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Die
Nacht
Mailand an einem Sommerwochenende.
Topographisch erstreckt sich das Gelände von LA NOTTE von den hellen, geraden
Fassadenkonturen der neuen Wohnquartiere und der analogen Architektur einer
ultramodernen Klinik bis zu einer weitläufigen Unternehmer-Villa. Das Stadtzentrum
zeigt Antonioni nur aus Innen-Ansichten: vom Auto aus, wenn Lidia und Giovanni
Pontano (Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni) in einem Verkehrsstau festsitzen;
beide, anläßlich Giovannis neuem Buch auf einem Verlags-Empfang (von
wo aus sich Lidia zu einer einsamen Stadterkundung an die Peripherie aufmacht);
abends in ihrer Wohnung und in einem Nightclub. Die Nacht verbringen sie auf
einer Party in der Villa.
LA NOTTE beschreibt, wie Lidia
und Giovanni Pontano in dieser Zeit verschieden intensiv und bewußt erfahren,
daß sie sich nicht mehr oder vielleicht in anderer Weise lieben als zuvor.
Partikel ihrer langen Geschichte tragen sie nur mit Gesten, Blicken und Bemerkungen
in den Film hinein; es sind Zeichen von Enttäuschung, für Differenzen
oder Borniertheit. Eine Kette von Episoden gibt Raum für die Kontrastierung
ihrer Wahrnehmungsweisen und emotionalen Anteilnahme. Ihre Begegnungen mit anderen
Menschen beschreiben ambivalent die äußere Ablenkung von der Krise,
aber zugleich deren innere Eskalation in einer verhaltenen Spiralbewegung.
LA NOTTE beginnt mit dem Blick
aus einem hinabfahrenden Außenaufzug in die abstrakt wirkenden Strukturen
von Mauerkanten vor heller Himmelsfläche, eine kinematographische Einführung
offener Bedeutung - wie ein Vor-Zeichen für den Film.
Im Krankenhaus bekommt Tommaso
Garani (Bernhard Wicki) eine Spritze gegen quälende Schmerzen. Das Paar
betritt die Klinik und begegnet einer Patientin, einem jungen Mädchen mit
starrem Blick. Auf dem Flur teilt der Arzt geschäftig-desinteressiert Tommasos
hoffnungslosen Zustand mit. Die Atmosphäre des Besuchs ist zurückgehaltene
Hilflosigkeit und Verzweiflung. Tommaso will die Freunde nicht beunruhigen.
Man spürt im Gespräch seine Verehrung für Lidia, seine neidlose
Bewunderung für den Schriftstellerkollegen Giovanni, seinen abgeklärten
Spott über den Literaturbetrieb; man spürt die Liebe für seine
Mutter und seine Sehnsucht nach Harmonie, wenn er das elegante Paar zum Essen
bei der einfachen Frau einlädt. Giovanni bleibt unverbindlich, Lidia kann
ihre Gefühle so wenig bezwingen, daß sie sich unter einem Vorwand
verabschiedet, bevor Tommaso von neuen Schmerzen gepeinigt wird. Auf dem Rückweg
lockt das kranke Mädchen Giovanni vom Gang in ihr Zimmer und drängt
sich panisch-sehnsüchtig an ihn. Während der zermürbenden Auto-Fahrt
kommentiert Lidia Giovannis Erlebnis mit der Nymphomanin, er könne daraus
ja eine hübsche Geschichte machen. Beim Empfang ist Giovanni umringt von
Fans und publicitysüchtigen Neidern, Lidia wird abgedrängt und verläßt
das Haus, als ein TV-Reporter eine typische Leserin filmen möchte und ihr
ein Buch von Giovanni in die Hand drückt. Sie geht spazieren, berührt
Mauern, folgt Geräuschen in Hinterhöfe, beobachtet Kinder und Alte.
Bald hört man nur noch ihre Absätze in der Siesta-Stille. Sie bewegt
sich immer gelöster, macht Pausen, mischt sich mäßigend in einen
Halbstarkenkampf ein und läuft dann vor den Jungen davon. Sie beobachtet
die lärmende Vorführung von Modellflugzeugen und läßt sich
schließlich aus einem schäbigen, improvisierten Gartenlokal - wo
man sie für eine Prostituierte hält -, von Giovanni abholen.
