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Monster
Killerin
mit Seele
Patty
Jenkins’ halbherzige Einfühlung in ein „Monster“
Nach
knapp einer Stunde gibt es den ersten Feel-good-Moment in Monster.
Es wird der letzte bleiben. Zurückhaltung vor der Versuchung des Sentimentalen
muss man Patty Jenkins’ Film zugute halten. Zum ersten Mal haben Aileen (Charlize
Theron) und Selby (Christina Ricci) Zeit für sich. Wie zu solchen Höhepunkten
in Hollywood neuerdings üblich, erklingt, sozusagen als Kommentar von oben,
ein klassischer Pop-Song: Crimson And Clover. Strophe um Strophe wandelt sich
das Liebesgeschehen auf dem Motelbett; zurückhaltend, aber sicher mit den
Soundeffekten des proletarisch sentimentalen Sechziger-Jahre-Greaser-Rock harmonisiert.
Tommy James & The Shondells haben damals alle Wah-Wahs, Echos und Effektgeräte,
die für Geld zu haben waren, aufgefahren, um ihren kosmisch aufgemotzten
Teenager-Liebesschmand in die Erdumlaufbahn zu jagen. Nach der zweiten Strophe
gibt es einen Tonartwechsel: Wir verlassen das Hotelzimmer, den verliebten Frauen
wird noch eine halbe Strophe nächtliches Roadmovie-Gefühl mit Leuchtreklamen
vor der Windschutzscheibe gegönnt, dann wird der Song ausgeblendet, und
die hässliche Wirklichkeit hat die Heldinnen wieder. Der nicht enden wollende
Echokammern-Schlussteil von Crimson And Clover, auf den so mancher gewartet
haben mag, hätte zu viel Ewigkeitsanspruch auf ihr zum Scheitern verurteiltes
Glück scheinen lassen.
Monster
hat vor allem gute Ansätze und einzelne treffende Formulierungen. Die Geschichte
von Aileen Wuornos, Amerikas erster so genannter Serienkillerin, die 2002 mit
der Giftspritze hingerichtet wurde, soll nicht nur als Schicksal eines Opfers
männlicher Gewalt erzählt werden. Nicht als Leidensweg einer vielfach
vergewaltigten Provinzprostituierten und nicht als Rachefeldzug einer Frau,
die irgendwann zu Recht Rot sah. Patty Jenkins hat Aileen eine fühlende
Seele zugedacht, und was lag da näher, als ihre Geschichte als die einer
Liebenden zu erzählen. Noch bevor sie aus Notwehr ihren ersten Freier erschießt,
verliebt sie sich in die seltsame Selby.
Beide
Frauen, an Ablehnung schon so lange gewöhnt, haben diffuse Wünsche
an die je andere, die mit einem Mal alle beantwortbar scheinen. Selby Wall ist
je nach Lage fordernd, ängstlich, naiv, unterwürfig, trotzig und zur
Hingabe bereit. Sie ist ein vom Vater abgelehntes lesbisches Mädchen, das
zwar keine übermäßigen Kräfte besitzt, aber dennoch seine
Glücksansprüche verteidigt. Aileen Wuornos, die Ältere, immer
schon Erniedrigte und Beleidigte, kann sie beschützen. Sie zeigt ihre herzliche
und ihre hasserfüllte Seite so, dass sie wenigstens mit irgendeiner Art
von Würdigung rechnen darf.
Das
Vorhaben, ein „Monster“ zu humanisieren, hat unübersehbar das Problem,
diesen Menschen erst einmal vor allem körperlich als Monster präsentieren
zu müssen, bevor man dann nach alter Hollywood-Küchenpsychologie einen
weichen Kern hervorzaubern kann. Charlize Theron hat sich ihren Oscar offensichtlich
damit verdient, aggressive Überlegenheitsgesten als verzweifelte Übersprungsakte
einer zutiefst Verunsicherten zu spielen. Da hat sie einen spektakulären,
allerdings nur in wenigen Varianten angewandten Gesichtsmuskel-Trick entwickelt.
Eben noch blickt die Kamera in verlassene und verlorene Züge, dann geht
ein Ruck durch sie, und sie ist tough, sie ist Butch, knallt Leute ab, weist
Spießer zurecht und bahnt sich ihren Weg. Immer aber sehen wir zugleich
das Angemaßte, Hilflose in diesen Zügen, die Theron noch im härtesten
Moment in ein ursprüngliches psychologisches Elend überführt.
