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Monsieur
Klein
Die
Verwandlung
Robert
Klein (Alain Delon) sieht gut aus. Aber das ist nicht sein Kapital. Monsieur
Klein kauft und verkauft, Import-Export sozusagen, allerdings würde Monsieur
diese Begriffe nicht gerne hören. Denn Monsieur handelt mit Kunstgegenständen
und Antiquitäten aller Art. Monsieur Klein betreibt ein vornehmes Geschäft.
Er ist freundlich, aber bestimmt, in Geschäftsdingen klar, deutlich und
hat seinen Vorteil im Auge. Was auch sonst? Wozu betreibt sonst jemand Geschäfte?
Aus lauter Menschenfreude? Sicherlich nicht. Monsieur Klein ist immer gut angezogen.
Er ist unverheiratet, ohne Bindung sozusagen, hat allerdings so etwas wie eine
Geliebte. Jeanine (Juliet Berto) heißt sie.
Robert
Klein kauft und verkauft also Kunst und Antiquitäten. Aber er hat gegenüber
jedem Verkäufer einen enormen Vorteil. Denn Monsieur Klein lebt nicht in
unserer Gegenwart. Er ist nicht einer jener millionenschweren Kunsthändler
von heute. Nein, Monsieur Klein ist längst tot. Und seine Zeit, das war
das Frankreich von 1942. Hier, im von den Deutschen besetzten Paris treffen
wir ihn, und zu seinen Kunden zählen seit der Einnahme der französischen
Hauptstadt durch die Wehrmacht und die tausendjährigen Herrscher aus Berlin
vor allem: Juden. Juden, die schon lange nicht mehr sicher sind, die das Land
verlassen wollen. Und die, die etwas zu verkaufen haben, die verkaufen es, schnell,
fast zu jedem Preis, sofern ihnen das Geld reicht, um außer Landes zu
gehen und ihr Leben und das ihrer Familien zu retten. Monsieur Klein kauft ihnen
Antiquitäten und Kunst ab – sofern sie welche besitzen. Er diktiert den
Preis. Er diktiert auch, dass diese wertvollen Gegenstände, diese Dinge,
die ihren Besitzern etwas bedeuten, keine Bedeutung mehr haben. Sie sind nur
noch Geld.
Monsieur
Klein lebt von der Not anderer. Er nützt sie aus, skrupellos, ohne Mitgefühl
– so, wie viele Menschen seiner Zeit und auch seines Landes dies tun.
Joseph
Losey inszenierte mit „Monsieur Klein” jedoch nicht nur einen Film über
einen Mit- Verdiener an der Aggression Deutschlands in und gegen Europa. Losey
ging es um das Portrait eines Mannes, der plötzlich aus seiner scheinbaren
Sicherheit herausgerissen wird und selbst in die Netze der Okkupanten verstrickt
wird bzw. sich verstrickt. Monsieur Klein findet eines Morgens vor seiner Haustür
eine jüdische Zeitung, ein Informationsblatt, in dem sich die französischen
Juden noch letzte Dinge mitteilen dürfen, bevor sie später endgültig
deportiert werden. Auf der Zeitung befindet sich sein Name. Doch Klein hatte
diese Zeitung nie abonniert. Er befragt einen Redakteur dieser Zeitung, der
jedoch den Irrtum nicht aufklären kann. Er erkundigt sich bei der Präfektur
nach dem vermeintlichen Doppelgänger mit gleichen Namen. Er befragt die
Concierge des Hauses, in dem dieser ominöse Monsieur Klein II gewohnt haben
soll, lässt sich ein Foto nachmachen, auf dem Klein II mit seiner Freundin
zu sehen sein soll. Aber all das führt ihn nicht zu dem Gesuchten.
Monsieur
Klein wird nervös. Nein, äußerlich und vor anderen bleibt er
ruhig, fast gelassen, auch seinem Anwalt Pierre (Michael Lonsdale) und dessen
Frau Nicole (Francine Bergé) gegenüber, mit der er einst ein Verhältnis
hatte. Aber tief in ihm gärt es, steigt langsam Angst herauf. Da erhält
er einen Brief von einer gewissen Florence (Jeanne Moreau), aber auch mit diesem
Brief ist nicht er gemeint, sondern der andere. Dieser verdammte andere, der
sich nicht zu erkennen gibt, den er nicht finden kann, der ihm immer wieder
zu entwischen scheint, wenn er wieder an einem Ort auftaucht, an dem der andere
gerade noch gewesen sein soll.
In
Loseys Film ist kaum etwas zu sehen von den deutschen Besatzern, den Soldaten,
nichts von der Gestapo, der SS oder dunklen Gestalten, die Regimegegnern auflauern.
Ein paar französische Polizisten interessieren sich, aufgeweckt durch Kleins
eigene Ermittlungen, für die Sache. Sonst nichts. Sonst nichts? Doch. Da
wird gebaut, an einer Art Stadion. Bretterzäune, Stacheldraht, Maschendraht
wird aufgerollt und gezogen. Ein Camp wird errichtet. Ein Sammellager. Doch
Monsieur Klein bekommt davon nur wenig mit. Er ist beschäftigt. Der Brief
führt ihn zu einem Schloss, in dem Florence, die den Brief schrieb, ihr
Mann Charles (Massimo Girotti) und einige andere vornehm gekleidete Personen
sich treffen. Doch Florence weiß angeblich fast nichts über den anderen,
den Unsichtbaren, den Verschwundenen, Verschollenen. Nur, dass er eine Freundin
gehabt haben soll.
