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The
Mothman Prophecies
Richard
Gere in einem melancholischen Horrorfilm zwischen David Lynch und „Akte
X“
Wer vor fünf Jahren ins Kino ging, um sich so richtig
zu gruseln, der landete meist in einem formelhaften Horrorfilm, der einfallslos
auf ausgetretenen Plot-Pfaden wandelte. Oder in einem „postmodernen“ Machwerk
wie SCREAM, dessen ironische Selbstbezüglichkeit bloß dem Zweck diente,
den kreativen Leerlauf zu verschleiern. Das änderte sich erst mit THE BLAIR WITCH PROJECT, THE SIXTH SENSE und zuletzt THE OTHERS – Filme,
die ihr Genre und Publikum ernst nahmen und damit großen Erfolg hatten.
Statt ausdrucksloser Teenagergesichter gibt es im Horrorkino wieder glaubwürdige,
facettenreiche Figuren zu sehen, statt aneinander gereihter Splatterszenen wieder
originelle und phantasievolle Geschichten.
Basierend
auf einem (angeblichen) Tatsachenroman erzählt THE MOTHMAN PROPHECIES eine
atmosphärische Geschichte, bei der am Ende zwar teure Spezialeffekte nicht
ganz fehlen – schließlich sind wir in einer Hollywoodproduktion, für
die allein Richard Gere 15 Millionen Dollar Gage erhalten haben soll – , die
sich aber die neue Tugendhaftigkeit des Genres geschickt zu eigen macht. John
Klein (Richard Gere), ein erfolgreicher Reporter der Washington Post, muss erleben,
wie nach einem mysteriösen Autounfall sein privates Glück zerbricht.
Ärzte entdecken bei seiner Frau Mary einen unheilbaren Gehirntumor. Bevor
sie stirbt, zeichnet sie immer wieder eine merkwürdige Erscheinung, die
sie kurz vor dem Unfall zu sehen glaubte: Ein Wesen mit großen dunklen
Schwingen und roten Augen.
Zwei
Jahre später ist John auf dem Weg nach Richmond, als eine Autopanne ihn
dazu zwingt, mitten in der Nacht an einer fremden Haustür zu klingeln.
Es erwartet ihn ein aufgebrachter Mann (großartig paranoid: Will Patton),
der behauptet, Klein stünde jetzt schon die dritte Nacht in Folge vor seiner
Tür. John erfährt, wo er sich befindet: In der Kleinstadt Point Pleasant
bei Washington, mehr als 1000 Kilometer von seinem eigentlichen Zielort entfernt.
Und er ist offenbar nicht der einzige, dem hier Seltsames widerfährt: Manche
Einwohner, berichtet ihm die Polizistin Connie Parker (Laura Linney) zögernd,
haben die Bekanntschaft eines mottenähnlichen Wesens mit rotglühenden
Augen gemacht...
Unversehens
sind wir in eine Kleinstadtwelt der Zeichen und Wunder geraten, die nicht nur
in ihrem ausgefeilten Sounddesign an die strange world des David Lynch erinnert.
Wenn der „Mothman“ telefonischen Kontakt mit John aufnimmt und mit metallisch-krächzender
Stimme seine Allwissenheit unter Beweis stellt, glaubt man, es mit einen nahen
Verwandten des unheimlichen „Mystery Man“ aus Lynchs LOST
HIGHWAY
zu tun zu haben. Bei aller Abgründigkeit, in der sich Realität und
Schein effektvoll vermischen, taucht die immer wieder spannende Frage nach der
Erklärbarkeit des Unerklärlichen auf: Existiert wirklich ein geisterhaftes
Wesen, das Prophezeiungen am Telefon diktiert? In solch quasi-halluzinatorischen
Szenen findet THE MOTHMAN PROPHECIES zu einer Qualität, die das wahrhaft
Unheimliche auszeichnet: eine Doppelbödigkeit, die sich auf die Hauptfiguren
und die ganze Erzählhaltung des Films erstreckt, ein Spiel zwischen Vernunft
und Traum, das auch uns langsam einspinnt. Denn eine weitere, unbehagliche Möglichkeit
lauert im Hintergrund: Entspringen die Ereignisse vielleicht nur dem verwirrten
Verstand eines Mannes, der mit dem Tod seiner Frau nicht zurechtkommt? Überraschenderweise
ist es Richard Gere, der aus dem Ensemble herausragt und eine der besten Leistungen
seiner Karriere liefert. Mit sparsamen, stoischen Gesten macht er die Verzweiflung
eines Mannes spürbar, der tief traumatisiert versucht, sein Leben unter
Kontrolle zu halten.
Leider
entsteht daraus dann doch kein undurchdringliches Mysterienspiel à la
Lynch. Das ansonsten geschickt konstruierte Drehbuch entscheidet sich schnell
für eine Eindeutigkeit, die auch auf kommerzielle Erwägungen zurück
gehen mag. Dauernd geschieht offensichtlich Unmögliches, und zu viele Menschen
machen mit dem „Mothman“ Bekanntschaft. Stapelweise sammeln John und die Polizistin
Zeugenaussagen, als recherchierten die FBI-Agenten Scully und Mulder für
die berühmten X-Akten.
Trotz
dieser Schwäche ist ein Stück erstaunlich melancholisches Gruselkino
entstanden. Und Regisseur Mark Pellington, der vor allem durch seine Musikvideos
(u.a. für U2) bekannt wurde, kultiviert wie sein Kollege David Fincher
einen Inszenierungsstil, der von hohem Formbewußtsein geprägt ist,
ohne in prätentiöse Stilisierung abzugleiten. Schon ARLINGTON
ROAD,
Pellingtons einziger Spielfilm, der es bisher in deutsche Kinos schaffte, bewies
sein Talent, subtilen Suspense und komplexe Figuren nicht einer ausgeprägten
visuellen Gestaltung zu opfern.
In bester Hitchcock-Tradition nimmt uns THE MOTHMAN PROPHECIES
bei der Hand und läßt sie nicht mehr los, ohne dass dabei das Gefühl
aufkommt, nur manipuliert und überwältigt zu werden. Denn wie bei
den erfolgreichen Vorgängern dient auch hier das Übersinnliche dazu,
menschlichen Grundängsten eine symbolische Form zu verleihen. Die Angst,
dem Schicksal hilflos ausgeliefert zu sein, einen geliebten Menschen oder einfach
die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren, wird schmerzhaft fühlbar – und durch den phantastischen Rahmen verhandelbar. Die
neue Ernsthaftigkeit tut dem Genre sehr, sehr gut.
André
Götz
In
dieser Fassung ist dieser Text nur in der filmzentrale erschienen
The
Mothman Prophecies
USA
2002. R: Mark Pellington. B: Richard Hatem (nach dem Buch von John A. Keel).
P:
Tom Rosenberg, Gary Lucchesi, Gary Goldstein. K: Fred Murphy. Sch:
Brian Berdan. M:
Tomandandy, Liza Richardson. T:
Pud Cusack. A:
Richard Hoover, Troy Sizemore. Ko: Susan Lyall. Sp: Peter Chesney, Robert Grasmere,
Laurel Klick. Pg: Screen Gems/Lakeshore Entertainment. V:
Concorde. L: 119 Min. FSK: 12, ffr. Da: Richard Gere (John Klein), Laura Linney
(Connie), Will Patton (Gordon Smallwood), Debra Messing (Mary Klein), Lucinda
Jenney (Denise Smallwood), Alan Bates (Alexander Leck), David Eigenberg (Ed).
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