Lidia zeigt Giovanni Abrißhäuser
und verlassene Grundstükke, zwischen denen die Quader einzelner Rohbauten
aufragen. Die Gegend, in der sie am Beginn ihrer Ehe wohnten, hat das Gesicht
verloren.
Lidia badet und kleidet sich mit
dezent verführerischen Gesten um für den Abend. Ihr Gesicht spiegelt
die Enttäuschung über Giovannis Unsensibilität: zerstreut schließt
er ihr Kleid. Sie besuchen einen Nachtclub. Dort wird eine dunkelhäutige
Akrobatin von ihrem muskulösen Assistenten Stück um Stück entkleidet;
sie vollführt einen raffinierten Balance-Akt mit einem Glas Wein. Giovanni
applaudiert der Schlangenfrau ohne Regung, Lidia tanzt mit den Fingern um ihr
Glas und legt ihre Hand auf seine.
Das Paar fährt zu den Gherardinis,
deren Fest in vollem Gang ist. Gastgeber und Gäste umringen die Prominenten,
sie werden herumgeführt und auseinandergerissen auf dem weiten Parkgelände.
Gruppen lagern um den Swimmingpool und eine Combo spielt. Das Pferd der Tochter
wird von Gherardini stolz präsentiert. Lidia trifft eine alte Freundin,
die vom Alleinreisen und ihrer Jacht erzählt. Lidia und Giovanni trennen
sich immer wieder von ihren Konversationspartnern und streifen allein durch
den Garten und das weite Haus, als ob sie einander suchten und zugleich einander
doch auswichen. Gläserne Fronten und Galerien geben den Blick frei für
verstohlene Beobachtungen. Giovanni begegnet im Untergeschoß Valentina
Gherardini (Monica Vitti). Lidia hatte das Mädchen bei einsamer Lektüre
beobachtet und kommentiert ironisch-großzügig Giovannis Begegnungen
mit flirtenden Frauen, die ihn als großen Dichter anschwärmen.
Valentina zieht ein einsames Spiel
der repräsentationsstolzen Party vor: sie schleudert ihre Puderdose als
Spielfigur in die Schachmusterfelder des Steinbodens. Später ist sie umjubelter
Star, wenn sich die ganze Party-Gesellschaft dem Spiel anschließt. Valentina
gewinnt gegen Giovanni. Sie fühlt sich angezogen von ihm, weil er sich
offensichtlich unterscheidet von den outrierten Männern der Gesellschaft.
Giovanni küßt sie, beobachtet von Lidia, die ihrerseits von einem
farblosen Verehrer still verfolgt wird.
Getroffen von dieser Szene, ruft
Lidia im Krankenhaus an und erfährt, daß Tommaso gestorben sei. Sie
kommt nicht dazu, es Giovanni mitzuteilen. Er sucht Valentina. Aus der Konversation
von Umstehenden erfährt er indirekt, daß sie eine Gherardini ist;
und sie hört, daß er verheiratet ist. Dieses Spiel um Heimlichkeiten
und Öffentlichkeit bindet ihre Aufmerksamkeit aneinander. Valentinas Vater
gibt seine Ansichten über die Kreativität des Unternehmertums zum
besten und bietet Giovanni einen Posten als literarischer Chronist seiner
Firma und Biograph seines Lebens an. Lidia macht sich von einem schlechten Tänzer
los und tanzt allein und ausgelassen, bis plötzlich ein sturzbachartiger
Regen das Fest ausufern läßt: die Gäste springen in den Pool.
Lidias Verehrer holt sie vom Sprungbrett herunter, drängt sie in seinen
Wagen. Sie läßt es wie eine romantische Entführung geschehen;
aber beim Halt an einer Bahnschranke bewegt sie ihn, nach einem unhörbaren
Zwiegespräch zur Umkehr.
