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Montag
kommen die Fenster
Nina und Frieder sind angekommen.
Zusammen mit ihrer kleinen Tochter Charlotte haben sie ein Häuschen in
einem Vorort von Kassel bezogen. Während Nina tagsüber im Krankenhaus
arbeitet, renoviert Frieder das gemeinsame Eigenheim. Und am Montag kommen die
neuen Fenster. So ähnlich werden die Lebensfluchtpunkte der beiden in den
nächsten zwanzig, dreißig Jahren aussehen. Alles ist schön –
langweilig. Eines Abends steht Nina verloren in ihrem halbverfliesten Hausflur
herum und beginnt zu zweifeln. Die Sicherheit ihres wohlbehüteten Mittelstand-Daseins
hat erschreckende Ausmaße angenommen. Hals über Kopf verlässt
sie Frieder, Charlotte, das Haus mit den Fliesen und begibt sich auf eine ziellose
Fahrt durchs Mittelgebirge. “Ich komm nicht zurück,” erklärt sie Frieder später
auf dem Handy. Einfach so, aus heiterem Himmel.
Mit „Montag kommen die Fenster” versucht Regisseur
Ulrich Köhler eine ähnliche Gefühlslage zu vermessen wie schon
in seinem Debütfilm “Bungalow”. Auch Nina bricht aus einem äußerlich
völlig intakten Sozialgefüge aus, ohne dass sich ihr Handeln rational
oder moralisch rechtfertigen ließe. Die persönliche Entfremdung ist
bereits zu weit fortgeschritten, als dass Handlungsnormen in ihrem Leben noch
als Orientierungspunkte dienen könnten. Vom Pathos des Aufbegehrens sind
Köhlers Filme jedoch weit entfernt. Vielmehr durchzieht sie ein leichtes
Phlegma, eine taube Müdigkeit, unter deren Last sich seine Protagonisten
kaum noch dazu aufrappeln können, ihre Sehnsüchte zu artikulieren.
Aus dieser emotionalen Verfassung heraus resultiert auch das gemächliche
Tempo von “Montag kommen die Fenster”. Auf ihrem Streifzug durch das deutsche
Mittelgebirge landet Nina in einem Sporthotel, das sie wie ein Gespenst durchstreift.
Die langen, anonymen Gänge, die Gäste, die sie durch die Fensterfassaden
beobachtet: Ihre gesamte Umwelt bekommt eine surreale Unschärfe. Der alternde
Tennisstar (Illie Nastase in seiner ersten Filmrolle), den sie in ihr Zimmer
lässt, ist von einer ähnlichen Leere erfüllt. Aber Nina sucht
nicht nach Verständnis. Sie will einfach nur für einen Augenblick
innehalten, bevor sie in ihr altes Leben zurückkehrt.
Köhler versteht es wie kaum ein anderer Regisseur,
das Scheitern normativer Lebensentwürfe mit einem präzisen Blick für
Details zu schildern. Spott hat er für seine Protagonisten dabei nicht
übrig. Köhler sieht sie in ihrem hilflosen Streben nach Sicherheit
genauso als Opfer der Verhältnisse wie die übrigen Modernisierungsverlierer.
Die Krise der Wohlstandsgesellschaft tritt dort am deutlichsten zum Vorschein,
wo die, die im Grunde alles haben, an ihrer Freiheit schier verzweifeln.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Pony (Göttingen)
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Zur DVD:
Versehen
mit zwei frühen Kurzfilmen des Regisseurs (die noch kaum auf die Spielfilme
hindeuten), ein paar Kinotrailern und einer „Presseshow“ mit Kritiken zum Film
(u.a. für Französisch-Könner auch, in unübersetztem Französisch,
ein gescannter Artikel aus den Cahiers de Cinema), verfügt die DVD nicht
gerade über ein enorm umfangreiches Bonusmaterial. Das Interessanteste,
neben dem Film selbst - ist ein im Booklet abgedrucktes Interview mit Köhler
und Kameramann Orth aus der Vierteljahrszeitschrift Revolver Heft 16. Aber über
das Hirn des Regisseurs kann man auch hier
was erfahren. (A.
Thomas)
Montag
kommen die Fenster
Deutschland 2005 - Regie: Ulrich Köhler - Darsteller: Isabelle Menke, Hans-Jochen Wagner, Ilie Nastase, Amber Bongard, Trystan Wyn Puetter, Elisa Seydel, Ursula Renneke, Rudi Berger, Ingo Haeb, Hartmut Becker - FSK: ab 12 - Länge: 88 min. - Start: 26.10.2006
DVD-Daten:
PAL, codefree, Ton 5.1, Bild 16:9
Sprachen: deutsch,
Untertitel: englisch, französisch
Extras: Original Kinotrailer, 2 Kurzfilme "Palü"
und "Feldstraße" von Ulrich Köhler, Presseshow, Booklet:
aktuelles Interview mit Ulrich Köhler und Patrick Orth
seit 22.06.2007 im Handel
empf. VK: 19,90 EUR BestNr. 45361
EAN 426003667361-6
ISBN 3-937045-61-9
Verleih: filmgalerie 451
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