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Muxmäuschenstill
Militante
Ich-AG
Ein
wildgewordener Kleinbürger in einem komischen und sehr deutschen Debut
"Ich
lebe in einer Gesellschaft, in der wir unsere Ideale verloren haben", so
spricht Mux, dieser ordentlich gekleidete und gescheitelte junge Mann in die
Kamera. Klingt irgendwie nach Roman Herzog. Aber Mux ist nicht nur ein Mann
der großen Worte, sondern vor allem einer der kleinen Taten. Autoraser
werden nicht nur zur Kasse gebeten, ihnen wird auch gleich das Lenkrad abgeschraubt.
Schwarzfahrer, Sprayer und Ladendiebe werden unnachgiebig zur Rechenschaft gezogen.
Das ganze Spektrum der Kleinkriminalität bekämpft Mux auf eigene Faust,
bewaffnet mit Radargerät, Richtmikrophon, Digitalkamera - und einer Pistole
im Brusthalfter.
Anfangs
findet man die Figur komisch. Gelegentlich erwischt man sich dabei, dass man
ihr heimlich applaudiert. Denn wer kennt sie nicht, jene Nervereien, die gerade
im großstädtischen Alltag durch das entstehen, was Mux "verantwortungsloses
Handeln" nennt? Mux ist ein Mann mit Prinzipien in einer prinzipienlosen
Gesellschaft. Er wettert gegen die Kleinstkriminellen genauso wie gegen die
Dieter-Bohlisierung Deutschlands. Klar, der Mann hat nicht alle Tassen im Schrank.
Aber waren es neben den Kindern und Betrunkenen nicht auch die Psychopathen,
die die Wahrheit sagen?
Die
Qualität von Marcus Mittermeiers Regiedebüt Muxmäuschenstill
liegt in der Indifferenz gegenüber der Figur, von der sich das Publikum
stets neu abgrenzen muss, weil sie immer wieder zur Identifikation einlädt.
Mux ist ein typisch deutscher Held. Eine krude Mischung zwischen Störtebeker,
Werther und Hitler. Ein Law-and-Order-Romantiker, dessen Gesellschaft für
Gemeinsinnspflege sich von einer militanten Ich-AG zu einem aufstrebenden Jungunternehmen
entwickelt. Scheitern wird Mux nicht an seinen politischen oder kriminellen
Gegnern, sondern an sich selbst, an seiner Liebe zu Kira, die er - in einer
äußerst schrägen Bettszene - zu seiner Muse stilisiert und die
sich aus seinem romantischen Würgegriff zu befreien versucht.
Mit
Muxmäuschenstill
ist Regisseur Marcus Mittermeier und Drehbuchautor/Hauptdarsteller Jan Henryk
Stahlberg einer der aufregendsten deutschen Filme dieser Kinosaison gelungen.
Selten hat man das Gefühl, dass Filme der Befindlichkeit in diesem Land
so punktgenau auf den Zahn fühlen. Offensiv klagt Muxmäuschenstill
das mangelnde Verantwortungsgefühl in unserer Gesellschaft an und lotet
gleichzeitig die Grenzen zwischen Zivilcourage und Selbstjustiz gründlich
aus. Ein moralischer Drahtseilakt, der verstört, ohne in plumpe Provokationsmuster
zu verfallen. Die Filmemacher, die ihr täglich Brot als Schauspieler für
Fernsehserien verdienen, haben Muxmäuschenstill
mit einem Selbstausbeutungsbudget von 50.000 Euro auf die Beine gestellt. Die
Filmfördergremien verweigerten dem brisanten Projekt die Finanzierung,
weil das Thema "Unsoziales Verhalten" im Kino kaum interessiere. Jury
und Zuschauer beim diesjährigen Filmfestival in Saarbrücken sahen
das anders und zeichneten die Low-Budget-Produktion mit dem Haupt- und dem Publikumspreis
aus.
Martin
Schwickert
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere
Kritiken
Muxmäuschenstill
D
2004 R: Marcus Mittermeier B: Jan Henryk Stahlberg K: David Hoffmann D: Jan
Henryk Stahlberg, Fritz Roth, Wanda Perdelwitz
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