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München
Wir
und sie
GEWALTSPIRALE
Steven Spielberg geht es in
seinem Film "München" um die Zwiespältigkeit der Rache
Um es gleich vorauszuschicken:
Der Film ist natürlich eine Enttäuschung. Er wird dem Hype nicht gerecht,
der um ihn gemacht wird. Wer ihn aus Interesse an den essentiellen Themen und
Konfliktlagen unserer heutigen Welt anschaut, in der Hoffnung, etwas über
den Nahostkonflikt im Speziellen oder gar den Terrorismus im Allgemeinen zu
erfahren, wird das Kino wohl kaum klüger als vorher verlassen. Ganz nach
Ausgangslage werden die einen genervt sein, die anderen zufrieden und die dritten
gleichgültig. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn „München“
ist nur ein Film.
Die Enttäuschung hat zwei
Hauptursachen: Zum einen wird nach dem Film deutlich, dass ein großer
Teil der Diskussionen im Vorfeld schlichtweg am Thema vorbeiging. Er habe nicht
mit den Angehörigen der Opfer gesprochen, hielt man Spielberg vor - aber
„München“ beschäftigt sich nicht mit dem Attentat selbst, sondern
der israelischen Racheaktion danach. Er habe die historische Wahrheit verfälscht,
hieß es auch - aber wie will man das einem Film nachweisen, der freimütig
zugibt, "inspiriert" zu sein von "realen Geschehnissen"
und weder seine Vorlage, George Jonas´ „Vengeance - The True Story of
an Israeli Counter-Terrorist Team“ verschweigt, noch die Tatsache, dass man
eine und nicht die Geschichte erzählen wollte?
Die zweite Quelle der Enttäuschung
hat mit dem zu tun, was man die Haltung des Films nennen könnte. Klagen
darüber waren von beiden Seiten zu hören: den einen war er nicht pro-israelisch
genug, den anderen nicht ausreichend pro-palästinensisch. Das zweifache
Ungenügen schien immerhin anzuzeigen, dass „München“ genügend
"politisch korrekt" sei. Doch seltsamerweise enttäuscht der Versuch,
beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch den vermeintlich "Objektiven",
und erzeugt das unbestimmte Gefühl, die Schärfe des Konflikts nicht
wirklich angemessen wiederzugeben. Aber schließlich ist „München“
ja auch nur ein Film.
Entgegen dem, was in den letzten
Tagen häufig zu lesen war, liegt Spielberg mit seiner political correctness
im Übrigen ziemlich im Hollywood-Mainstream. Nach dem 11. September 2001
nämlich ist dort große Sorgfalt eingekehrt, was die Behandlung von
stereotypen Feindbildern aus dem Nahen Osten angeht. Vertraten "Araber" vorher
oft idealtypische Bösewichter, sind sie seit 2001 verpflichtet auf die
Rolle der verdächtigten Unschuld. Wo immer im Film heutzutage ein Araber
ein Flugzeug besteigt, begleiten ihn zwar stets die misstrauischen Blicke der
übrigen Filmfiguren, der Zuschauer jedoch kann sicher sein, dass es sich
dabei um eine falsche Fährte handelt.
Er habe den Vereinfachern nicht
das Feld überlassen wollen, sagt Spielberg in seinen Interviews zum Film
immer wieder. Das ist nicht ohne Ironie aus dem Mund eines Regisseurs, den man
genau darin für groß hält: im Vereinfachen. Spielbergs Filme
waren nie intellektuelle Großtaten, aber eben auch kein dummes Spektakelkino.
Deshalb kann die ebenfalls im Umfeld von „München“ geäußerte
Ankündigung, er habe endlich etwas Ernsthaftes machen wollen, die Fans
nur düpieren. Tatsächlich zeichnete Spielberg aus, dass er seine Sache,
seien es weiße Haie, Dinosaurier oder Außerirdische, stets sehr
ernst nahm. Die Filme, mit denen er früher bereits ins "Seriöse"
gewechselt war, „Der Soldat James Ryan" und „Schindlers Liste“, sind darüber hinaus beste Beispiele dafür, dass "ernst"
nicht gleichbedeutend mit kompliziert sein muss. Beide Male gelang es Spielberg
mit sozusagen kindlichem Gemüt den Nerv der Zeit zu treffen. Und mit „München“,
der "Hype" um den Film ist der beste Beweis dafür, ist ihm das
ein weiteres Mal gelungen. Trotz alledem ist der Film übrigens sehr sehenswert.
