zur
startseite
zum
archiv
Montag
kommen die Fenster
Allein im Norwegerpullover
Wenn sich das Einfamilienhaus als Sarkophag entpuppt:
Ulrich Köhlers zweiter Spielfilm, "Montag kommen die Fenster",
setzt das Endspiel einer Ehe in Szene - gekonnt entschlackt, ohne Diktatur des
Plots und mit Anflügen deutschen Seelensuchertums
Dass die Fenster am Montag kommen,
ist kein Grund zur Freude. Es ist ein Menetekel. Dann werden buchstäblich
die Läden dicht sein. Die kleinbürgerliche Kleinfamilienexistenz rattendicht
kalfatert, das Leben zu Ende. So jedenfalls verhalten sich, ohne es auszusprechen,
die Beteiligten. Die junge Ärztin und Mutter Nina (Isabelle Menke) hält
sich angesichts der Aussicht, das Eigenheim könnte fertig werden, die schönen
Jahre des Provisoriums könnten vorbeigehen, erst mal für schwanger
und unternimmt eine Sequenz von Fluchtversuchen. Frieder, der junge Vater (Hans-Jochen
Wagner), der den Sarkophag von einem Eigenheim mit seiner eigenen Hände
Arbeit zusammenzimmert, erkennt in den schließlich gelieferten Fenster
die falschen, überwirft sich mit dem Schreiner und tut alles für eine
Verlängerung der Zustands, den seine Frau, genießerisch an den Plastikplanen
in den Fensterrahmen entlangfahrend, zufrieden als "wie ein Zelt"
beschreibt.
Das Einfamilienhaus als Topos
eines Horrors, der nicht mit Gewalt und Tod droht, sondern damit, dass man von
Welt und Geschichte vergessen, im Familienleben lebendig begraben wird, ist
von bildender Kunst und Kino in den letzten Jahren viel bespielt worden; er
ist die andere Seite der aktuellen Familienbegeisterung: von den Horrorhäusern
Gregor Schneiders und Christoph Büchels über diverse Bühnenbilder
von Bert Neumann, schließlich von aktuellen Ausstellungen von der Berliner
NGBK bis zum Kunsthaus Graz. Und auch Ulrich Köhlers vielgerühmtes
Spielfilmdebüt hieß schon "Bungalow" und kreiste um Dorfrandverlorenheit und Individualarchitektur.
Köhler ist nicht nur ein
stilsicherer Vertreter jener "Berliner Schule" oder auch "Nouvelle
Vague Allemande" gelabelten Gruppe filmisch ambitionierter jüngerer
Regisseure, sondern er bereichert diese Schule auch, wie schon jetzt nach zwei
Features erkennbar, um eine ausgeprägt eigene Handschrift innerhalb der
unausgesprochenen Regeln: Autonome Bild- und Kameraarbeit hat Priorität
vor Plotsklaverei. Metonymisch stehen die so geernteten Bilder für das
Seelenleben der Protagonisten und bleiben dabei aber so ambig, wie das deutsche
Mittelgebirge an einem guten Tag nur ambig sein kann. Dialoge haben weder mehr
Tempo noch eine höhere Frequenz als im naturgemäß kommunikationsbehinderten
wirklichen Leben. Das Drama spielt im Kopf der Protagonisten, aus dem nur punktuell
kontaktaufnehmende Antennen als Blicke ausgefahren werden und sich einer Welt
zuwenden, die die Kamera als eine ebenso schöne wie zwingende Zumutung
zu zeigen hat. Keine extradiegetische Musik!