Die Villa ist mittlerweile zu
einem Lager sich aufwärmender müder Gäste geworden. Valentina
will Giovanni wiedersehen, zögert aber aus Furcht, daß er mehr in
ihr Geld als in sie verliebt sei. Sie spielt ihm ein Tonband vor, auf dem sie
eigene, tagebuchartige Notate spricht. Vor seinen Augen löscht sie das
Band. Valentina bietet der durchnäßten Lidia ihr Zimmer an und beobachtet
sie beim Haaretrocknen. In dieser intimen Szene sind beide Frauen, in dunklen
Haaren und schmalen schwarzen Kleidern, einander sehr ähnlich. Valentina
setzt zu einem Geständnis an, Lidia wehrt ab und spricht von ihrem Gefühl
einer todähnlichen Agonie. Sie empfindet die zurückliegenden Jahre
als Last und Leere. Ihr Mangel an Eifersucht überrascht sie selbst. Giovanni
kommt hinzu. Das Paar verabschiedet sich mit Umarmungen und einer Einladung
an Valentina. Sie lehnt sanft, mit traurigem Sarkasmus, ab: die beiden hätten
sie >zugerichtet< an diesem Abend.
Lidia und Giovanni verlassen das
Haus im Morgengrauen. Sie gehen durch den leeren Park, während die Musiker
noch einmal zu spielen beginnen. Lidia erzählt von Tommasos Tod und erinnert
sich an seine selbstlose Zuwendung, die sie vorher nie wahrgenommen habe. Ihr
eigener Egoismus erscheint ihr wie ein Spiegel von Giovannis Desinteresse an
ihr. Daß sie Giovanni nicht mehr liebt, bringt sie dem Sterben nah. Lidias
Worte treffen Giovanni zum ersten Mal unmittelbar, - er hat ihnen nichts entgegenzusetzen.
Lidia liest einen Brief vor, den sie bei sich trägt. Es ist die liebevolle
Beschreibung der schlafenden Geliebten am frühen Morgen, - ein nie verlöschendes
Bild. Giovanni weiß nicht, daß er mit diesem Bild einmal Lidia beschrieben
hat. In diesem Moment der Wahrheit versucht er, sie heftig zu umarmen. Lidia
wehrt ihn ab, aber Giovanni will nicht zugeben, daß er sie nicht mehr
liebe. Man sieht das Paar eng umklammert unter den Bäumen liegen.
*
»Das ist inszeniert mit
einer Vollendung, die ihresgleichen sucht. Alles in diesem Film erscheint als
Oberfläche. Kaum eine Spur von Intrige, keine Geheimniskrämerei dramatisiert
den Ablauf. Der Bildinhalt tritt gestochen klar vor den Betrachter, bar jeder
Metaphysik. Jedes Ding hat seine autonome Präsenz. Und doch war die Oberfläche
noch nie so abweisend wie in diesem Film. Beim ersten Sehen gleitet der Wunsch
einzudringen, Strukturen herauszupräparieren an der ästhetischen Perfektion
der Bilder wie an einer auf Hochglanz polierten Scheibe ab. Trotzdem gerinnt
die Komposition nicht zum >schönen Bild<. Die Kamera di Venanzos
bleibt in Bewegung; sie stellt ihre Gegenstände nicht, sondern tastet sie
ab. Wenn der Regisseur auf einer Einstellung beharren muß, kommt er dem
Kameramann entgegen, indem er seine Darsteller mit der Raumtiefe spielen läßt
und Diagonalen durchs Bild führt, die dem Blick Fliehkraft verleihen. Kein
Bild soll sich der Netzhaut einbrennen, alles bleibt im Fluß ... Obwohl
er eine geschlossene Welt vorfindet, schön und erstarrt wie ihre Architektur,
bricht sie jedesmal auseinander, sobald Antonioni sie betrachtet. Er spürt
in ihren Mauern - den gesellschaftlichen wie den psychischen - Spannungen auf.
