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Nachtblende
Spuren bedingungsloser
Zuneigung
Wenn etwas eindeutig ist in Zulawskis "Wichtig
ist nur die Liebe" (wie der Film im Original heißt), dann ist es
der Unterschied zwischen der Anfangs- und der Schlussszene dieses 1975 inszenierten
Films. In der ersten Szene sehen wir die erfolglose Schauspielerin Nadine (Romy
Schneider) auf einem Kollegen, der mit Kunstblut übergossen ist, sitzend.
Nadine ist Hauptdarstellerin in einem dieser billigen Pornos. Die Anweisungen
der Regisseurin sind eindeutig: Sie soll dem halbtoten Darsteller ihre Liebe
gestehen und es mit ihm treiben. Nadine kann nicht. Die Worte kommen ihr nur
schwer aus dem Mund. Sie verweigert sich diesem ekelhaften Spiel. In der Schlussszene
des Films kniet Nadine vor dem Fotoreporter Servais (Fabio Testi), der zusammengeschlagen
wurde und blutüberströmt im Eingang seiner Wohnung liegt. Nadine streichelt
seinen Kopf und haucht leise, sie liebe ihn.
Servais muss Schulden abbezahlen an einen gewissen
Mazelli (Claude Dauphin), dem es egal ist, mit was er Geld macht. Er macht es
vor allem mit Sexfotos, und Servais fotografiert angewidert für Mazelli.
So gelangt er zu den Filmaufnahmen und zu Nadine. Ohne Erlaubnis fotografiert
er Nadine, auf ihrem Kollegen sitzend, wird hinausgeschmissen - und taucht am
nächsten Tag bei Nadine zu Hause auf, um von ihr angeblich Fotos für
eine Illustrierte zu machen. Nadine lebt seit sechs Jahren mit ihrem Mann Jacques
(Jacques Dutronc) zusammen.
"Wenn ich Sie frage, ob
wir uns irgendwann mal
sehen können, setzen Sie mich
dann sofort vor die Tür?"
"Sofort ... Wann?"
"Morgen in St. Germain um
vier,
einverstanden?"
"Hier um drei Uhr. Einverstanden?
... Gut."
Doch das Treffen am nächsten Tag endet damit,
dass Servais die Wohnung Nadines wieder verlässt. Nadine will mit Servais
zusammen sein, mit ihm reden. Doch er weiß nicht, wovon er reden soll,
und geht.
Von Anfang an besteht jedoch zwischen Nadine und
Servais das, was man wohl Anziehungskraft nennen kann, eine Anziehungskraft,
die sie beide allerdings nicht zu nahe aneinander geraten lässt, eine Anziehungskraft
über Blicke. Überhaupt sind es die Augen, die in Zulawskis Inszenierung
das Handeln der Personen verdeutlicht. Servais vermittelt Nadine heimlich über
den Schauspieler Zimmer (Klaus Kinski) und den erfolglosen Regisseur Messala
(Guy Mairesse) eine Hauptrolle in dessen Theaterinszenierung zu Shakespeares
Richard III. Lapade (Michel Robin), ein heruntergekommener Alkoholiker, mit
dessen Frau Lucie (Nicoletta Machiavelli) Servais seit einiger Zeit ein Verhältnis
hat, vermittelte ihm den Kontakt mit Zimmer und Messala. Allerdings verlangt
Messala 10.000 Franc, damit Nadine bei dem Theaterstück mitmachen kann,
um die Sache finanzieren zu können. Servais sieht keinen anderen Weg, als
sich das Geld von Mazelli zu leihen, so dass er wieder in dessen Abhängigkeit
gerät.
