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Mondkalb
Alex (Juliane Köhler), eine Frau um die vierzig,
betritt ein Haus in der Fremde und in diesem Haus ist ein Fremder. Es ist das
Haus ihrer verstorbenen Großmutter, sie hat es geerbt. Die Fremde ist
eine ostdeutsche Kleinstadt, in der das Leben, freundlich gesagt, nicht tobt.
Der Fremde ist ein verwahrlost wirkender, trotzig schweigender Junge (Leonhard
Carow), und sie selbst kommt aus dem Knast, in den man sie steckte, weil sie
ihren Mann beinahe totgeschlagen hatte. Jetzt ist sie im Osten angekommen, ohne
anzukommen, als Fremde in der Fremde. Sie hat einen neuen Job in einem Labor,
dessen von keinem Modebewusstsein berührter Leiter um ihre Vorgeschichte
weiß. Sie lernt Piet (Axel Prahl) kennen, den Vater des Jungen. Dessen
Frau hat sich vor vier Jahren aufgehängt, was manche bizarre Verhaltensweise
des Sohnes erklärt.
Die Geschichte ist also die: Angeschlagene trifft
Angeschlagenen durch Bekanntschaft mit dessen angeschlagenem Kind. Es kommt
zur Annäherung zwischen den Angeschlagenen, aber die Fremde zwischen ihnen
bleibt. Piet will mehr als nur Freundschaft von Alex und sie will das eher nicht.
Sylke Enders, die diese Geschichte geschrieben und verfilmt hat, sucht die Konzentration.
Sie macht aus der Konstellation kein fernsehkompatibles Sozialmelodram, scheitert
aber umso gründlicher genau daran, dass sie mehr will. Die Subtilität,
die sie sucht, sorgt nämlich nur dafür, dass die Klischees, von denen
sie kaum eines auslässt, in sauren Edelkitsch umkippen. Der Film findet
den Ton nicht, der glaubhaft machen könnte, was er behauptet. Er ist spätestens
in dem Moment verloren, in dem er Alex' Kolleginnen im Labor vorführt als
feiste Karikaturen und ostdeutsche Witzfiguren.
Im Grunde aber sind alle Figuren in "Mondkalb"
Karikaturen ihrer selbst. Nur halten sie sich und hält der Film sie in
einem enervierenden Selbstmissverständnis für Charaktere in einem
tiefgründigen Drama. Juliane Köhler gerät ihr Spiel im Versuch,
eine in sich verkrampfte Person darzustellen, zum Darstellungskrampf. Die Mühe
und Anstrengung, die alle Beteiligten in diese Geschichte investieren, ist nicht
zu übersehen - und gerade darin liegt ein großer Teil des Problems.
Das Buch lädt seinen Figuren zwar schwere Schicksale auf, macht aber in
keinem Moment auch nur eine ihrer Handlungen plausibel. Diese Plausibilisierung,
derer es bedürfte, hat nichts mit psychologischer Durcherklärung zu
tun, nur mit einem Gespür fürs Detail, einer Einbettung in ein Situations-Milieu,
das die schweren Schicksale trägt. All das aber bleibt aus, so sinken die
Figuren wie Blei ins Kontextlose.
Bezeichnend ist etwa, dass Sylke Enders ihren Film
nicht genau verortet, sondern sich ihr trostloses Ostdeutschland aus verschiedenen
Städtchen zusammengecastet hat. Sie sieht nicht genau hin, fügt und
passt nicht Raum und Figur aneinander - alles wird stattdessen einer Gesamtidee
von schicksalsschwerer Trostlosigkeit passend gemacht. Geradezu empörend
der Musikeinsatz. Der Regisseur Christian Petzold spricht oft von Filmmusik,
die da Gefühle anschaffen geht, wo keine sind. Selten traf die Formulierung
so gut wie im "Mondkalb"-Fall. Mit hoher Verlässlichkeit will
die Musik dem Zuschauer bedeuten, dass man jetzt etwas fühlen soll. In
Wahrheit signalisiert dieser Umgang mit der Musik aber nur das eine: dass bei
diesem Film von Anfang bis Ende nichts stimmt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Mondkalb
Deutschland 2007 - Regie: Sylke Enders - Darsteller: Juliane Köhler, Axel Prahl, Leonard Carow, Ronald Kukulies, Niels Bormann, Udo Schenk, Gabrielle Ertmann, Isabelle Etmann - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 102 min. - Start: 31.1.2008
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