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Mulholland
Drive
Die
Straße war schon immer ein zentrales Motiv in den Filmen von David Lynch,
mindestens nachdem er nach Eraserhead
und The
Elephant Man
von den Charakterstudien introvertierter Sonderlinge abkam und sich mit Filmen
wie Wild
at Heart,
Lost
Highway
oder auch The
Straight Story
weit ausladende Seelenlandschaften seiner Protagonisten erschloß. Landschaften,
durchzogen von Straßen, die meist labyrinthartig ins Innere seiner Figuren
führten. In Mulholland
Drive
hat es die Straße nun erneut bis in den Filmtitel geschafft und wiederum
spielt sie eine zentrale Rolle im Leben der Personen, die Lynch charakterisiert.
Camilla
Rhodes (Laura Harring) verliert nach einem Autounfall ihr Gedächtnis und
trifft Betty Elms (Naomi Watts), die mit ihr gemeinsam versucht, Camillas Vergangenheit
auf die Spur zu kommen. Spätestens hier stellt sich ein von Lost Highway
bekanntes Problem. Der Inhalt von Mulholland
Drive
läßt sich nicht einfach erzählen, nicht in einfachen Worten
zusammenfassen, weil er der Logik eines Traumes, eines Albtraumes folgt. Es
gibt keine Linearität mehr von Raum und Zeit, keine einheitliche Körperlichkeit
der Personen, keine erkennbare Abfolge der Ereignisse. Stattdessen betört
Lynch sein Publikum erneut mit einem dichten Gewebe aus Atmosphäre und
Metaphern, aus Farbe und Form.
Die
schiere Unüberschaubarkeit der lynchschen Metaphorik scheint es unmöglich
zu machen, Mulholland
Drive
hermeneutisch zu deuten, aber das ist auch gar nicht notwendig, vielmehr kann
man sich erfreuen an den klugen Beobachtungen des Regisseurs zur Welt des Schauspiels
und des Films, in der der Film sich ansiedelt. Der Film badet geradezu in Selbstreflexivität,
wenn er die beiden Schauspielerinnen zunächst in einem Dialog zeigt, der
erst im Lauf der Szene als Probe eines baldigen Vorsprechens sich zu erkennen
gibt. Der Zuschauer wird hier auf spielerische Art in eine Sackgasse geführt,
aus der herauszufinden ihm selbst überlassen bleibt. In einer anderen Szene
des Films betont ein auf der Bühne stehender Künstler wiederholt,
man höre bloß eine Band, obwohl es gar keine gäbe, alles komme
schließlich vom Band. Und diese so banal klingende Einsicht entspricht
eben der Realität des kinematographischen Apparates, denn auch die Szene
selbst kommt natürlich vom Band, vom Filmband, oder vielleicht entsteht
sie ja auch nur im Kopf des Rezipienten.
Selbstreferentialität
bedeutet bei Lynch natürlich spätestens seit Wild
at Heart
immer auch einen Rückgriff auf das eigene Werk. Kaum ein Motiv in Mulholland
Drive,
daß nicht schon früher in einem Lynch-Film das Licht der Leinwand
erblickt hätte. Da kommt ein Cowboy vor, auf einer Ranch, der direkt aus
Lynchs Cowboy
and the Frenchman
stammen könnte. Da gibt es Räume, die dem exzessiven Gebrauch von
Vorhängen in Blue
Velvet
oder Twin
Peaks
in nichts nachstehen, und nicht zuletzt haben einige der Personen, die bei Lynch
schon seit Beginn seiner Karriere hinter der Kamera mitarbeiten, einige kurze
Auftritte. So spielt der Hauskomponist Lynchs, Angelo Badalamenti, einen schmierigen
Filmproduzenten und selbsternannten Espressoexperten, was wiederum eine Reminiszenz
an die Fetischisierung von Kaffee (und Essen im allgemeinen) in Twin
Peaks
zu sein scheint.
Mulholland
Drive
sollte ursprünglich eine Serie werden, ein 90minütiger Pilotfilm lief
bereits vor einiger Zeit über amerikanische Fernsehschirme. Der Lynch-Phantasmagorie
war allerdings in der Zuschauergunst, gewöhnt an Talkshow und Sitcom, wenig
Glück beschert, so daß keine weitere Folge produziert wurde. In Cannes
schließlich kam der überarbeitete und fast um das doppelte verlängerte
Pilotfilm als in sich geschlossenes Werk zur Aufführung, und funktionierte
dabei sicherlich besser, als der auf dem Filmfest München seinerzeit gezeigte,
um 30 Minuten verlängerte Pilotfilm von Lynchs letzter Fernsehserie Twin
Peaks.
Dennoch bleiben durch die Produktionsgeschichte des Filmes einige Spuren an
Mulholland
Drive
haften. Es kommen Orte vor in diesem Film und Personen, bei denen man spürt,
daß mehr für sie geplant war, daß sie eine größere
Rolle zu spielen hatten, einen ausgebauteren Platz bekommen sollten in einem
Gemälde, das weit größer hätte werden können als in
der nun vorliegenden Fassung. Dennoch darf man dankbar sein, daß das Material
nicht ungenutzt vom Erdboden verschluckt, sondern in einen Film gewandelt wurde,
denn trotz der leichten Zerfaserung der Narrativität, die wohl durch die
Komprimierung eines auf Serienlänge angelegten Plots zustande kommt, bleibt
Mulholland
Drive
ein beeindruckendes, farbgewaltiges, metaphernschweres und nicht zuletzt wunderschön
anzusehendes Werk David Lynchs.
Benjamin
Happel
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Mulholland Drive
MULHOLLAND DR.
USA 2001
Darsteller: Justin Theroux (Adam Kesher), Naomi Watts (Betty Elms), Laura Elena Harring (Rita), Ann Miller (Coco Lenoix), Dan Hedaya (Vincenzo Castigliane), Mark Pellegrino (Joe), Brian Beacock (Studiosänger), Robert Forster ("Jackie Brown - Rum Punch"; Detective Harry McKnigh), Monty Montgomery (Der Cowboy), Billy Ray Cyrus (Gene); Regie: David Lynch; Drehbuch: David Lynch; Produktion: Mary Sweeney, Alain Sarde, Neal Edelstein, Michael Polaire, Tony Krantz; Ausführender Produzent: Pierre Edelman; Kamera: Peter Deming; Schnitt: Mary Sweeney; Produktionsdesign: Jack Fisk; Musik: Angelo Badalamenti; Länge: 152 Minuten
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