteuerfilm - Erstaufführung: 25./26.12.1998 ARD (Zwei Teile) - Produktionsfirma:
Hallmark Entertainment/USA Pictures/9 Network/TaurusFilm (für ARD/Degeto
Film) - Produktion: Steven R. McGlothen, Kris Noble, Franc Roddam
Regie:
Franc Roddam
Buch:
Franc Roddam, Anton Diether
Vorlage:
nach dem Roman von Herman Melville
Kamera:
David Connell
Musik:
Christopher Gordon
Schnitt:
Sean Barton
Darsteller:
Patrick
Stewart (Captain Ahab)
Henry
Thomas (Ismael)
Hugh
Keays-Byrne (Mr. Stubb)
Norman
D. Golden II (Pip)
Kee
Chan (Fedallah)
Ted
Levine (Starbuck)
Piripi
Waretini (Queequeg)
Gregory
Peck (Father Mapple)
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