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Moulin
Rouge!
Es
gibt nichts einfacheres, als diesen Film in der Luft zu zerreissen. Wer bei
"A Knight's Tale" Anstoß nahm an musikalischen Anachronismen,
wird hier beispielsweise schnell mundtot gemacht. Vom Prinzip her funktioniert
die Tonspur wie bei Alain Resnais "On connait la chanson", nur daß
dabei nicht behauptet wurde, daß diverse Songs und gesprochene Lyrics
von Marilyn Monroe bis Madonna, von Kiss bis Nirvana oder von Elton John, David
Bowie und The Police, um nur die auffälligsten zu nennen, alle bereits
Ende des 19. Jahrhunderts bekannt waren.
Doch
streng genommen spielt "Moulin Rouge!" (Das Ausrufungszeichen ist
natürlich Programm, oder, besser gesagt: Programm!) nicht wirklich im Paris
des Jahres 1899, sondern auf einem artifiziellen Rummelplatz, dem filmischen
Äquivalent eines Fatboy Slim-Songs und -Videos. Wurde Peter Bogdanovich
nach "What's up, Doc" als "flinker Leichenfledderer" tituliert,
so zeigt Baz Luhrmann hier, wie zurückhaltend Bogdanovich seinerzeit war.
Hier ist alles geklaut, die Story ist Beispielsweise ein Konglomerat aus den
kinogerechten tragischen Liebesgeschichten, in denen Leonard DiCaprio zum Superstar
wurde, nur daß das Ganze durch eine Rahmenhandlung und eine Spiel-im-Spiel-Dopplung
zeitweise eher an "The Player" erinnert, also eine Zweckehe aus purer
Unterhaltung und intellektuellen Insiderwitzen. Beim Wort "intellektuell"
sind wir aber beim Knackpunkt des Films, denn wenn man es schafft, während
des musikalischen Mega-Medleys, während des Bildersturms, der "Le
fabuleux destin d'Amelié Poulain" oder die Filme von Gilliam und
Coen mit Leichtigkeit wegfegt, wer es da schafft, den Film kritisch zu hinterfragen,
der wird allzu leicht fündig. Die Story ist so konstruiert, daß die
bewußte Selbstreferentialität, die alles durchdringende Künstlichkeit
und der nichtexistente Anspruch an Realismus das Mindestmaß an Alibifunktion
ausmachen, einen all das schlucken zu lassen, was das unaufhörliche Tempo
dieses leierkastenähnlichen Kinofilms ausmacht. Jede Drehung der Windmühlenräder
ist wie ein Schlag ins Gesicht des Zuschauers, um diesen wie Don Quixote davon
abzuhalten, hinter aller Illusion die Kulissenhaftigkeit und Oberflächlichkeit
wahrzunehmen.
Angeblich
dreht sich der Film um Schönheit, Wahrheit, Freiheit und Liebe, doch wenn
man Luhrmanns Freiheiten und Kidmans Schönheit noch preisen mag, so hat
dieses Konstrukt der Liebe und Emotion wenig mit Wahrheit zu tun.
Während
des Finales der Theaterpremiere wird es immer offensichtlicher, daß die
tuberkolosekranke Satine keine zweite Vorstellung erleben wird, und ihr Lover
Christian (der natürlich auch mal mit Shakespeare verglichen wird) soll
erschossen werden, doch weil das alles so weit entfernt von unserer Wirklichkeit
ist, daß es dem Regisseur schwerfallen würde, uns das schlucken zu
lassen, lenkt er uns mit slapstickartigen Kapriolen und einer Jagd nach der
Pistole ab, während der Impresario immer wieder damit beschäftigt
ist, das Theaterstück, welches auseinanderzufallen droht, durch Improvisation
zu retten.
Ähnlich
muß man sich auch die Rolle Luhrmanns beim Drehen des Films vorgestellt
haben: Überall, wo der Film nicht funktionierte, wo Sand in den Leierkasten
geraten ist, wo man durch die Kulisse durchschauen kann, wurde einfach das Tempo
erhöht oder noch eine Schicht Make-Up draufgekleistert, und es ist eine
unerhörte Leistung, daß dieses artifizielle Konstrukt, diese minderbemittelte
Kopfgeburt nicht unter der puren Last der Oberflächlichkeit, der visuellen
Reize der mittlerweile zweiten MTV-Generation zusammenbricht.
Somit
ist "Moulin Rouge!" ein Film wie "MI 2". Selbst, wenn man
durchschaut, wie verachtenswert einiges ist, wie solche Filme die Zukunft des
Kinos vergiften werden, weil der nächste größenwahnsinnige Regisseur
natürlich versuchen wird, Luhrmann oder Woo zu toppen, und damit noch mehr
Tempo und Oberflächlichkeit und noch weniger Kino-Substanz auf die Leinwand
bringen wird, selbst dann kann man noch immensen Spaß an diesem Film haben,
auch wenn man sich ein bißchen dafür schämt, wenn man schon
über 12 ist.
Thomas
Vorwerk
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
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diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken
Moulin
Rouge!
USA
2000
Regie:
Baz
Luhrmann
Buch:
Baz Luhrmann, Craig Pearson
Kamera:
Donald McAlpine
Schnitt:
Jill
Billock
Musik:
Craig Armstrong, Marius DeVries
Choreographie:
John
O'Connell
Ausstattung:
Catherine Martin
Kostüme:
Catherine Martin, Angus Strathie
Darsteller:
Nicole Kidman (Satine), Ewan McGregor (Christian), John Leguiza
(Toulouse-Lautrec), Jim Broadbent (Harold Zidler), Richard Roxburgh (The Duke),
Kylie Minogue (Green Fairy), Placido Domingo (Voice of the "Man in the
Moon")
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