Eigentlich hätte Spielberg
es sich leicht machen und "einfach" einen Film über das Attentat
drehen können. Was für ein dramatisches, markerschütterndes Stück
Kino daraus hätte werden können, führt Spielberg mit der Eingangssequenz
von „München“ vor, in der er in einer Collage aus Spielszenen und Archivaufnahmen
den verhängnisvollen Hergang rekapituliert. Schnell wird dabei klar, dass
sich der Regisseur weder für die taktischen Fehler der deutschen Polizei
noch für die der Politiker oder der involvierten Medien interessiert, sondern
allein für die Konfrontation von Opfern und Tätern, Israelis und Palästinensern.
Die Opfer verhalten sich heldenhaft - einer könnte aus dem Fenster entkommen,
macht dann aber kehrt und versucht Widerstand zu leisten, was ihn prompt das
Leben kostet. Die palästinensischen Entführer sind rüde, hektisch
und ungeübt. Spielberg zeigt sie einmal nicht als zynische, machtgeile
Spieler, sondern als Getriebene.
Der eigentliche Film aber beginnt
erst nach dem katastrophalen Ausgang der Entführung. Er handelt von einer
geheimen Mission und dementsprechend fühlt man sich zunächst in einen
James-Bond-Film versetzt: Mossad-Agent Avner (Eric Bana) bekommt den Auftrag,
als Kopf einer Brigade elf für das Münchner Attentat Verantwortliche
aufzuspüren und zu töten. Zuerst ein williger Soldat seines Landes,
steigen in Avner mit zunehmendem Missionserfolg immer größere Zweifel
auf.
Die moralische Zwiespältigkeit
dieser Racheaktion bildet das eigentliche Thema des Films: Nach dem ersten gelungenen
Attentat sitzen Avner und sein Team in Rom im Straßencafé und philosophieren
melancholisch darüber, ob man auf einen Mord anstoßen darf. Beim
zweiten Attentat beweisen sie sich und uns Zuschauern ihre Menschlichkeit, indem
sie fast um den Preis des eigenen Auffliegens in letzter Minute verhindern,
dass die kleine Tochter der "Zielperson" mit in die Luft fliegt. Auch
die dritte Zielperson erweist sich als typisch menschlich, indem sie, unmittelbar
bevor die Bombe ausgelöst wird, den Hotelzimmernachbarn Avner um Feuer
bittet. Die Attentäter mit Staatsauftrag beginnen sich zu fragen, ob es
richtig ist, was sie da tun, und ob ihre "Zielpersonen" auch tatsächlich
schuldig sind. Dass die Tätigkeit im Rachebusiness nicht ohne Folgen für
ihre Persönlichkeiten bleibt, zeigt der Film schließlich in seiner
bizarrsten Episode, in der die Männer den Mord an einem ihrer Mitstreiter
"auf eigene Faust", wie es so schön heißt, rächen.
Dass es sich diesmal bei ihrem "Ziel" um eine Frau handelt, macht
die Sache nicht schöner.
Man, der Zuschauer, weiß
dabei immer, was man zu fühlen hat: Zwiespalt. Tragik. Spielberg illustriert
die Konfliktlage mit recht herkömmlichen Bildern: Blut und Milch mischen
sich auf dem Boden des ersten Tatorts - verloren ist die Unschuld. Avner, ein
Hobbykoch, bereitet seinen Mitstreitern immer überbordendere Mahle, die
immer weniger angerührt werden - Rache ist ein Gericht, das auf den Magen
schlägt. Von Tod zu Geburt schließt sich der Kreis, wenn Avner sein
neugeborenes Baby im Arm hält, genauso vom September 1972 zum September
2001, wenn im Hintergrund des Schlussbilds die Türme des World Trade Centers
zu sehen sind. Stets weiß man, was gemeint ist, einen tieferen Sinn muss
man allerdings nicht vermuten.
