Moolaadé
- Bann der Hoffnung
Der Aufklärer
Ein unbeschreibliches Gefühl der Euphorie:
Dem senegalesischen Filmemacher und Schriftsteller Ousmane Sembène geht
es um die Produktion von Erkenntnis - so auch in seinem neuen, beeindruckend
klaren Film "Moolaadé - Bann der Hoffnung"
Wenn der senegalesische Regisseur
Ousmane Sembène von seinem afrikanischen Publikum spricht, benutzt er
gerne den Begriff "mein Volk". Hinter dieser Bezeichnung verbirgt
sich nicht bloß eine Geste der Solidarität, sie prägt vielmehr
seit über vierzig Jahren Sembènes Selbstverständnis als Filmemacher
und Schriftsteller. Sembène macht Volkskunst im weitesten, aber auch
in einem unmittelbar kommunistischen Sinne. (Als Panafrikanist sieht Sembène
im übrigen keinen Unterschied zwischen afrikanischer und senegalesischer
Volksgemeinschaft) Seine Filme sind eine Gabe an "sein Volk", ein
unerlässliches Instrumentarium der Ermächtigung und ständigen
Reflexion. Sembène geht es grundsätzlich um Erkenntnisproduktion;
das Medium - ob Roman oder Film - betrachtet er dabei genauso selbstverständlich
als Mittel zum Zweck, wie er Europa als reinen Absatzmarkt für seine Arbeiten
begreift.
Diese sehr klare, pragmatische
Vorstellung von Autorenschaft hat ein bis heute singuläres Gesamtwerk hervorgebracht
- nicht nur im regionalen Kontext des afrikanischen Kinos, sondern weit darüber
hinaus wirkend. Sembènes Kino bezieht seine Faszination vor allem aus
dem Spannungsverhältnis zwischen denkbar einfachen Formen, rhetorischen
Figuren, Bildern, Gegenüberstellungen und dem polyphonen Arrangement dieser
Einzelelemente zu komplexen, mitunter auch widersprüchlichen Darstellungen
des postkolonialen Afrikas. Seine Filmsprache ist ein bewusster Rückgriff
auf das vorklassische Kino; lange Einstellungen und dialektische Montagen gehören
zu seinen wichtigsten stilistischen Merkmalen. Bewegung ist bei ihm niemals
Selbstzweck, sondern erfüllt genauso eine Funktion wie der Stillstand.
"Ich will alle unnötigen Worte und Reden entfernen und nur das Essenzielle
zeigen", hat Sembène einmal gesagt. "Wenn jemand spricht, filmt
die Kamera es. Wenn Schweigen herrscht, können wir beginnen, mit der Kamera
zu schreiben, Orte beschreiben, etwas anderes, hinter der Sprache Verborgenes
zeigen."
"Moolaadé - Bann der
Hoffnung", der zwei Jahre nach seiner Premiere in Cannes nun endlich in
die deutschen Kinos kommt, ist eines der eindringlichsten und schönsten
Beispiele für Sembènes unverwechselbaren Stil. Er führt neben
vielem anderen vor Augen, welch zentrales Problem Sprache in Sembènes
Filmen, im afrikanischen Kino im Allgemeinen, darstellt. Gedreht in einem kleinen
Dorf in Burkina Faso, sprechen die meisten der Darsteller Bambara, eine Sprache,
die nur in Teilen Westafrikas verbreitet ist. Um den Film in ganz Afrika zeigen
zu können, musste "Moolaadé", als erster Film Sembènes
überhaupt, in mehreren Sprachen synchronisiert werden. Ein Aufwand, den
der Film in jeder Hinsicht rechtfertigt. "Moolaadé - Bann der Hoffnung"
markiert zusammen mit dem Vorgänger "Faat Kiné" einen
Wendepunkt in Sembènes ereignisreicher Karriere.
"Moolaadé" ist
der zweite Teile der Trilogie "Der alltägliche Heroismus", mit
dem Sembène die Rolle der Frau innerhalb der afrikanischen Befreiungsbewegung
und der afrikanischen Gesellschaft würdigt. Emanzipierte, moderne Frauen
waren in den Filmen Sembènes immer schon anzutreffen, doch "Moolaadé"
unterscheidet sich noch einmal gravierend von den früheren Arbeiten, auch
von "Faat Kiné", weil der Regisseur das erste Mal die Stadt
verlassen hat und sich dem Leben im Hinterland widmet, das stärker als
das Leben in Dakar noch von der Vergangenheit und von religiösen Weltanschauungen
geprägt ist. Sein Thema verleiht dem Film darüber hinaus Brisanz:
Es geht in "Moolaadé" um die Tradition der so genannten weiblichen
Beschneidung - um Genitalverstümmelung, eine Praxis, die inzwischen von
38 Mitgliedern der Afrikanischen Union für ungesetzlich erklärt wird,
in den ländlichen Regionen Afrikas südlich der Sahara aber immer noch
weit verbreitet ist.
