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Monday
Der
Samstag vor dem Montag
Montag.
Ein Schock. Ein Mann wacht auf und weiß nichts mehr. Er liegt in einem
Hotelzimmer, und seine ersten Worte „Wo bin ich hier eigentlich?“ deuten auch
wir zunächst als Unwissenheit, weil wir selbst so ahnungslos sind. Fragen.
Aus dem Radio tönt der Wetterbericht. Teils heiter, eher wolkig? Alkohol
scheint im Spiel. Benebelt, vernebelt, allein sitzt der Angestellte Takagi (Shinichi
Tsutsumi) auf dem Bett, im Anzug mit Krawatte. Langsam ereilen ihn Erinnerungsfetzen.
Er war auf einer Totenwache, mit einigen anderen Männern in schwarzen Anzügen,
der Schwester des verstorbenen jungen Manns, der vor allen im Sarg liegt, darüber
ein plakatgroßes Bild des Toten, das in die falsche Himmelsrichtung weist.
Vieles ist falsch. Man dreht den Sarg und einige andere Gegenstände, um
das Bild in die richtige Position zu bringen und Unglück für den Toten
zu verhindern. Vieles dreht sich in den Erinnerungen Takagis, bevor er klar
wird, bevor es ihm klar wird.
Sabu,
wie Hiroyuki Tanaka in Japan sich nennt und genannt wird, drehte mit „Monday“
kein zweites „Memento“ (2000), denn Takagi hat zwar sein Gedächtnis kurzfristig
verloren, doch alles kehrt nach und nach wieder, setzt sich angesichts von Zetteln
und einer Waffe, die er im Hotelzimmer findet, wie ein Puzzle zusammen, auch
wenn der unschuldige Mann, oder vielmehr der sich für unschuldig haltende
Mann nicht immer sicher ist, ob ihn seine Erinnerung trügt oder die bittere
Wahrheit spricht. Je mehr Erinnerungen blitzartig wieder auftauchen, desto eingeengter
fühlt sich Takagi in seinem Zimmer. Zuerst wird aus einer stinknormalen
Totenwache ein explodierendes Ereignis – eine Szenerie, die von schwarzem Humor
durchtränkt ist, den bitteren Sarkasmus Tanakas, der sich manchmal in Zynismus
ausweitet, schon offenbart. Der Held seines Films ist keiner – eher ein armes
Würstchen, das von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, weil er sich im Grunde
für nichts interessiert, was um ihn herum passiert. Die Zeit vor diesem
schockierenden Erwachen am Montag aber ist eine, die ihn selbst zum Agent provocateur,
zum Handelnden werden ließ – in all seiner Naivität und Kurzschlüssigkeit.
Takagis
Freundin Yuki (Naomi Nishida) ist auch so eine Gedrängte, eine, die nicht
zuhört, wie Takagi feststellt, als er ihr von der Totenwache erzählen
will, eine, die nur mal eben eher unwillig bei ihm vorbeischaut, weil er sie
bestellt hat, und die die 23 Namen der Stadtteile Tokios auswendig aufsagen
kann, ganz stolz darauf ist, und dann wieder verschwindet.
Aber
was war dann? „Club Hanai“, ein Yakuza-Lokal, dort sitzt Takagi an der Bar und
trifft auf einen merkwürdigen Kerl, der ihm unter ständigem Lachen
aus der Hand die Zukunft liest und dem Barmann hinter der Theke ein kurzes Leben
prophezeit. Alles Unsinn. Alles Zeitvertreib. Takagi bringt im wahrsten Sinn
des Wortes die Kugel ins Rollen. Sie rollt zu der Schönheit am Ende des
Tresens (Yasuko Kirishima), die sich kurz darauf als Yakuza-Braut entpuppt.
Und als Takagi voller Vorfreude aus der Toilette zurückkehrt, sieht er
sich Kiichiro Hanai (Akira Yamamoto), dem Boss der Yakuza gegenüber, der
Takagi auf seine Weise vereinnahmen will.
Aber
Takagi ist einer, der trotz seiner Naivität immer einen Ausweg findet,
einen Ausweg, der alles noch viel schlimmer macht. Plötzlich, nach dem
auch für Takagi selbst unerwarteten Tod Hanais, fühlt er sich als
Held und Rächer, als Kämpfer gegen Ungerechtigkeit. Jetzt, am Montag,
sitzt er in seinem Hotelzimmer und muss im Fernsehen und in der Zeitung sein
Bild sehen. Mindestens drei Tote nennen die Nachrichten. Welcher Ausweg bleibt
ihm nun noch? Er plädiert gegen die Gewalt und für die Liebe, er macht
sein Testament. Doch Tanaka wäre nicht Tanaka, wenn dies den allzu süßen
Schluss des Films bilden würde.
Takagi
ist eine Krämerseele, die glaubt, sich durch das Leben schlängeln
zu können, von dem er im Grunde keine Ahnung hat. Sein Angestellten-Dasein,
von dem der Film ebensowenig berichtet wie vom sonstigen Vorleben Takagis, kann
man sich dennoch lebhaft, oder besser: leblos, vorstellen. Tanaka versucht erst
gar nicht zu verdecken, dass er für seinen „Helden“ keine große Sympathie
empfindet. Andererseits ist „Montag“ kein Tribunal, vor das Tanaka Takagi stellt;
das besorgt der junge Mann schon selbst. Zudem kommen weder die Yakuza, noch
die Polizei bei Tanaka etwa gut weg. Takagi stolpert in sein Unglück, und
zugleich tut er alles, damit er überhaupt stolpern kann. Gleichgültigkeit
und Unbarmherzigkeit geben sich in „Montag“ ebenso die Klinke in die Hand wie
Naivität und allzu schlichtes Denken. Erinnerung verkommt zur fast schon
mechanischen Rekonstruktion eines Geschehens, das Takagi selbst bis zum Schluss
nicht durchschaut, sich nicht erklären kann. Er flüchtet – in Ausreden,
Entschuldigungen, Träume und nicht ernst gemeinte Worte an seine Verwandten.
Tanaka
taucht all dies in Skurrilität und schwarzen Humor und Shinichi Tsutsumi
tut als Hauptdarsteller ein Übriges, um zum Gelingen dieser Groteske auf
die japanische Gesellschaft beizutragen.
Wertung:
9,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen – unter dem Namen POSDOLE - bei:
www.ciao.de
Monday
(Monday)
Japan
2000, 100 Minuten
Regie:
Hiroyuki Tanaka
Drehbuch:
Hiroyuki Tanaka
Musik:
Kenichiro Shibuya
Director
of Photography: Kazuhiko Sato
Schnitt:
Kumio Onaga
Produktionsdesign:
Tomoyuki Maruo
Darsteller:
Shinichi Tsutsumi (Koichi Takagi), Yasuko Matsuyuki (Yuko Kirishima), Ren Osugi
(Murai Yoshio), Masanobu Ando (Mitsuo Kondo), Hideki Noda (Shingo Kamiyama),
Akira Yamamoto (Kiichiro Hanai), Naomi Nishida (Yuki Machida)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0239655
©
Ulrich Behrens 2004
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