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Muxmäuschenstill
Daß
wer Haltung zeigt, stößt auf Anerkennung. Respekt! Auf einem Symposion
im Landesfilmzentrum Wismar gings mir ebenso. Das war erst vor ein paar Wochen,
im Juni. Man war sich einig. Die Macher des Films, der grade projiziert worden
war, hatten eine feste Position bezogen. Allseitiges Nicken des Kopfes. Haltung,
Haltung, Haltung. Immer wieder fiel das Wort. Mir schien, daß damit etwas
umschrieben wurde, was noch aus DDR-Zeiten stammt, und gleichzeitig war das
die haltungsgerechte Opposition zu dem, was der (west)deutsche Film zur Zeit
bietet, nämlich haltlose Beziehungskomödien, individuelle Befindlichkeit,
depressive Verstimmung. Wir kamen gar nicht darauf zu fragen, ob die Haltung
des gelobten Films die falsche sei oder verwerflich oder gefährlich. Zur
DDR-Zeit gabs sicherlich nur die richtige. Aber jetzt in der Sächsischen
Schweiz wäre mindestens für ein Drittel der Zuschauer die Haltung
der NPD diejenige, die mutig und aufrecht und sonstwas ist. Wenn 25 % die NPD
wählen und noch ein paar Prozente mehr grade dabei sind, das zu tun, -
wie sollte das anders sein? Der allseits respektierte Fahrlehrer schwenkte von
einer Bürgerinitiative in diesem Jahr zur NPD über. Das hat Vorbildcharakter.
Einer zeigt Haltung. Das Modewort greift momentan um sich, schon weil andere
Qualifikationen, gar politische, nicht gehandelt werden, schon gar nicht an
Stammtischen.
Also
besetzt Herr Mux das Feld, der Held des reüssierenden Spielfilms Muxmäuschenstill. Gradezu
vorbildlich baut er ökonomisch erfolgreich seine Ich-AG auf, die bürgernah
das Haltung-zeigen und Selbst-Verantwortung übernehmen als Serviceleistung
anbietet. Im schneidigen Polizistenton stellt er Schwarzfahrer, Verkehrssünder,
Exhibitionisten, Päderasten und Ladendiebe auf frischer Tat, auch bestraft
er sie an Ort und Stelle, demütigt sie auf seine pädagogische Art
und kassiert Gebühren, die einerseits die dringend benötigten Einnahmen
seines Unternehmens verbessern, andererseits ein willkommenes Schutzgeld für
die Gesellschaft im Ganzen sind. In der Schule stellt er Zwölfjährige,
die den Lehrer mit Papierkugeln bewerfen, in die Ecke und bewirft sie zur Strafe
und hilfreichen Abschreckung seinerseits mit dem Zeug. Das ist harmlos und komisch,
und im Kino darf gelacht werden. Man lacht. Von den andern, die schon mal blutig
draufgehen, sehen wir kurz ab. Gewalt in der Familie? Unser Haltungs-Held wird
das beenden. Langzeitarbeitlose? Der Jungunternehmer stellt aus purer Güte
einen ein. Das Arbeitsamt wird nicht gebraucht. Allseitiges Nicken des Kopfes.
Mux tut das, wovon Regierung und Opposition träumen.
Aber
wir können von nichts absehen, Muxmäuschenstill ist
kein Märchen. Zu hoch ist der Wiedererkennungswert. Der Film hat dokumentarischen
Charakter. Gedreht mit einer Billigkamera und mit 80% Laiendarstellern, ist
er überall da zuhaus, wo auch wir sind, auf der Straße, im Supermarkt,
in der Kneipe, auf dem Volksfest, im Büro. Alles stimmt, bloß mit
Mux stimmt es nach einem Weilchen nicht mehr. Seine Sprüche werden hohl,
seine Aktionen zweifelhaft, sein Unternehmen nennt sich inzwischen Gesellschaft
für Gemeinsinnpflege, sie zieht in eine moderne Bürohausetage ein,
fähige Yuppiemanager setzen Marketingstrategien um, das Lachen im Kino
wird dünner, den einen bleibt es im Hals stecken, andere schämen sich,
weil sie eben noch gelacht haben. Was jetzt wiedererkannt wird, sind die TV-Medien,
die sich der publikumswirksamen Mux-AG bemächtigt haben. Talk mit Mux beim
Kerner, Zuschaltung zum Wiggert in den Tagesthemen. Die Mux-Expansion wird quotengünstig
vermarktet. Das ist schon mehr als eine Satire, denn der, der dem Film zuschaut,
wird selbstverantwortlich für das, was er wahrnimmt. Kein Mux mehr, der
die Haltung vorgibt. Der Zuschauer muß sich notgedrungen auf das besinnen,
was er vom Muxmurks halten soll. Der Rezipient muß leider oder gottseidank
selbst verantworten, was er an Bildern wahrnimmt. Seine Position wird sich im
Lauf des Films ändern. So nahm ich es jedenfalls in dem Kino wahr, in welchem
ich den Film sah.