Tage
später ist die Villa dunkel, die Bewohner sind weg, angeblich außer
Landes. Juden? Klein findet eine Tänzerin, Lola (Magali Clément),
die ihn informiert, wo des anderen Freundin arbeite. Klein sucht, findet Michelle
(Dany Kogan), die abstreitet, dass auf dem Foto neben dem anderen Klein dessen
Freundin Françoise (Francine Racette) abgebildet sei.
Es
wird immer enger für Monsieur Klein. Die Polizei beschlagnahmt seine Bilder,
Kunstgegenstände, alles, was Wert hat. Klein wird praktisch den Juden gleichgestellt.
Er forscht nach den Geburtsurkunden seiner Großeltern, will einen „Ariernachweis”
liefern. Aber wann werden die Behörden in Marseille ihm die Urkunden schicken?
Wie
ein Strick schnürt sich langsam, aber unaufhaltsam das Schicksal um Monsieur
Klein. Aber ist es das Schicksal? Wer ist der Unbekannte, der zweite Monsieur
Klein? Ein Widerstandskämpfer, der sich eine Deckung zugelegt hat? Ein
Rächer der betrogenen und ausgenutzten Juden, die Monsieur Klein ans Messer
liefern wollen? Oder gibt es diesen zweiten Klein überhaupt nicht? Am Anfang
ist Klein ein Nutznießer, ein erbärmlicher, skrupelloser Ausbeuter
der Situation seiner Mitmenschen, die für ihn nichts weiter sind als Mittel
zum Zweck. Am Schluss ist Klein ein armes Schwein, einer, der sich nie für
andere interessiert hat – und der jetzt die Quittung dafür erhält?
Nein,
Loseys Film ist keiner, in dem ein Exempel statuiert wird. Losey beobachtet
diesen feinen Herrn, der nur sich sieht, nur seinen Vorteil und dann in eine
Situation gerät, die klaustrophobische Züge trägt. Gerade durch
die visuelle Nicht-Präsenz der Besatzungstruppen, der Gestapo, der SS einerseits,
das Geheimnisvolle des anderen Klein auf der anderen Seite, eben auch dessen
Nicht-Präsenz, erreicht die Verwicklung, Verstrickung des Robert Klein
in ein immer enger werdendes Netz aus Lüge, Denunziation, Verdacht, Komplott
oder was es auch immer sein mag eine erschreckende und einem die Luft nehmende
steigende Bedrückung. Man schwankt zwischen der anfänglich starken
Abneigung gegen diesen Nutznießer des Nazi-Terrors und der Hoffnung, er
möge den Schergen von Auschwitz doch noch entkommen. Er hat doch nichts
getan, jedenfalls nicht im Sinne der Nazis, dass ihm derartiges passieren dürfe.
Aber er hat doch etwas getan, nämlich die Not anderer gnadenlos ausgenutzt.
Täter, Opfer.
Der
Identitätsverlust, den Losey am Beispiel des Robert Klein zeigt, ist kein
rein äußerlicher. Klein gibt am Schluss auf, daran zu glauben, er
sei nicht der andere. Den Hund, der ihm plötzlich zuläuft – der andere
Klein hatte einen solchen Hund –, akzeptiert er. Er schlüpft, erst unfreiwillig,
aber dann zusehends unter Aufgabe jeglichen Widerstands in den anderen hinein,
als hätte es nie zwei Monsieurs Klein gegeben. Klein sucht, sucht, sucht,
verzweifelt, und nur äußerlich gefasst, aber er sucht wie bei Kafka
ein Mann das Schloss sucht. Der andere scheint immer ein Stückchen weiter,
ein bisschen schneller. Seine Motive bleiben unklar, wenn er denn überhaupt
welche hat – gegenüber Monsieur Klein. Und noch in seiner vergeblichen
Suche nach dem Mann, der ihn ins Unglück stürzen kann, bleibt Klein
der Einzelgänger, der Individualist, der Einsame – Eigenschaften, die ihm
u.a. überhaupt erst ermöglichten, zum Nutznießer der Not anderer
zu werden. Klein, der katholische Klein, wird zum Juden, zum Deportierten, zum
Opfer. Und erst, das ist das Paradoxe an dieser Person, erst in der Akzeptanz
seiner selbst als Opfer wird Klein zum Menschen.
Ein
beeindruckendes und bedrückendes Porträt über einen „Unpolitischen”,
dem seine eigene Mentalität zum Verhängnis wird – mit einem Alain
Delon in der Titelrolle, wie ich ihn besser kaum gesehen habe.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Monsieur
Klein
(Monsieur
Klein)
USA
1976, 123 Minuten
Regie:
Joseph Losey
Drehbuch:
Fernando Morandi, Franco Solinas, Costa-Gavras
Musik:
Egisto Macchi, Pierre Porte
Director
of Photography: Gerry Fisher
Schnitt:
Marie Castro-Vasquez, Henri Lanoë, Michèle Neny
Produktionsdesign:
Olivier Girard
Darsteller:
Alain Delon (Robert Klein), Jeanne Moreau (Florence), Francine Bergé
(Nicole), Juliet Berto (Jeanine), Jean Buoise (Verkäufer), Suzanne Flon
(Hausmeisterin), Massimo Girotti (Charles), Michael Lonsdale (Pierre, Anwalt),
Michel Aumont (Beamter der Präfektur), Roland Bertin (Redakteur einer jüdischen
Zeitung), Magali Clément (Lola, Tänzerin), Dany Kogan (Michelle),
Francine Racette (Françoise / Cathy), Louis Seigner (Roberts Vater)
Internet
Movie Database:
©
Ulrich Behrens 2004
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