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Mongolian Ping Pong
Ein herzlicher Steppenfilm, so
richtig Öl auf die Seele, wie man im Flachland sagt. Und ein Film, der
Partei ergreift für die, die Spaß dran haben etwas wahrzunehmen,
also für die Leute, die im Kino sitzen, auch Rezipienten genannt. Einerseits.
Und andererseits für alle siebenjährigen Steppenkinder, die etwas
wahrnehmen, was sie noch nicht wahrgenommen haben, ein kleines weißes
Ding etwa, das auf dem stark mäandernden Fluß treibt und ein Ei sein
könnte, aber ein Ei nicht ist, weil es nicht oval, sondern rund ist. Eine
Wunderperle von outer space, also vom Himmel, wie Oma weiß?
Den Himmel bekommen wir in unendlichen
Panoramen zu Gesicht. Schatten ziehen über das Gras; die Schafe haben es
noch nicht abgeweidet. Wolken im majestätischen Rhythmus. Ein kompletter
Regenbogen mit zwei Enden, die Kilometer auseinander liegen. Und die Jungs,
die durch die zaun- und grenzenlose Steppe reiten. Gern auch das gleich schnelle
Moped nehmen.
Eben das ist der Scherz an diesem
Film, daß sowohl das Eine als auch das Andere da ist, und an den kleinen
wie auch an den großen Wahrnehmenden ist es, daraus was zu machen. Was
also ist das Geheimnis des runden Etwas? Es hilft der Fortschritt, wenn auch
in Gestalt des schrottreifen Jeep mit der Aufschrift: Fest- und Freizeit-Aktivitäten.
Ein mobiles Kino in der Jurte. Und das Pingpong des Tischtennisballs in der
Wochenschau. Der Nationalball, ebenbürtig dem Panda, dem Nationaltier.
Die Kinder haben den Nationalschatz! Eine Frage bitte: Arbeitet die Polizei
nicht für die Nation?
Die Polizei kommt als Freund&Helfer
ins Spiel, einerseits. Aber überzeugen kann sie die Kinder nicht, andererseits.
Sie müssen selbst was tun. Der Schatz muß zur Nation! Zu Pferd oder
zu Moped nach Peking? In welche Richtung gleich noch? Und das Fernsehen? Wie
lange kann man denn eine Antenne mit ausgerecktem Arm in die Höhe halten?
Und gibt es denn nicht mehr wahrzunehmen als griselndes Bild und Tonfetzen,
ein rätselhaftes Pingpong?
Wer im Kino sitzt, fragt sich
selbst was. War da in der Jurte nicht eben die neue Nummer der ELLE zu sehen,
aus Paris? Auf dem Titel Kylie Mino--, schon ist das Bild weg. Und in der Jurte
Omas prächtiger Patchworkmantel, drauf Pfirsiche, Äpfel, Exotisches
wohl doch. Aber steht darunter nicht "peach" und "apple"
geschrieben? - Zu entdecken ist nicht sentimentale Nostalgie, sondern ironischer
Einbruch zivilisatorischer Standards.
"Pingpong" ist ein Film,
der sich mit der Zensur nicht anlegt und der gleichwohl kritisiert. Kindermund
tut Wahrheit kund. Ihre Abenteuertour nach Peking endet damit, daß man
aus den Seen nicht mehr trinken kann: "Das Wasser ist wirklich vergiftet!"
Sie staken durch Salz und Salzlake zur Straße. Die ist andererseits frisch
asphaltiert. Mit gelbem Mittelstreifen. Ein stolzes Bild, lang gehalten. Eine
Freude für jeden Infrastrukturfetischisten. Klar kommt so ein Film durch
die Zensur. Und ebenso klar ist, daß wir Zuschauer bei den Kindern sind,
die trotz und wegen der Straße nicht weiterkommen.
"Pingpong" ist Regisseur
Ning Haos zweiter Film, eigentlich gedacht als Filmhochschularbeit zum Thema
Nationalball. Der Film aus der Inneren Mongolei schlug inzwischen Zuschauer
der internationalen Festivals in Bann, so in diesem Jahr auf der Berlinale.
Es ist doch ein großes Ding, im Kino zu sitzen und all seine Tentakeln
ausfahren zu können. Und zu lachen. Nicht über die lieben Steppenmenschen.
Wohl aber über die Würde und Komik, mit der das Einerseits und das
Andererseits aufeinanderprallen und umschlingen. Wobei das beste ist, daß sich Ning
Hao in einer Miniparabel über das Beides-gelten-lassen, Ying und Yang,
wiederum lustig macht. Denn ist das nicht ein blöder Kompromiß, wenn
der Vater den Streit von zwei Jungs mit dem Messer schlichtet? Jeder beansprucht
den Nationalschatz. Lösung? Der Ball wird halbiert. Überzeugt? Nö.
Aber vom Film.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Mongolian Ping Pong
Lu Caodi
China 2005
Regie: Ning Hao
Drehbuch: Ning Hao, Gao Jian Guo, Xing Aina
Kamera: Du Jie
Kostüm: Zhang Geng Liang
Musik: Lu Jiajia, Wuhe
Ton: Wang Yan Wie
Schnitt: Ning Hao, Jiang Yong
Darsteller: Hurichabilike, Dawa, Geliban, Yidexinnaribu, Qiaosang,
Badema
Länge: 105 min
Format: 35mm, Farbe, OmdU, 1:1.85, SRD
Uraufführung: 15.12.2005 (D)
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