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Monsoon
Wedding
Mein
Herz so weit
”Oh
shit” sind die ersten Worte der Braut, als sie ihren zukünftigen Mann aus
dem Auto steigen sieht. Es ist das erste Mal, daß Aditi ihn erblickt und
morgen Abend soll nun ihre Hochzeit sein. Die neureichen Eltern haben in guter
indischer Tradition die Ehe arrangiert, der Bräutigam, ein erfolgsversprechender
junger Mann, wurde eilends aus Amerika ins heiße Neu Dehli eingeflogen,
gutaussehend ist er und sympathisch obendrein. Das ”Oh shit” kann sich somit
nur auf die ganze, komplett absurde Situation arrangierter Hochzeiten beziehen.
Im einsetzenden Tumult geht der spontane Ausrutscher ohnehin unter: Autotüren
klappen zu, immer mehr Gäste trudeln ein, die Mutter der Braut prüft
schnell den Sitz ihres Bustiers, dann stehen erste Gläser auf dem Tisch,
lange Begrüßungsfloskeln überdecken so manche Verlegenheit,
denn eigentlich kennt man sich ja gar nicht.
Schnelle
Schnitte und wackelnde Handkamera spiegeln die feierliche Hektik temporeich
wider. Ein arroganter Onkel aus Amerika blickt wohlwollend in die Runde und
es bedarf keiner vier Sätze, da hat er der literaturambitionierten Tochter
Ria schon versprochen, ihr das Studium zu finanzieren. Die Braut spricht erste
karge Sätze mit ihrem zukünftigen Mann, Oma schwärmt von alten
Zeiten auf Englisch-Punjabi und die Jugend prahlt mit ihrem frisch erworbenen,
australischen Akzent. Tradition und Moderne treffen in den Sprachgewohnheiten
auffällig aufeinander - aber der Zusammenstoß ist undramatisch, ein
leichtes Puffern auf weichen Wohlstands-Kissen, alles ist so bunt und federleicht
wie der Garten, der allmählich in einem Meer von knallorangenen Ringelblumen
zu versinken scheint.
Obwohl
im fernen Indien, findet sich der westliche Betrachter bei der überspannten
Hochzeitsgesellschaft schnell zurecht: Von bunten Saris, satt-sonnigen Farben
und filigraner Henna-Bemalung einmal abgesehen, verläuft alles so, wie
hierzulande auch. Mira Nair versteht es, Indien für den Westen problemlos
konsumierbar zu machen. Das Fremde wird auf schillernd Folkloristisches reduziert
und verliert dadurch seinen eigenen, möglicherweise verstörenden Charakter.
Das Verbindliche und alles Verbindene ist das Herz, das menschliche, das einem
bei ”Monsoon Wedding” gleich mehrmals weit aufgehen soll: Erzwungene Liebe wird
beim ersten Kuß und Streichmusik zu wahrer Leidenschaft - eine klare Anspielung
an bollywoodsche Sehgewohnheiten. Rührige Aufrichtigkeit des Herzens beweist
auch der Vater, als er den reichen, pädophilen Onkel, dem er so viel zu
verdanken hat, des Hauses verweist. Er glaubt Ria sofort, als diese von ihrem
Jahre zurückliegenden sexuellen Mißbrauch berichtet - Vinterbergs
”Das Fest” läßt grüßen.
Schließlich
und endlich - wie bei jeder guten klassischen Komödie, in der das Thema
Heirat auf den Tisch kommt - sind auch die Hausangestellten vom Ereignis direkt
infiziert, hier steht ihnen sogar eine eigene Liebeaffäre zu: Der nervöse,
Ringelbumen mampfende Partymanager verliebt sich in das Hausmädchen Alicia
und erobert diese bald mit einem üppigen Blumenherz.
Mit
verhaltener Ironie werden klingelnde Handys und grelle Versace-Schühchen
in "Monsoon Wedding" als klotzige Statussymbole einer westlichen Moderne
entlarvt. Gefragt ist alles, was glänzt und teuer aussieht. Der Party-Manager
hat die Zeichen der Zeit nicht nur it-technisch richtig verstanden, sondern
auch gleich begriffen, daß es wichtiger ist, geschäftig auszusehen,
als es tatsächlich zu sein. Leider finden sich nicht allzuviel Szenen,
in denen die Gesellschaft so treffend karikiert wird. Man will ja nicht zu böse
werden, also doch lieber zurück zu den Herzgeschichten.
Mag
sein, daß die Referenzen an Bollywood eine Art manirierte Liebeserklärung
an das Heimatland darstellen, richtig überzeugen können sie im Film
nicht. Vielmehr tragen sie bei zu einem Multi-Kulti-Patchwork aus Moderne und
Tradition, aus Indien und Amerika, Independent und Mainstream-Kino, das in simplen
Herzmuskel-Dehnungen und zaghafter Dramaturgie auf der Strecke bleibt. Zugestanden,
einige Szenen sind originell und ergreifend, aber spätestens als der Monsoon-Regen
einsetzt und der Bräutigam auf einem weißen Pferd anrauscht, geht
einem der ambitionierte Stilmix mächtig auf die Nerven. Fast möchte
man sagen, Mira Nair hat sich ganz trendbewußt ans postmoderne Regelwerk
für hippe Filmchen gehalten, und dies dann nicht mit ihrer zutiefst humanistischen
Weltsicht unter einen Hut gekriegt. So wird der Film zum halbehrlichen Farbrausch,
der westlicher ist, als er auf den ersten Blick erscheinen mag.
Anke
Eickhoff
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Monsoon
Wedding ,
Indien 2001. R: Mira Nair; B: Sabrina Dhawan; K: Declan Quinn;
S: Allyson C. Johnson; D: Naseeruddin Shah, Lillete Dubey, Shefali
Shetty, Vijay Raaz u. a.
Prokino, 18. April
2002
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