Für Sembène, der seit
Jahrzehnten Frauen als die treibende Kraft der afrikanischen Geschicke beschwört
("Afrika ist eine Frau" gehört zu seinen bekanntesten Aussprüchen),
ist "Moolaadé" eine Herzensangelegenheit. Wie ein Schwerstarbeiter
begleitet der inzwischen 82-Jährige seinen Film um die Welt, hält
Reden, gibt Interviews, ruft zur Diskussion auf. Besonders wichtig ist ihm,
den Film in den afrikanischen Dörfern aufzuführen, wo salindé,
die Beschneidung von jungen Mädchen, heute noch praktiziert wird. In dieser
halböffentlichen Funktion kam Sembène Ende April auch nach Deutschland,
auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung, für die der
arme Mann auf seine alten Tage noch den Repräsentationskasper machen musste.
Ousmane Sembène ist eine
beeindruckende Erscheinung. Wie er so vor einem sitzt, in seiner mit afrikanischen
Ornamenten verzierten Stoffhose und seinem orangen "Black World"-T-Shirt,
sieht man ihm sein Alter nicht an. Und immer noch gibt er sich kampflustig,
wenn man ihn mit den richtig-falschen Fragen traktiert. Seine Antworten, seine
Kritik an Europa kommen bestimmt, aber freundlich. Er ist ein höflicher
Gast. Auf meine Frage, was es ihm bedeute, im Westen als afrikanischer (und
eben nicht als senegalesischer) Regisseur wahrgenommen zu werden, antwortet
er sehr direkt: "Alle meine Filme handeln von Afrika. Mir geht es darum,
in meinen Filmen zu meinem Volk zu sprechen. Ich beziehe mich dabei auf eine
genuin afrikanische Geschichte, unsere Kultur, unsere Philosophie und versuche
darüber, die afrikanische Evolution zu beschreiben. Unsere Metaphern oder
unsere Musik sind mit denen Europas nicht zu vergleichen. Daraus entsteht für
mich allerdings kein Antagonismus. Ich betrachte es lediglich als eine Ergänzung,
eine Fortführung der Menschheitsgeschichte. Trotzdem sind wir heute an
einem Punkt in unserer Geschichte angekommen, an dem wir uns nicht mehr auf
andere verlassen können. Unser Schicksal liegt in unseren eigenen Händen."
Aufklärung und Bildung sind
für Sembène entscheidende Faktoren, sich zum Herrn über das
eigene Schicksal aufzuschwingen - er selbst paukte Ende der Fünfzigerjahre
als mittelloser Hafenarbeiter Marx, später auch die Schriften von Franz
Fanon, Patrice Lumumba und Pablo Neruda. Sembène versteht Kino als eine
didaktische Einheit; als "Intellektueller des Volkes" steht er immer
vor der Herausforderung, komplizierte Inhalte und Problematiken allgemein verständlich
und dabei emphatisch zu vermitteln.
"Moolaadé" ist
in seiner Ausgewogenheit zwischen Didaktik und Poetik ein kleines, nahezu vollkommenes
Wunderwerk. Aus der Figurentypologie geht eine klare Konfliktsituation hervor,
einige längere Dialogszenen identifizieren die gesellschaftlichen und politischen
Positionen, in denen schließlich auch der Wandel von Tradition zu Moderne
nachvollzogen wird. Sembènes Film ist ein klassisches Lehrstück,
und doch so viel mehr. Keine trockene Agitpropgrammatik, sondern eine sorgfältig
beobachtete Milieustudie, in der jeder Raum, jede Figur eine besondere Funktion
einnimmt.
Im Mittelpunkt von "Moolaadé"
steht Collé (Fatoumata Coulibaly), die Zweitfrau von Ciré. Collé
ist eine erbitterte Kritikerin der salindé und damit eine Herausforderin
der patriarchalen Ordnung. Sieben Jahre zuvor hat sie die Beschneidung ihrer
Tochter Amasatou (Salimata Traoré), die nun kurz vor der Heirat mit Ibrahim,
dem Sohn des Dorfoberhauptes Hadjatou, steht, untersagt. Aufgrund dieser Vorgeschichte
suchen vier junge Mädchen auf der Flucht vor ihrer eigenen Beschneidung
Unterschlupf in Collés Hof. Um die Mädchen vor dem Zugriff der salindana,
einer kastenähnlichen Gruppe von rot gewandeten Frauen, zu schützen,
spricht Collé in der Abwesenheit ihres Mannes einen moolaadé,
einen altertümlichen Schutzbann, über die Mädchen und ihr Haus
aus. Symbolisch verschließt sie den Eingang ihres Domizils mit einer bunten
Kordel. Das Wort hat bei Sembène noch eine spirituelle Kraft. Gebrochen
werden kann das moolaadé nur, indem Collé den Bann aufhebt - oder
öffentlich für ihren Ungehorsam bestraft wird.
