Mulholland Drive
Welcome to L.A.
Es
ist nicht allzu schwer, süchtig nach David-Lynch-Filmen zu werden, auch wenn
sie immer einmal wieder die Balance verlieren. Und wirklich atemberaubend
werden sie immer dann, wenn zu der berückenden visuellen Schönheit und der
kreisenden De-Konstruktion des Plots auch noch Charaktere kommen, denen man
zwischen Traum und Wirklichkeit folgt wie jemandem, den man kennt.
Wie
die junge, optimistische und aufgeregte Schauspielerin Betty, die nach
Hollywood kommt, um hier ihr Glück zu machen. »I just came from Deep River,
Ontario, and now I’m in this dream place«, sagt sie fröhlich. Vom tiefen Fluß
zum Traum, genau davon handelt der Film: Eine schwarze Limousine über den
Hügeln der Lichternetze von Los Angeles; eine Frau wird chauffiert. Unerwartet
hält das Fahrzeug, der Fahrer schickt sich an, die Frau zu erschießen, aber
dann kommt es zu einem fatalen Unfall. Die Frau wird verletzt und irrt danach
ohne Gedächtnis umher, bis sie in jenem Haus Zuflucht findet, in das Betty
gerade eingezogen ist. Die beiden freunden sich an, und gemeinsam begeben sie sich
auf die Suche nach einer verlorenen Identität. Das ist ein klassisches Paar,
die optimistische, blonde Betty und die dunkle Frau, die sich Rita nennt, weil
sie ein Plakat von »Gilda« mit Rita Hayworth gesehen hat – und natürlich geht
hier auch alles erst einmal um film noir, um good girls à la Doris Day und
femmes fatales wie Gilda.
Die
beiden Frauen erleben ups und downs, es könnte ein schönes, erotisches
Abenteuer werden, irgendetwas zwischen Rivette und Ridley Scott. Doch sie
gelangen in ein mysteriöses Nacht-Theater, und Rita hat endlich den Schlüssel
zu dem blauen Kästchen, das vielleicht das Geheimnis ihrer Identität enthält.
Und mit einem Schlag ist alles anders, die Geschichte erzählt sich rückwärts,
Betty ist die Verliererin in der Liebe und im Kampf um die Rollen, und Rita ist
Carmela und nicht mehr die schutz- und gedächtnislose Frau, sondern ein
raffiniertes Biest, das sie in jeder Hinsicht verraten hat.
Welche
der beiden Geschichten ist die wahrere, und wo ist ein Anfang, wo ein Ende? Mit
dem von ihm gewohnten analytischen Minimalismus hat David Lynch seinen eigenen
Film bezeichnet als »A love story in the city of dreams«. Es gibt nicht eine
Liebesgeschichte in der Stadt der Träume. Aber unendlich viele.
Note: 2
Georg
Seeßlen
Zu diesem Film gibt’s im Archiv der
filmzentrale mehrere Kritiken
Mulholland
Drive
von
David Lynch, USA/F 2001, 146 Min.
mit
Justin Theroux, Naomi Watts, Laura Elena Harring, Ann Miller, Dan Hedaya, Mark
Pellegrino
Drama
Start: 03.01.2002 Note: 2