Anders als bei anderen Vertretern
dieser Schule aber, denen man von Antonioni bis Bresson mit jeder kanonischen
Figur des Filmischen Verbindungen nachgesagt hat, müsste man bei Köhler
eher von den Skandinaviern, ja generell den großen Protestanten sprechen
- Protestanten hier verstanden als Menschen, die mit ihren Zerrissenheiten und
Zerknirschungen allein im dicken Norwegerpullover bleiben. Vordergründig
geht es um eine ausgeglühte Ehe und eine Generation, die ihre Zukunft immer
in ihrer Kindheit sucht. Doch stärker ist ein filmisch-protestantisches
Menschenbild, das die Undurchdringlichkeit der Schädel für die Kamera
als Ursache für innere Gefangenheit und Ausweglosigkeit ihrer Bewohner
deutet. Was ich nicht sehen kann, die Seele, kann daher selber auch nicht sehen,
nicht aus seiner Prädestination heraus. Die Figuren leiden nicht an ihren
Handlungen oder an ihrem Schicksal, sondern an inneren Dispositionen, sie können
nicht anders, deshalb der Eindruck des Somnambulen. Diese Seelen, sie haben
ihren eigenen Kopf.
Nina verlässt in dem Moment,
in dem sich die Vollendung des Hausbaus abzeichnet, in leisen, aber zielsicheren
Aktionen das "Zelt", besucht ihren Bruder in einer anderen bedeutungsschwangeren
Hütte, dem Kindheitsferienplatz der beiden, und gondelt schließlich
durch waldreiche Berglandschaft zu einem unwirklich glitzernd erleuchteten Hotel
auf einem Harzgipfel, einer Baukuriosität aus den 70er-Jahren, einem Overlook-Hotel
für Fußgängerzonenplaner. Hier balanciert der Film nun wirklich
ziemlich furchtlos am Abgrund eines wohlberüchtigten deutschen Seelensuchertums.
Nina wandert ziellos an merkwürdigen Ritualen einer Gala und einer Tennisschauveranstaltung
vorbei. Und wie sie einmal derart befremdet von einem zutiefst metaphysisch
einsamen, aber auch ein wenig borniert bildungsbürgerlichen Außen
auf das nichtig seltsame Treiben der parvenühaften Abendgesellschaft schaut,
gemahnt an die kosmischen Krisen des Harry Haller.
Was einen hier an Herrmann-Hesse-Figuren
oder die Prosa des sogenannten magischen Realismus der deutschen Nachkriegszeit
denken lässt, ist die Konvergenz der Bilder jenes alten Prä-Politischen
der 50er mit dem heutigen Postpolitischen. Das langsame politisch wie auch für
individuelle Lebensplanungen Unverfügbarwerden der totalkapitalistischen
Gegenwart und Zukunft kommt bei Bildern und Stimmungen genau der Epoche an,
als die Vergangenheit, die Herkunft unverfügbar geworden war, in der Nachkriegszeit.
So wie damals die politische Erfahrbarkeit und mit ihr Unterscheidungen zwischen
Täter und Opfer von universellen Empfindungen von Geworfenheit zugedichtet
wurde, verschwindet hier die politische Natur der Unverfügbarkeit der Gegenwart
hinter einer poetisch erahnten, aber unverstandenen Welt, die sich um einen
langsam schließt, während man sie sich doch nur als prinzipiell offen
vorstellen kann.
Diese Krise wird treffend mit
dem Wunsch nach einer Kindheit in Verbindung gebracht, in der man nicht etwa
wieder Kind sein will, sondern die man von seiner heutigen Erwachsenenperspektive
aus beherrschen möchte. In der man den Vorteil der Selbstständigkeit
nutzt, um Abenteuer zu erleben in dieser doch so offenen und voller Potenziale
und Möglichkeiten steckenden Welt, deren Orte und Maße aber genau
feststehen. Regression ohne Regression: Nina will in ihrer eigenen Kindheit
ausgehen und so dem endlosen Endspiel der Ehe entrinnen. Ihr begegnet ein echtes
Überbleibsel aus den 70ern, ein charmant abgehalfterter rumänischer
Tennisstar, der den Rollennamen eines anderen 50er-Jahre-Meisters des Absurden
trägt, Ionesco, und von dem echten Ilie Nastase dargestellt wird. Nastase
stoppt dieses Soul-Searching. Er kommt aus einer anderen, profaneren Form der
Kindheitsbewältigung, dem Kult um vergessene, aber präzise Medieneindrücke
der ersten beiden Lebensjahrzehnte. Plötzlich konkretisiert sich ausgerechnet
dieses Mediale der Kindheitswelt in einem fetten Körper, der auf dem Bett
neben dir liegt und Champagner süffelt. Das Allerverfügbarste, die
Zeichenwelt, wird körperlich, massiv und schwerfällig.
