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Die
Mutter
Neue
Töne: ein Sozialdrama von Roger Michell und Hanif Kureishi
Es
gibt viele Gründe, einen Film zu machen. Warum nicht den, ein Stück
wirkliches Leben vor der Kamera zu repräsentieren. Nein, gewiss, es ist
nicht gerade die zeitgemäßeste Art Filme zu machen, aber es gibt
da ein paar Meisterinnen und Meister, die einen mit dem instinktiven Realismus
immer wieder versöhnen. Dieser neue Kino-Realismus hat ein paar heftige
Probleme. Die Wirklichkeit ist nicht mehr so sehr durch ihr Verbergen und Verdrängen
so schwer zu fassen, sondern durch ihre Übermacht in der Öffentlichkeit,
vor allem in der sozialen Voyeurs- und Kontrollmaschine Fernsehen. Die Neugier
auf das Leben des anderen, in der sich immer sehr widersprüchliche Impulse
treffen, hat erheblich an Unschuld verloren. Und gerade deshalb muss man es
immer wieder probieren!
Wie
kann man das Leben retten mit der Kamera, wo die Kameras und Erzählmaschinen
herrschen und es vernichten? Roger Michell ist vor allem für Notting
Hill
bekannt, die Sorte Film also, die immer schon "Versöhnung" anpeilt,
bevor man überhaupt etwas Genaueres gesehen hat. Mit Die
Mutter
möchte er vielleicht einen Schritt zu mehr Heftigkeit und Genauigkeit tun.
Das Programmatische tritt in der Tat ein bisschen in den Hintergrund, alles
lässt sich nicht mehr so schnell erklären. Es ist ein Film, der sich
alle melodramatische Gewissheit versagt. Und dennoch.
Wäre
Die
Mutter
eine dirty talkshow, würden wir in der Programmzeitschrift einen Titel
wie "Ich liebe den Freund meiner Tochter" lesen. Es ist die Geschichte
einer Frau, die mit ihrem Mann nach London kommt, um die Kinder und ihre Familien
zu besuchen. So toll ist es nicht, was aus ihnen geworden ist. Der Zusammenbruch
ist für jeden immer nur ein paar Tage entfernt. Und diese paar Tage dehnen
sich zu einem Leben. Der Mann stirbt, und die Frau will nicht in ihr leeres
Haus in der Provinz zurückkehren. Während sie Angst hat, nichts weiter
als noch eine "unsichtbare alte Lady" zu werden, sorgt sie bei ihren
Kindern für Tumulte, vor allem durch eine "unwürdige" Affäre
mit dem Geliebten ihrer Tochter. Der Film ist eindeutig overplotted. Die Ausgangsposition,
die Schauspieler, der Schauplatz (einschließlich eines entstehenden und
dann wieder zerstörten Wintergartens als Teil eines Hauses, das Aufstieg
und Fall einer Kleinbürgerfamilie zwischen New Economy Boom und Dauerkrise
unangestrengt veranschaulicht): Das ist sorgfältig bestimmt und gut in
Szene gesetzt. Aber immer wieder sieht man, dass der Film zu sehr bemüht
ist, seine Geschichte zu erzählen, seine Personen zu entwickeln, seine
Drehbuch-Aufgaben zu lösen. Das geht meistens zu Lasten der kleinen Dinge
und Figuren im Hintergrund und der Transparenz.
Zu
Ken Loach oder zu Andreas Dresen verhält sich Roger Michell immer noch
wie ein nachsichtiger, aber vielleicht gerade deswegen nicht wirklich zärtlicher
Beobachter. Und auch Hanif Kureishi, der das Drehbuch geschrieben hat, scheint
entschlossen, nicht wirklich weh zu tun. Deswegen wird die modernisierte Fabel
von der unwürdigen Greisin weder im politischen noch im emotionalen Bereich
wirklich radikal. Aber wie der Film sich zu seinen Figuren verhält, so
kann man sich auch als Zuschauer zu dem Film verhalten: ihn auf eine unverbindliche
Art mögen.
Georg
Seeßlen
Nicht
unsympathisch: Die Geschichte einer Witwe, die David Bowies "Space Oddity"
mag und mit dem Liebhaber ihrer Tochter ins Bett geht.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Die
Mutter
The
Mother
GB
2003. R:
Roger Michell. B: Hanif Kureishi. P:
Kevin Loader. K:
Alwin Küchler. Sch: Nicolas Gaster. M:
Jeremy Sams. T: Danny Hambrook. A: Mark Tildesley. Ko: Natalie Ward. Pg:
BBC Films/Renaissance Films. V:
Concorde. L: 111 Min. FSK: ab 6. Da: Anne Reid (May), Peter Vaughan (Toots),
Oliver Ford Davies (Bruce), Daniel Craig (Darren), Cathryn Bradshaw (Paula),
Steven Mackintosh (Bobby).
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