Bald versteht man, dass diese Frau schon vor Beginn der Handlung so weit unten
war, dass sie nicht einmal mit entspanntem Gesichtsausdruck über die Straße
gehen könnte. Christina Ricci bleibt da in ihrer unaufwändigen Spielweise
undurchsichtiger. Man traut ihr eine Überraschung zu.
Nach
der ausführlich ausgebreiteten Ausgangssituation wird Jenkins’ Film lieblos.
Aileens Tötungen werden zum Muster, der Zuschauer verliert von Fall zu
Fall mehr von seinem empathischen Verständnis. Zum einen, weil sich die
Kontexte der Verbrechen langsam unserem Fassungsvermögen entziehen. Zum
anderen, weil uns diese Frau nicht mehr erklärt wird. Jetzt läuft
Plan B: Killer-Existenzialismus aus dem Genrekino. Zwar wird Aileen nicht zum
„Monster“. Diesen Namen zu widerlegen, den die echte Aileen Wuornos in der US-Presse
bekommen hat, ist der Film schließlich angetreten. Etwas Größeres,
Überpersönliches führt sie jetzt: Gesetze des Genres, der Serie,
der Gewalt an sich. Und dieses Gesetz der Gesetzlosigkeit aus dem kollektiven
Kino-Archiv überwuchert die psychologische Darstellung und beendet den
Versuch, eine individuelle Geschichte zu erzählen. Nach einer langsamen
und einigermaßen liebevollen guten Stunde wird man ziemlich unsanft aus
dem plötzlich überhasteten Film herauskomplimentiert.
Dabei
hätte man Aileens Geschichte gar nicht psychologisch erzählen müssen.
Noch ein anderer guter Ansatz ist durchaus zu erkennen. Ein abgerüsteter
Naturalismus, der sich auf den Alltagsanblick der Schauplätze verlässt.
Patty Jenkins ist nämlich ein Film gelungen, in dem kein Ort, keine Waldung,
kein Motel, kein Rummelplatz, keine Biker-Kneipe nach irgendeiner historischen
Epoche aussieht. Die sonst übliche spektakuläre Markierung von Handlung
mit billigen Zeichen der Zeit wird hier konsequent verweigert. White trash hat
keine Geschichte, nur eine ewig kehlige schlechte Rockmusik und eine Posthistorie
der stonewashed Jeans. Man kann zwar nebelhaft an den A-Flock-of-Seagulls- oder
Duran-Duran-Nummern, die durch die Roller-Skate-Arenen dämmern, die achtziger
Jahre erkennen. Doch anders als das elektrische Wah-Wah-Glück der einzigen
Liebesszene werden diese Songs in eine amorphe Aussichtslosigkeit gemischt,
die sprechender Hintergrund genug gewesen wäre für Aileen Wuornos’
traurige Geschichte.
Während
der Berlinale, auf der Monster
vorgestellt wurde, lief in der Retrospektive der selten gezeigte Film Wanda
von und mit Barbara Loden aus dem Jahre 1971. Auch er schildert das Schicksal
einer gedemütigten Streunerin in der amerikanischen Provinz, zwischen Bier
und blow
jobs.
Aber in diesem Film gibt es keine Sound-Spur, die psychologisch vereindeutigt,
wie wir ein Bild zu verstehen haben, keine Off-Narration der Hauptfigur, die,
ohne je zu erklären, von wo aus sie eigentlich spricht, interpretiert,
was gerade noch offen war. Keine Einladungen zu falscher Empathie. Man merkt
Monster
noch an, dass er einmal ähnlich lakonisch gedacht war, als schmucklose
Erzählung vom Leben einer Frau, an der die Normalität grausam schuldig
wurde: die Männer und die widerliche Landschaft, die Architektur und der
Alltagsdreck, aus dem sie gekrochen kommen.
Diedrich
Diederichsen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der: Zeit
Monster
USA
/ Deutschland 2003 - Regie: Patty Jenkins - Darsteller: Charlize Theron, Christina
Ricci, Bruce Dern, Lee Tergesen, Annie Corley, Pruitt Taylor Vince, Marco St.
John, Marc Macaulay, Scott Wilson, Rus Blackwell - FSK: ab 16 - Länge:
109 min. - Start: 15.4.2004
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