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Mondovino
Beweise
gibt es überall
Was
stellt die Globalisierung mit dem Wein an, fragt sich der Dokumentarfilm "Mondovino"
Der
edelste Tropfen, den ich mir eine Zeit lang regelmäßig gönnte,
war der Saft frisch gepresster Blutorangen, die auf sizilianischem Lavagestein
gewachsen waren. Die 0,7-Liter-Flasche kostete sechs Dollar. Bis zu einem gewissen
Grad kann ich daher die Aufregung in Jonathan Nossiters heillos-chaotischer
Weinreportage "Mondovino" um die Philosophie des "Terroir"
nachvollziehen. Dieser Begriff beschreibt zunächst nicht mehr als den Grund
und Boden, auf dem ein Wein angebaut ist. Da Boden mittlerweile ein belasteter
Begriff ist, überrascht es kaum, wenn einige Weintraditionalisten in "Mondovino"
ihre familiären Verflechtungen mit Mussolini ins Spiel bringen oder kurz
ins Stocken geraten, wenn Nossiter auf möglichen Antisemitismus im internationalen
Weinhandel zu sprechen kommt. Der Connaisseur hingegen meint die Qualität
eines Weines, wenn er vom "Terroir" schwärmt. Es ist die Erde
mit ihren regionalen Eigenheiten, die dem Wein erst seinen unverwechselbaren
Charakter verleiht. "Terroir" ist die Seele eines Weines.
Diese
Seele ist in "Mondovino" bedroht. Skrupellose Profiteure - Amerikaner,
natürlich - haben sich zusammengeschlossen, um die "McDonaldifizierung"
der Weinkultur zu betreiben. Nur ein Haufen tapferer Gallier, Pardon: Franzosen
trotzt dem Bollwerk der Globalisierung - und greift dabei auch zu extremen Mitteln.
Aimé Guibert zum Beispiel, ein rechter Kämpe der französischen
Weintradition, musste vor einigen Jahren einen kommunistischen Bürgermeister
ins Amt bringen, um die Übernahme einiger Parzellen Land durch die kalifornische
Modavi-Dynastie zu verhindern. Schließlich bringt das Languedoc namhafte
Weine hervor - französische Weine, versteht sich. Und das soll auch so
bleiben.
In
Cannes hat "Mondovino" im letzten Jahr bei der Kritik nur wenig Begeisterung
ausgelöst, nicht zuletzt wegen Nossiters stark verkürzter Polemik.
Trotzdem fällt es schwer, sich dem Charme dieses kruden Machwerks zu entziehen.
Wie ein blutiger Anfänger folgt Nossiter den Spuren einer transglobalen
Weinverschwörung, stapft in die Büros der Weinlobbyisten und irritiert
den Zuschauer mit halsbrecherischen Reißschwenks im Kriegsreporterstil.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Nossiter, selbst ein Liebhaber guten
europäischen Weines, befindet sich im Kriegszustand. Die Plansequenz ist
seine gefährlichste Waffe.
Einer
hat es ihm besonders angetan: der französische "Weinberater"
Michel Rolland, von der Statur eines Pavarotti und ausgestattet mit dem Sendungsbewusstsein
des Rama-Mädchens. Rolland lässt sich in seiner Privatlimousine durch
Nossiters Film kutschieren; das Handy, in das er regelmäßig enthusiastisch
"micro-oxigenate" schreit, immer am Ohr. Die Modavis aus dem Napa
Valley gehören zu seinen besten Kunden, und hier schließt sich in
"Mondovino" die Front des "Bösen" auch wieder. Nossiter
hat, daran lässt er nicht den geringsten Zweifel, wenig übrig für
neumodischen Schnickschnack wie die "Mikrooxigenisation" von Weinen.
Eine Methode übrigens, die keiner von Rollands Kunden so richtig zu verstehen
scheint. Sicher ist nur, dass sie sich mit der Idee des "Terroir"
nicht verträgt.
Nossiters
eigene Methode dagegen ist schnell durchschaut - nicht nur, weil sie seit dem
Erfolg von Michael Moore starke Abnutzungserscheinungen aufweist. Ihr wohl markantestes
Merkmal ist, dass Nossiter seine Beweise überall zu finden scheint. Ob
eine Autogrammkarte von Ronald Reagan oder eine flatulierende Bulldogge: Irgendwann
gerät alles in den Sucher der Digitalkamera - als Zurschaustellung gnadenloser
Selbstevidenz. So entpuppt sich Nossiters technisches Unvermögen sehr bald
als kalkulierte Masche.
Es
ist der Hundenarr Nossiter, der uns am Ende versöhnlich stimmt. Überall
entdeckt er Hunde - auf Châteaus, im New Yorker Straßenverkehr,
unterm Esstisch. Minutenlang sind sie im Bild zu sehen, bei allen möglichen
Verrichtungen - fressen, putzen, pinkeln, furzen -, und lassen Nossiter noch
die größte Weinpanscherei für einen Augenblick vergessen. Es
ist eine bizarre Obsession - wie im Grunde die Sache mit dem Wein.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Mondovino
- Die Welt des Weines
Frankreich
2004 - Originaltitel: Mondovino - Regie: Jonathan Nossiter - Darsteller: Battista
Columbu, Yvonne Hégoburu, Aimé Guibert, Bill Harlan - Prädikat:
besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Fassung: O.m.d.U. -
Länge: 138 min. - Start: 28.4.2005
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