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München
Ein Hitchcock mit
Gewissensbissen: Steven Spielbergs Synthesefilm Munich
München
1972, die Ermordung 11 israelischer Athleten durch palästinensische Fedajin,
ist die Geburtsstunde des modernen, internationalen und medienversierten Terrorismus
gewesen. Die Instrumentalisierung politischer Geiseln und die beabsichtigte
Medienwirkung eines Anschlages hatte die Welt bis dahin nicht erlebt – es
sollte die Fratze des Terrorismus bis Bin Laden und weiter nachhaltig bestimmen.
Die Neuartigkeit des Phänomens hat auch Auswirkungen auf die israelische
Reaktion. An diesem heiklen Punkt, Israels Vergeltungsmaßnahmen, setzt
Steven Spielberg mit Munich
an. Dabei ist nicht weniger herausgekommen als Spielbergs bester Film.
Die
Handlung von Munich
orientiert
sich an dem höchst umstrittenen Buch Vengeance
des kanadischen Journalisten George Jonas. Dieser gibt in dem 1984 erschienen
Buch die Aussagen des vermeintlichen Ex-Mossad Agenten Juval Aviv wider, der
der Kopf eines israelischen Killerkommandos gewesen sein will. Seine Aufgabe:
Die Drahtzieher des Münchener Anschlages finden und ausschalten. Bereits
1986 ist die spektakuläre, aber bis heute nicht ausreichend belegte Geschichte
von Michael Anderson für den Fernsehsender HBO verfilmt worden (Sword
of Gideon).
Die spektakuläre Jagd und Ermordung der angeblichen Terroristen ist ein
dankbares Thema für einen Actionthriller und dürfte mitunter den Ausschlag
für das Interesse Spielbergs, des großen Regisseurs des Popcornkino, gegeben haben.
Glücklicherweise
ist Spielberg wohl aufgrund der heiklen Thematik nicht nach seinem bisherigen
Schema vorgegangen, das zuletzt in War
of the Worlds
vielfach enttäuscht hat. Handwerk und Stil, soweit es dieser Feststellung
überhaupt noch bedarf, entsprechen zwar nach wie vor dem, was man von einem
Regisseur seines Formats erwarten darf: Kamera, Schnitt und Musik sind durch
das gewohnte Trio Kaminski, Kahn und Williams bestens vertreten und von Spielberg
perfekt zusammengeführt, der Zuschauer fest im Griff des Meisters. Was
Wunder, dass der actionreiche Hauptteil des Agentenfilms dieses Mal nicht nur
technisch, sondern auch inhaltlich stark an Hitchcock erinnert. Interessant
indes wird es, wo Spielberg vom bisherigen Kurs abweicht und über die Erwartungen
hinausgeht.
Das
ist das unausbleiblich Politische des Films. Tatsächlich haben sich Kontroversen
direkt nach seinem Erscheinen in den USA eingestellt. In der Variety
und New
York Times
wurde Spielberg von israelischen Diplomaten für die angebliche Gleichsetzung
palästinensischer und israelischer Anschläge scharf kritisiert. Auch
wenn zu Anfang des Films gleichsam als Warnung der Hinweis auf die bloße
„Inspiration“ durch „tatsächliche Begebenheiten“ erfolgt, hat Spielberg
sich dadurch nicht in die Narrenfreiheit der Fiktion flüchten können.
Auch deswegen nicht, weil ein weiterer Hinweis auf die Anzahl eliminierter Ziele
am Ende des Films doch wieder den Anschein des Authentischen erweckt. Darauf
aber kommt es nicht an, weil Munich
zum einen jedes in dieser Glaubenssache vorgebrachte Argument für und wider
israelische Gewalt zumindest andeutet, also politisch unvoreingenommen ist,
zum anderen vornehmlich die Geschichte eines Einzelnen erzählt, eben des
Agenten Avner (Eric Bana) und seiner Gewissensbisse.
Dieser
Mann ist weder ein kalter Killer noch das alttestamentarische Judenstereotyp,
das seine Toten Aug’ um Aug’ und Zahn um Zahn unerbittlich rächt. Avner
ist im Gegenteil ein Ausweis hoher, weil reflektierter Moral: Er tötet
das Gros seiner Ziele, zweifelt aber sowohl an Berechtigung als auch am Nutzen
seiner Taten und geht im letzten Teil des Films daran zu Grunde. Er ist kein
Fedajin, der mit verkorkster Jungfrauenmetaphysik die Moral aufhebt oder gar,
wie tatsächlich durch zwei überlebende und frei gepresste Attentäter
geschehen, die Ermordung Unschuldiger als Heldentat verkündet. Avner ist
Mensch geblieben und Spielberg inszeniert geschickt das Widerspiel von Motivation
– der Schock über die Brutalität von München – und moralischen
Bedenken. Damit bleibt er nicht, wie es wohl am gefälligsten gewesen wäre,
bei Hitchcock stehen und erschafft bloß einen historisch angehauchten
Agentenfilm mehr, sondern scheut die Komplexität historischen Geschehens
nicht, wobei Kritik eben nicht ausgeschlossen ist und sein darf.
Munich
markiert in diesem Sinne eine neue Ebene im Schaffen Spielbergs. Es ist weiterhin
das, womit er sich seinen Platz in der Filmgeschichte erobert hat: Manipulatives,
höchst unterhaltsames Popcornkino, für das Jaws
und
Indiana
Jones 3
stehen. Zugleich ist der Inhalt überaus ernst, ja teilweise erschütternd
brutal, wie es ansatzweise Amistad,
gänzlich, aber leicht verkitscht, Schindler’s
List
gewesen sind. Munich
stellt die Synthese dieser beiden Pole dar und ist daher Spielbergs bisher bester
Film.
Thomas
Hajduk
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
München
(Munich)
USA 2005
- Regie: Steven Spielberg - Darsteller: Eric Bana, Daniel
Craig, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Ciaran Hinds, Hanns Zischler, Moritz
Bleibtreu, Meret Becker - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 164 min. - Start: 26.1.2006
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