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Mon
Bel Amour
Der deutsche Verleihtitel unterschlägt die zweite
Hälfte des Originals: MA DECHIRURE (etwa: meine Peinigerin). Grade aber
im zweiten Akt dieses Dramas sexueller Besessenheit gewinnt der Film Format.
Catherine (Catherine Wilkening), vergewaltigt und abhängig, dreht die Machtverhältnisse
um. Am Ende ist es Patrick (Stephane Ferrara), der das Opfer ist. Gepeinigt
und geschunden, die schöne männliche Haut von Rasiermessern zerschlitzt,
blutbesudelt und hoffnungslos gedemütigt, drückt er ein letztesmal
aufs Gas: Amokfahrt in den Tod.
Die obszöne Sprache des sexistischen Pornofilms
wird jedoch aus der Fixierung gelöst, die der Macho gern hätte, denn
Catherine, junge Schauspielerin, lernt die Sprache und schließlich den
Adressaten (den Mann) zu benutzen, um neue und befreiende Idenditäten auszuprobieren
- befreiend, weil sie aus der traditionellen Opferrolle heraushelfen. Wir sind
im Zeitalter der Post-Selbstfindung. „Wir wissen, wer wir sind, aber nicht,
wer wir sein könnten", heißt es im Film, und damit ist er auf
der Höhe der aktuellen Pariser Philosophie, die jedem anrät, sich
in der Kunst der Identitätenvervielfachung zu üben. Außerdem
hat das Pariser Kulturministerium sich für MON BEL AMOUR stark gemacht
und den Film nicht nur gefördert, sondern ihn auch schon für Dreizehnjährige
freigegeben.
Catherine Wilkening sagte in einem der Interviews
zu diesem Film, angesprochen auf die vielen Nacktszenen: „Wenn ich den Bademantel
ausziehe, bin ich nicht mehr ich selbst." Das ist der Ausgangspunkt des
Spiels, in dem Catherine geübt ist. Denn im Film ist sie Shakespeare-Schauspielerin
und zieht mit einer Off-Theatergruppe durch die Provinz, von Brest bis La Rochelle.
Inszeniert wird das Shakespearestück (ein Konglomerat verschiedener Szenen
- im Film) von einer Frau à la Ariane Mnouchkine (vorzüglich: Verá
Gregh), die erbarmungslos zu obsessiven Höchstleistungen antreibt. Catherine,
will sie reüssieren, muss über sich hinauswachsen. Patrick, der sie
auf der Straße vergewaltigt hatte, auf die Schnelle, in aller Öffentlichkeit,
ans parkende Auto gelehnt - er wird jetzt Gegenstand für Catherines Spiel-Leidenschaft.
Im
Film stimmt ein Rockpopsong ein: „Catherine what are you looking for?"
Catherine zitiert den Mann in die Disco,
in der er sie zu live-Guitarro-französisch-Rock-Musik an prominenter Stelle
manuell befriedigt.
Patrick wird mit der Veranstaltung dieser privaten
Schau-Spiele langsam überfordert. Unversehens sieht er sich in der Rolle
desjenigen, mit dem Sex gemacht wird. Auch bleibt er morgens im Bett liegen,
wenn Catherine zu Probearbeiten eilt, und leider kommt er nicht auf die Idee,
sich in anderen Rollen auszuleben. So wirft er ihre Bücher und all den
anderen intellektuellen Kram auf den Fußboden, hilflos, und man muß
sich Stephane Ferrara, den sexuellen Aggressor im Film, dazu körperlich
vorstellen, den Ex-Champion im Mittelgewicht und den Boxer Tiger Jones in Godards
DETECTIVE. Der stattliche Mann zeigt sich als emotionaler Krüppel, unfähig
zu überleben, wenn das Opfer seine Opferrolle verläßt, und sei
es auch, indem es - wie Catherine - Exhibitionismus und Masochismus spielerisch
übersteigert.
MON BEL AMOUR ist ein gut gespielter, ebenso spannender
wie hilfreicher Film. (Unerfreulich möglicherweise für unsere Macho-Mehrheit.)
Die „Mnouchkine"-Regisseurin diagnostiziert: „Du bist wie eine Tote in
einem verlorenen Still-Leben." Die Schauspielerin befreit sich durchs öffentliche
und private Schau-Spiel: „Ganz als ob der Knoten geplatzt wäre, echt!"
Und der Macho-Mann, der zum Schluß gepeinigt und zerschlitzt verblutet,
hat selbst zum Messer gegriffen. Wenn das kein moralischer Film ist.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film 10/87
Mon
Bel Amour
MON
BEL AMOUR, MA DECHIRURE Frankreich 1987. R: José Pinheiro. B: José
Pinheiro, Louis Calaferte Sotha. K:
Richard Andrey. Sch: Claire Pinheiro-L'Hévedér. M: Romano Musamarra.
T: Jean-Marcel Milan. A:
Theobald Meurisse. Ko: Delphine Bernard. Pg:
Odessa Films/Canal Plus Productions/Général d'Images. Gl.- Ilya
Claisse. P: Yannick
Bernard. V: Filmverlag der Autoren. L: 96 Min. FSK: 18, nffr. FBW.- Wertvoll.
St: 10.9.1987. D: Stéphane Ferrara (Patrick), Catherine Wilkening (Cahterine),
Véra Gregh (Regisseurin), Veronique Barrault (Clémentine), Jacques
Castaldo (Jean-Ba), Philippe Manesse (Julien), .Iacky Sigaux (Jacky), Mouss
(Mouss), Catherine Mongodin (Miss Pettycoat).
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