Wirklich interessant wird der
Film jedoch in jenen Passagen, in denen die Absichten weniger klar sind. Da
ist zum einen der Räuber-Charme, der cineastische Outlaw-Glamour, den die
fünf Männer entwickeln. Der Macho Steve (Daniel Craig), der Kindskopf
Robert (Mathieu Kassovitz), der alte Melancholiker Hans (Hanns Zischler), der
verschlossen-steife Carl (Ciaran Hinds) und der ewig brütende Avner: Einzeln
genommen sind sie eine kuriose Ansammlung männlicher Untugenden, zusammen
ergeben sie ein erschreckend flottes Team, das man als Zuschauer geradezu anfeuern
und bejubeln möchte - bevor man realisiert, dass man dabei vielleicht eben
jener Illusion der Stärke aufsitzt, die die Gewaltspirale immer weiter
treibt.
Die frivole Aura der siebziger
Jahre wird liebevoll in Szene gesetzt, die europäischen Schauplätze
tun ihr Übriges: Berlin, Rom, Paris, London, Athen. Wie im Vorübergehen
bietet der Film dabei eine Riege europäischer Schauspieler auf, die man
in einem Spielberg-Film nicht erwartet und die auf angenehme Weise irritieren:
Meret Becker schimpft in West-Berlin auf den Kapitalismus, während Moritz
Bleibtreu als Jugendfreund Kontakte zu Ivan Attal verschafft, der schließlich
Avner mit dem von Matthieu Amalric gespielten Louis bekannt macht, der rätselhaftesten
Figur des Films. Louis verkauft Logistik und Informationen, aber seine kurzen
Gespräche mit Avner verraten, dass er Prinzipien hat. Später stellt
er Avner seinem "Papa" (Michael Lonsdale) vor. "Wir arbeiten
nicht für Regierungen", ist das Credo der Familie, deren Weltanschauung
Avner und dem Zuschauer ein irritierendes Geheimnis bleibt.
Dabei sind es Louis und sein "Papa",
die die eigentliche Arbeit machen: Sie spüren die von Avners Team gesuchten
Leute auf, buchen die Unterkünfte und besorgen den Sprengstoff. Die Logistik
lassen sie sich teuer bezahlen, aber bis zum Schluss können sich die Israelis
nie sicher sein, ob sie von Louis nicht betrogen oder zumindest benutzt werden.
Nur einmal werden sie ganz offensichtlich von ihm hinters Licht geführt:
In der Nacht vor einem Attentat dringt in die konspirative Wohnung in Athen,
in der Avners Team auf Matratzen nächtigt, ein Trupp Palästinenser
ein, der darauf beharrt, hier ebenfalls von Louis gebucht zu sein. Die Israelis
geben sich als europäische Linksradikale aus und in vermeintlicher Gleichgesinntheit
teilt man das Nachtlager. Bei nächtlicher Zigarettenpause kommt es zum
Gespräch zwischen Palästinenserführer Ali und Avner. Ali redet
von Vertreibung und Flüchtlingslagern und davon, wie bitter es ist, keine
Heimat zu haben.
So plump, plakativ und ausgedacht
die Szene auch sein mag, belegt sie wie keine andere die Schwierigkeit, wenn
nicht Unmöglichkeit des Dialogs. Nicht nur, dass der Palästinenser
hier nur deshalb redet, wie er redet, weil er nicht weiß, dass ihm ein
Israeli gegenüber sitzt; auch der Israeli kann nur zu hören, weil
er sich hier als jemand anderes ausgibt. Für beide Seiten gibt es immer
nur ein kollektives "Wir", dem das kollektive "sie" der Feinde
gegenüber steht. Mit "ihnen" aber spricht man nicht; man spricht
allenfalls über sie. Als Ali und Avner sich ein paar Szenen später
im Bewusstsein in die Augen sehen, nun zu wissen, wer der andere ist, endet
das für einen der beiden zwangsläufig tödlich. Die Hoffnung,
dass die gegnerischen Seiten miteinander sprechen, einander verstehen könnten,
macht der Film mit der typischen Paranoia des Thrillers, in der am Ende jeder
jedem misstraut, zunichte. Aber es ist ja auch nur ein Film.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen in: freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
München
USA 2005 - Originaltitel: Munich - Regie: Steven Spielberg - Darsteller:
Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Ciaran Hinds, Hanns
Zischler, Moritz Bleibtreu, Meret Becker - Prädikat: besonders wertvoll
- FSK: ab 16 - Länge: 164 min. - Start: 26.1.2006
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