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Sommerkino-Hits
für eine bessere Welt, Folge 187: My
Summer of Love,
der zweite Spielfilm des polnisch-stämmigen, britischen Filmemachers Pawel
Pawlikowski (Last
Resort)
wandelt am schmalsten aller Grate im Arthouse-Kino: ätherisch schön,
aber nicht geschmäcklerisch; verträumt, aber nicht weltfremd; charakter-orientiert
und
ästhetisch reif.
My
Sommer of Love.
Ein Filmtitel, so resonant mit romantisierten Erinnerungen wie ein Postkartenbild.
Und so klebrig süß. Das eine zentrale Kunststück dieses Films
ist, dass er das Versprechen, das der Titel gibt, ganz unironisch einlöst
und trotzdem nicht zu hohlem Indie-Zuckerguß zusammenfällt. Der Trick
dabei ist: einfach genau erzählen.
Der
intensive summer
crush
zwischen der gelangweilten Patriziertochter Tamsin (Emily Blunt) und der rauen,
proletarischen Mona (Natalie Press) in einem Kaff im ländlichen Yorkshire
wird mit solcher Aufmerksamkeit für Details und atemberaubend sicherer
Balance im Tonfall erzählt, dass darin allerhand spielend seinen Platz
findet, was im Trailer noch wahllos zusammengemanscht oder rücksichtslos
kalkuliert wirkt: Auf der inhaltlichen Ebene gibt’s kurzfristige Rumhäng’-Romanze
und
jugendliche Selbstfindungsgeschichte in der Provinz, beides derzeit so ziemlich
die sichersten Mieten im Umfeld eines kommerziell tragfähigen, mehr oder
weniger "unabhängigen" Erzählkinos (siehe jeweils Lost
in Translation,
Before
Sunset
und
Garden
State,
respektive All
the Real Girls und
The
Virgin Suicides),
einmal ganz abgesehen von den Klassenunterschieden und unheilvollen Obsessionen,
die auch noch durch die Vorschau geistern.
Doch
die diffuse Gemengelage aus rebellischem Pathos, jugendlichen Spinnereien, trägem
Genuss und Ratlosigkeit angesichts einer ausgesprochen blöden Welt, als
die der Film die zunehmend obsessive Beziehung zwischen den beiden etwa 16-jährigen
Mädchen beschreibt, hat in ihrer Ziellosigkeit etwas profund Glaubwürdiges
an sich. Während etwa in Garden
State
Natalie Portmans heilsame Chaotin Sam bis zum erbarmungslos sinnerfüllten
Ende der zwangs-originelle Sitcom-deus
ex machina
vom Reißbrett bleibt, der sie nun einmal ist, schimmert in My
Summer of Love
gerade in den Versuchen der beiden Mädchen, sich
interessant zu machen oder in ikonische Posen zu werfen, eine gewisse
Unbeholfenheit und Gewolltheit durch.
Formal
scheint der Film mit seinen sonnendurchfluteten Bildern und bisweilen wackeligen
Kamerabewegungen und seiner Faszination für visuelle und akustische Präsenzen
(jeden Grashalm kann man einzeln umknicken hören) auf den ersten oberflächlichen
Blick auch nicht viel mehr als ein Gewinnler: Nämlich jenes diffusen "Stils"
eines impressionistischen Sensualismus, der fürs gegenwärtige Kino
von so unterschiedlichen RegisseurInnen wie Terrence Malick (Badlands),
David Gordon Green (George
Washington)
und Claire Denis (Beau
Travail)
geprägt wurde und heute im Autorenkino-Rahmen beinah so etwas wie ein neues
Realismus-Paradigma darstellt, an dem sich so unterschiedliche Filme wie Lynne
Ramsays Ratcatcher,
Kathy Shortlands Somersault
oder
sogar Nicole Kassells The
Woodsman
auf die eine oder andere Weise abarbeiten.
Sollte
Regisseur Pawel Pawlikowski (Last
Resort)
behaupten, er wisse von all diesen Kategorien und strategischen Überlegungen
nichts, dann muss man ihm das allerdings auch glauben, denn in My
Summer of Love
kommt vieles überraschend, aber weniges an den Haaren herbeigezogen. Das
feinnervige formale Sensorium, das Stimmungen geradezu in sich aufsaugt, erscheint
nach einiger Zeit bloß das adäquateste Untersuchungsinstrument für
eine Geschichte, die mehr Schwankungen im Tonfall kennt als Star
Wars’ verwurstete
Hollywood-Genres. Und was sich in den knapp eineinhalb Stunden Laufzeit alles
an sozialen, sexuellen und weltanschaulichen Macht- und Rollenspielen in den
Handlungen der beiden jungen Frauen anlagert, das treibt hier offenbar ganz
von allein, zumindest ohne moralisch-pädagogische Wühlbewegung, an
die Oberfläche. Sogar Religion darf in dieser mikrokosmischen Identitäts-Versuchsanordnung
mittanzen, ins Spiel gebracht von Monas Bruder Phil (Paddy Considine), einem
in der Haft zum Herrn bekehrten Straftäter, der einen Pub im Ort zum spirituellen
Zentrum umbaut. Was den eher weichlich wirkenden jungen Mann ins Gefängnis
gebracht hat, wird genauso wenig Anlass großer Enthüllungen wie die
Gründe seiner Bekehrung. Stattdessen konzentriert sich der Film - und das
ist für sein Vorgehen repräsentativ - auf die Präsenz Phils,
in der neben gönnerhafter Geduld mit seiner schwierigen Schwester und messianischem
Eifer schließlich auch mühsam kontrollierte Aggressionen an die Oberfläche
steigen, ohne dass er dadurch gleich als bigotter Heuchler denunziert wäre.
Dieser
Respekt ist das Korrelat zur Haltung, die der Film gegenüber Mona und Tansim
einnimmt: einer Komplizenschaft mit deren "Allein gegen die Welt"-Pathos,
die aber auch sehr genau Spannungen zwischen den beiden und Ungerechtigkeiten
gegenüber ihrer Umwelt wahrnimmt: Etwa, wenn sie sich an Monas rüdem
verheiratetem Ex-Lover rächen wollen, indem sie dessen Frau mit der Behauptung
bestürmen, Mona wäre von ihm schwanger – was zuerst einmal vor allem
als Angriff auf die fassungslose und aggressiv reagierende Frau rüberkommt.
Am
Ende werden sich die Spannungen und Verletzungen in diesem Klima von großspurigen
Selbstbestätigungen und halbernstem Rollenspiel aufschaukeln, zu einigen
brutalen Pointen, die das Ende des Sommers unsanft ankündigen, aber den
Film um Haaresbreite trotzdem nicht aus seiner delikaten Balance kippen. Spätestens
dann ist unübersehbar, dass das "einfach Erzählen" dieser
Geschichte das Gegenteil von einfach war. Und das Gegenteil von einem konservativen
ästhetischen Restaurationsprogramm: Wenn der Abspann beginnt, sind die
großen Fragen nicht geklärt, sondern gerade einmal gestellt.
Dieser
Text ist auch erschienen in:
My
Summer of Love
Großbritannien
2004 - Regie: Pawel Pawlikowski - Darsteller: Natalie Press, Emily Blunt, Paddy
Considine, Dean Andrews, Michelle Byrne, Paul-Anthony Barber, Lynette Edwards,
Kathryn Sumner - FSK: ab 12 - Länge: 86 min. - Start: 30.6.2005
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