Sembène schildert in "Moolaadé"
eine traditionelle Wertegemeinschaft, in die moderne Einflüsse einbrechen.
Zwei Figuren stehen exemplarisch für diesen Wertewandel: Ibrahim (Théophile
Sowié), der eine Pariser Erziehung genossen hat, und der "Söldner"
(Dominique Zeïda), ein fahrender Händler, der den Dorfbewohnern bunte
Plastikschalen und Kondome verkauft. Aber auch diese Moderne ist nicht unproblematisch.
Ibrahim lässt sich, als Hadjatou seine Hochzeit aufgrund der "Unreinheit"
Amasatous platzen lässt, widerspruchslos mit einer Elfjährigen vermählen,
und der "Söldner" ist ein Wucherer, der seine Geschäftspraktiken
mit der Globalisierung und den Zwängen des Marktes entschuldigt. Die Frauen
des Dorfes bleiben bei Sembène die einzig verlässliche moralische
Instanz. Während sie ihre tägliche Arbeit verrichten, läuft ständig
das Radio: ihr einziger Zugang zur modernen Welt. Später landen die Radios
auf einem Scheiterhaufen, wo sie weiter vor sich hinquäken.
Kino hat für Sembène
nichts Metaphysisches. "Es ist", sagt er, "keine große
Sache. Es geht immer nur um Menschen. Der eigentliche Film entsteht im Kopf
selbst. Das ist viel wichtiger als das, was auf der Leinwand zu sehen ist."
Mit "Moolaadé" bezieht Sembène sich vor allem auf die
afrikanische Tradition der griots, Geschichtenerzählern, die über
Jahrhunderte den Dreh- und Angelpunkt von versprengten Dorfgemeinschaften darstellten,
als Bewahrer einer für die afrikanische Identität unerlässlichen
oral history. Modernität ist für Sembène nicht um jeden Preis
zu haben.
Wie problematisch Sembène
selbst die Situation seines Kontinents als Spielball zwischen Tradition und
Moderne sieht - auch ein Grund, warum er ein entschiedener Gegner der verklärenden
Négritude-Bewegung um Léopold Senghor gewesen ist -, zeigt sich
in "Moolaadé" in einer kurzen Bemerkung des "Söldners"
gegenüber Ibrahim. "Africa is a bitch!", heißt es in der
englischen Übersetzung. In der deutschen Untertitelung wird daraus ein
"afrikanisches Miststück", ein bedauerlicher Fehler, weil Sembène
selten so deutliche Worte gefunden hat. (Eine ähnliche Verschlimmbesserung
findet sich in Cirés entscheidenem Schlußsatz, wenn er Hadjatou
zornig „Es bedarf mehr als einem Paar Eier, ein Mann zu sein“ entgegnet, einer
drastischen Abwandlung der Bambara-Redensart „Es bedarf mehr als einer Hose,
ein Mann zu sein“. Die deutsche Übersetzung übernimmt jedoch die Bambara-Redewendung
und nimmt Sembènes Kommentar damit die Schärfe)
Zugleich genügt Sembène
eine einzige Montage, um den Bruch zwischen Tradition und Moderne in seinen
Filmen zu überbrücken. Am Ende von "Moolaadé" schneidet
er von dem Straußenei, das seit über 150 Jahren auf der Spitze der
Moschee sitzt, auf eine Fernsehantenne und suggeriert damit die Möglichkeit
zur Veränderung. So einfach funktioniert das Kino des Ousmane Sembène.
Die zwingende Logik hinter dieser geradlinigen Bewegung ist frappierend; eins
führt zum anderen, A nach B. "Kino ist Mathematik", erklärt
Sembène auf meine Frage hin. Dieses Bild ist nicht von der Hand zu weisen.
Wie beim Lösen einer komplizierten mathematischen Gleichung, die am Ende
auf wundersame Weise aufgeht, verspürt man auch nach einem Sembène-Film,
wenn sich die fundamentalen Elemente des Kinos plötzlich zu einer magische
Einheit fügen, ein unbeschreibliches Gefühl der Euphorie.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Moolaadé
- Bann der Hoffnung
Senegal
/ Frankreich / Burkina Faso / Marokko / Kamerun / Tunesien 2004 - Originaltitel:
Moolaadé - Regie: Ousmane Sembène - Darsteller: Fatoumata Coulibaly,
Maïmouna Hélène Diarra, Salimata Traoré - FSK: ab
12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 120 min. - Start: 11.5.2006
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