Die stärksten Szenen hat
"Montag kommen die Fenster" in zwei missglückten Geschlechtsverkehrversuchen.
Der erste ist der von Nina und Nastase. Man hat das Gefühl, dass sie nur
mit ihm schlafen wollte, weil sie wissen wollte, ob das für sie möglich
wäre. Sie will sich der Potenzialität versichern. Die Realisierung
kann sie nicht gebrauchen. Das wird von beiden sehr schön gespielt. Der
zweite missglückte Geschlechtsakt ist ernster. Nina ist inzwischen zum
Haus der Plastikplanenfenster zurückgekehrt. Ein kleiner Junge ist gestorben.
Auf dem Weg zur Beerdigung geilen sich die Eheleute gegenseitig an ihrer sexy
schwarzen Trauerkleidung auf, die einen interessanten Touch von Unisex in die
Szene einführt. Im Auto fallen sie übereinander her.
Doch auch dieser Akt wird abgebrochen.
Nun nicht, weil es nur um Potenzialität, um das Schöne der bloßen
Möglichkeit des Miteinanderschlafens geht, sondern jetzt geht es, moralisch
gekalauert, darum, dass das Leben in der Potenzialität in der Aktualität
impotent macht. Damit vervollständigt sich eine auf eine Generation und
ihre Mittelschicht bezogene Lebensunfähigkeitsdiagnose von Ibsen'scher
Tragweite und Bergman'scher Bitterkeit. Diese Generation stattet nur immer wieder
der gloriosen Kindheit neue Besuche ab, deren Erträge immer dünner werden. Sie
sieht das politische Außen nicht, das ihre verstellte Welt hervorgebracht
hat. Der Film zeigt es auch nicht. Vielleicht liegt seine Stärke gerade
darin, dass man nicht wirklich entscheiden kann, ob er das Syndrom, das er zeigt,
nur aufblättert oder ob er ein Teil davon ist.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der: taz
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Zur DVD:
Versehen
mit zwei frühen Kurzfilmen des Regisseurs (die noch kaum auf die Spielfilme
hindeuten), ein paar Kinotrailern und einer „Presseshow“ mit Kritiken zum Film
(u.a. für Französisch-Könner auch, in unübersetztem Französisch,
ein gescannter Artikel aus den Cahiers de Cinema), verfügt die DVD nicht
gerade über ein enorm umfangreiches Bonusmaterial. Das Interessanteste,
neben dem Film selbst - ist ein im Booklet abgedrucktes Interview mit Köhler
und Kameramann Orth aus der Vierteljahrszeitschrift Revolver Heft 16. Aber über
das Hirn des Regisseurs kann man auch hier
was erfahren. (A.
Thomas)
Montag kommen die Fenster
Deutschland 2005 - Regie: Ulrich Köhler - Darsteller:
Isabelle Menke, Hans-Jochen Wagner, Ilie Nastase, Amber Bongard, Trystan Wyn
Puetter, Elisa Seydel, Ursula Renneke, Rudi Berger, Ingo Haeb, Hartmut Becker
- FSK: ab 12 - Länge: 88 min. - Start: 26.10.2006
DVD-Daten:
PAL, codefree, Ton 5.1, Bild 16:9
Sprachen: deutsch,
Untertitel: englisch, französisch
Extras: Original Kinotrailer, 2 Kurzfilme "Palü"
und "Feldstraße" von Ulrich Köhler, Presseshow, Booklet:
aktuelles Interview mit Ulrich Köhler und Patrick Orth
seit 22.06.2007 im Handel
empf. VK: 19,90 EUR BestNr. 45361
EAN 426003667361-6
ISBN 3-937045-61-9
Verleih: filmgalerie 451
zur
startseite
zum
archiv