Zulawski entwickelt ein feines, an vielen Stellen
(zunächst) schwer durchschaubares Gespinst von alten und sich neu ergebenden
Beziehungen. Wir treffen auf Servais Vater (Roger Blin), der für die Abhängigkeit
Servais von dem kriminellen Mazelli verantwortlich zu sein scheint, einen kaputten
alten Mann, der möchte, dass sein Sohn nicht so endet wie er; auf Jacques,
der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hat und seine Depressionen
mit Albernheit zu überspielen sucht; auf Nadine, die am Ende zu sein scheint,
die Jacques liebt, der sich jedoch von ihr abgewandt hat, weil er offenbar mit
sich selbst nicht zurecht kommt; auf Servais, den die Abhängigkeit von
Mazelli anwidert, den es andererseits immer wieder zu Nadine hinzieht, der sie
aber nicht versteht - und der doch alles für sie tun würde; auf Lapade,
der es nie überwinden konnte, dass seine Frau ihn verlassen hat, und der
am Alkohol zugrunde gehen wird; auf den reichen schwulen Schauspieler Zimmer,
der mit dem zwar verheirateten, aber dennoch schwulen Messala eine Beziehung
zu haben scheint; und auf Mazelli selbst, einen untersetzten, schäbigen
Kerl, dem es nicht nur darum geht, schnelles Geld zu machen, sondern der aus
Prinzip andere von sich abhängig machen will.
Nichts scheint eindeutig zwischen Nadine, Jacques
und Servais. Sie umkreisen sich, belauschen sich. Nadine liebt Jacques, stößt
aber auf Distanz. Sie dankt Servais dafür, sie aus ihrer emotionalen Krise
herausgeholt zu haben, will "zum Dank" mit ihm dafür schlafen,
was Servais jedoch ablehnt. Servais liebt Nadine, merkt jedoch, dass sich Nadine
von Jacques nicht trennen würde. Jacques beobachtet dies alles und stürzt
noch tiefer in seine innere Krise - bis er sich schließlich mit Schlaftabletten
selbst tötet.
Es sind diese Störungen, es ist dieses Defizitäre,
was die Geschichte beherrscht, etwas, das sich zwischen die Personen stellt,
ohne dass sie erkennen, was es ist. Nadine liebt Jacques, aber er unterbricht
den Strom, Servais liebt Nadine, aber sie unterbricht den Strom, Jacques liebt
Nadine, aber seine Krise kappt die Leitung zu ihr, Servais mag Jacques, aber
seine Liebe zu Nadine zieht ihn zurück auf sich selbst. Jacques mag Servais,
aber seine gestörte Liebe zu Nadine hindert ihn daran, Servais als Freund
zu begreifen.
Dabei vermeidet Zulawski jegliche Rührseligkeit,
jegliche Klischees. Es ist vor allem die Kraft der drei Hauptdarsteller, die
dem Beziehungsgeflecht der Geschichte Glaubwürdigkeit und Tiefe gibt, vor
allem die phantastische (und für ihre Leistung zu Recht ausgezeichnete)
Romy Schneider, der man von den Augen ablesen kann, was Nadine empfindet. Die
Brüchigkeit der Beziehungsgeflechte schwindet paradoxerweise durch den
Tod: den Tod Lapades, der Servais aus der Beziehung mit dessen Frau entlässt,
die er nicht wirklich geliebt hatte, und der Tod Jacques, der Nadine die Hinwendung
zu Servais ermöglicht. Der Tod erlöst Nadine wie Servais aus den Dreiecksverhältnissen,
die sie gefangen hielten.
Und noch etwas: Die Überformung der Beziehungen
durch Geld, die alle beherrschte, scheint am Schluss geschwunden zu sein. Der
Scheck, den Zimmer Servais gab und den Servais Jacques überreichte, aus
Mitleid, scheint ebensowenig noch eine Rolle zu spielen wie die Abhängigkeit
Servais von Mazelli, der seine Schläger auf ihn ansetzt. Doch dieser Schein
trügt. Bei einem Gespräch mit Nadine hatte Jacques gesagt, das Schlimmste,
was es gebe, sei Mitleid. Und es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen,
was er damit meinte: das Mitleid Nadines mit ihm, das sie zwar bestreitet, das
aber immer im Raum zu schweben scheint, wenn beide sich begegnen; und das Mitleid
Servais mit Jacques, das in der Übergabe des Schecks an ihn Ausdruck findet.
Jacques kann dieses Mitleid nicht ertragen. Es ist für ihn sozusagen der
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, sprich: seinen Entschluss
zum Selbstmord. Und was macht Jacques kurz vor seinem Tod? Er überschreibt
alles, was er an Geld noch hat, an Nadine.