Wir
können beiseite lassen, ob das Filmwerk gut oder schlecht ist, - ob die
Dramaturgie hinhaut oder eigentlich doch nicht. Egal. Das Fazit ist jedenfalls
klasse. Es geht nicht um die Haltung des Filmprotagonisten, sondern um die des
Rezipienten. Damit sind wir schon ein ganzes Stück weiter, wenn auch nicht
ein sicheres Stück. Denn vorauszusagen, wie zuverlässig und wie genau
das mit der Haltungsänderung passiert, ist unmöglich. Wenn man zähneknirschend
dem Zuschauer überläßt, was er mit dem Muxismus anfängt,
dann geht man sicherlich das Risiko ein, daß den Schweinen alles Schwein
ist und den populistisch Anfälligen alles populär. Irgendwann hat
man im Bildermedium die Rezeption nicht mehr unter Kontrolle.
Ob
dies die Fördergremien im Sinn haben, wenn sie sich an garantiert keimfreie,
aber haltlose Filme halten, weiß ich nicht. Jedenfalls haben die Muxmacher
sich gar nicht erst um Subventionen bemüht, sondern den Film ohne fremde
Hilfe, aber mit ganzen 40.000 Euro produziert. Das ist für einen Spielfilm
eine lächerliche Summe.
Ironie
der Geschichte ist, daß unsere Filmmacher im Moment dasselbe Schicksal
erleben wie ihre Herren von der Gesellschaft für Gemeinsinnpflege. Der
Film ist überhäuft mit Preisen bis zum Bundesfilmpreis. Die Branche
jubelt. Die Kinokassen klingeln. Die Medien vereinnahmen die Macher, die in
ihrem Film vereinnahmende Medien bös-satirisch gezeigt hatten. Jetzt sind
sie es selbst, die live beim Wiggert zugeschaltet sein werden oder doch beim
Kerner talken, falls das inzwischen nicht längst der Fall war. Die 40.000-Euro-Ich-AGler
wurden Wunderkinder. Der Aufschwung ist da. So haben es alle erhofft. Es ist
erreicht.
Wie
gehts weiter? Die euphorische Medienpublizität wird ihren Preis haben.
Ich meine nicht die 40.000 auf der Kostenseite der Muxproduktion. Auf der Habenseite
wird eine Null dahinter zu schreiben sein. Ich meine die Nebenwirkungen für
den, der im Kino sitzt. Haltungsschäden sind zu befürchten. Denn mittlerweile
ist der Zuschauer die Last der Selbstverantwortlichkeit los, und ehrfürchtig
zu bestaunen sind Neowunderkinder, die ihre Ich-AG nach oben in die Charts gebracht
haben. Mit einem Besucherschnitt von über 800 Zuschauern pro Kino startete
Muxmäuschenstill im Juli. Damit erzielten die Neokinds den drittbesten
Kopienschnitt - direkt nach den US-Blockbustern Spider-Man
2
und Shrek
2.
Das, was in der Filmfiktion als bitterböse Persiflage auf die Ich-AG konzipiert
war, ist überwältigende Realsatire geworden: Beweis dafür, daß
Ich-Debütanten einen der erfolgreichsten Filme aller Zeiten produziert
haben und am ersten Kinowochenende glatt das sechseinhalbfache der Herstellungskosten
einspielen konnten.
Damit
sind wir wieder wer, und zwar zurück am Anfang. In der Filmsatire werden
die Muxgesellschafter vom Firmenchef gerügt, weil sie sich als Internetportal
www.denunziant.com ausgedacht haben. Verständnislos hören sich die
Jungmanager an, daß der Begriff irgendwie belastend sei, in Deutschland
jedenfalls; www.informant.com sei besser. - Wer nun nach dem Muxkino nach Hause
geht und www.informant.com aufsucht, findet sich in Sacramento, CA wieder. Nach
dem Stand von Monday, July 12, 2004 landet er bei einer communications group,
klickt das Link 'contact us' an, geht ins Department 'Customer Service' und
braucht nur 75 $ zu zahlen, dann ist er Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft,
die Einnahmen braucht, um noch eine Null dranzuhängen.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser
Text erscheint im August 2004 in:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere
Kritiken
Muxmäuschenstill
D
2004 R: Marcus Mittermeier B: Jan Henryk Stahlberg K: David Hoffmann D: Jan
Henryk Stahlberg, Fritz Roth, Wanda Perdelwitz
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