Zulawski erzählt also eine Geschichte, in der
sich zwei Prinzipien nicht nur diametral gegenüberstehen, sondern miteinander
verschränkt sind: das Prinzip Geld und das Prinzip Liebe. Das Prinzip Geld
bestimmt die Beziehungen der Beteiligten, obwohl sie das nicht wollen. Es verschafft
Macht in der Beziehung und produziert die Unmöglichkeit von Liebe - bis
in den Tod. Nadine, Jacques und Servais wehren sich dagegen, und können
dem Prinzip Geld dennoch nicht entkommen. Jacques bezahlt noch kurz vor seinem
Selbstmord an Nadine, sozusagen um sich noch im Tod loszukaufen für alle
Entbehrungen, die er Nadine verschafft hat. Servais kauft sich von Mazelli los
und muss dafür brutale Gewalt ernten. Und er will sich von den Schuldgefühlen
gegenüber Jacques loskaufen, indem er ihm den Scheck Zimmers übergibt.
Nadine will sich von Servais loskaufen, indem sie ihm ihren Körper - sozusagen
als Ware und anstelle von Geld - als Dank anbietet.
Der Kreis scheint sich am Ende geschlossen zu haben.
Und dann passiert etwas, was das Prinzip Geld radikal durchbricht - eben in
jener Schlussszene, in der Nadine dem zusammengeschlagenen Servais ihre Liebe
gesteht. Diese Erklärung hat nichts mehr mit Geld zu tun; sie ist bedingungslos,
sie stellt keine Forderungen, ist kompromisslos und eindeutig. Was aus dem blutüberströmten
Servais und Nadine wird, bleibt offen. Wird wieder das falsch verstandene Mitleid
respektive Geld beider Beziehung überformen und deformieren? Aber diese
Frage nach dem "Was wird aus den beiden?" ist andererseits völlig
unwichtig. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass am Schluss des Films etwas
deutlich wird, was im ersten Moment des Zusammentreffens von Nadine und Servais
schon angelegt war, in beider Blicke zu sehen war - diese Spur von bedingungsloser
Zuneigung.
• D V D •
Sprache: Deutsch (Dolby Digital
5.1)
Bildformat:
4:3
Dolby,
Surround Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin: 21. August
2003
Der Film erschien 2003 auf einer
DVD von CTI-Europe und ist bei amazon für € 5,97 zu erwerben. Diese DVD
ist ehrlich gesagt eine mittlere Katastrophe. Bild und Ton sind miserabel, gleichen
eher einer schlechten Videoaufnahme aus früheren Tagen des Mediums Video.
Der Ton ist durchweg dumpf und von einem fast ständigen Hintergrundrauschen
begleitet. Das Bild ist unscharf, die Farben laufen teilweise ineinander über,
sind mal zu blass, mal so kräftig, als wenn ein Farbtopf ausgelaufen wäre.
Kurzum: Man hat offenbar die schlechteste Kopie des Filmes genommen, um ihn
auf DVD - dazu noch völlig unbearbeitet - zu pressen. Man kann in dieser
Hinsicht nur von einer glatten Unverschämtheit reden. Und leider ist diese
DVD die einzige auf dem Markt. In England oder in den USA gibt es den Film leider
nicht auf DVD. Und last but least ersparte man sich, Extras auf die DVD zu bringen.
Wertung Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung DVD: 2 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: follow me now
Nachtblende
(L'Important
c'est d'aimer)
Frankreich,
Italien, Deutschland 1975, 109 Minuten
Regie:
Andrzej Zulawski
Drehbuch:
Christopher Frank, nach seinem Roman "La Nuit americaine"
Musik:
Georges Delerue
Kamera:
Ricardo Aronovich
Schnitt:
Christiane Lack
Darsteller:
Romy Schneider (Nadine Chevalier), Fabio Testi (Servais Mont), Jacques Dutronc
(Jacques Chevalier), Claude Dauphin (Mazelli), Roger Blin (Servais Vater), Gabrielle
Doulcet (Madame Mazelli), Michel Robin (Raymond Lapade), Guy Mairesse (Laurent
Messala), Katia Tchenko (Myriam), Nicoletta Machiavelli (Luce Lapade), Klaus
Kinski (Karl-Heinz Zimmer)
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