Und wenn da nun der Blick tief genug in die Mikrostruktur eindringt, löst
sich an einer unvorhergesehenen Stelle der konventionelle Zusammenhang plötzlich
auf und alles gerät in Bewegung ...« (Wilfried Berghahn in Filmkritik Nr.8/1961)
»Es gibt keine Bewegung
in seinen Filmen, weder außen noch innen. Achten Sie auf das erste Bild
einer Sequenz: alles ist schon gesagt. Die Figuren sind immobil, bewegen sich
nicht, stellen sich nie um, nicht einmal innerlich. Versuchen Sie, sich eine
Person bei Antonioni vorzustellen, die mit neapolitanischer Kraft schreit: was
um Himmelswillen willst du? ... Man hat Michelangelo oft imitiert. Er selbst
hat viel zum Welt-Kino beigetragen, auf seine persönliche Art und mit der
ihm eigenen Klasse, gewisse Dinge zu sehen, gewisse Weißtöne im Weiß.
Michelangelo kennt sich aus in der Malerei. Jedesmal, wenn wir im Ausland waren,
hat er sich nach Malern umgeschaut. Er malt selbst sehr gut.«
(Tonino Guerra [Drehbuchautor für Antonioni Seit IL GRIDO]
in Aldo Tassone, Entretien avec Tonino Guerra, Image et Son, Nr. 279, Dezember
1973)
Diese Beobachtungen beschreiben
Antonionis Mittel, paradox zu erzählen und einen Zustand der Agonie in
Bewegung zu zeigen: den Fluß der Bilder gegen die Dedramatisierung von
Sprache und Sprechsituationen zu setzen. Die Ereignisse des Films hängen
ab vom Verhalten Lidias und Giovannis; aber daß nichts sie wirklich ganz
beschäftigen kann, ist das Sujet Von LA NOTTE. Andererseits liegen in den
Darstellungen unbewußter Regungen die Splitter von anderen Lebensformen
verborgen. Wieweit sie für Hoffnungs-Zeichen genommen werden, hängt
von der Zuschauerphantasie ab.
LA NOTTE erzählt eine Liebesgeschichte
an ihrem Ende. Die erzählte Zeit ist konzentriert auf einen Tag und die
Nacht; die äußere Bewegung des Paares beschreibt einen Zirkel um
die Stadt an deren Peripherie. Die Kamera zeigt die Personen an Orten, deren
graphische Linienführungen an abstrakte Bilder erinnern; und die Konvention
von der Plazierung der Helden in einer illusionistischen Raumtiefe durchbrechen.
Die Interieurs der modernen Wohnung und des Nachtclubs erscheinen als knapp
und dicht gestaffelte Rahmen der Personen; deren spannungslose Spannung darin
in Mimik und Kopfhaltung, oft in Großaufnahmen der Hinterköpfe. Die
Natur ist in die Architektur eingebunden, als angefressener Rest am Stadtrand
und als dekoratives Stilelement der Industriellenvilla: dort wächst ein
Baum aus dem Kies eines Innenhofs über zwei Etagen des Glasgebäudes,
und der Park ist die Kunstlandschaft eines Golf-Parcours. Am Ende sitzt das
Paar auf dem Sandwall eines Golf-Lochs. (Die Nachtsequenzen wurden an 32 Drehtagen
im Mailänder Golfclub aufgenommen.)
Die Dreiecks-Konstellation wiederholt
sich mehrfach im Film, verliert aber dadurch gerade auch ihre dramatische Funktion.
Morgens, als Lidia und Giovanni mit Tommaso zusammen sind, ist sie indirekt
gestisch offensichtlich und wird durch Lidias Flucht unterschwellig pointiert.
Nachts beim Zusammentreffen mit Valentina ist sie direkt zum Gesprächsthema
geworden, aber durch Lidias Gefühlsagonie und Valentinas Einsicht in ihre
bloß katalysatorische Rolle für Giovanni von anderer Spannung als
erwartet. Auf zwei Ebenen - der wörtlichen Artikulation von Gefühlen
und dem puren Verhalten, in nonkonformistischen Solo-Unternehmungen, spielend
(Guerra erzählt in dem o. a. Interview von seinen und Antonionis
gemeinsamen Spiel-Erfindungen während der Drehbucharbeit. Das Spiel Valentinas
in LA NOTTE ist danach entstanden während der Motivsuche, als sie vom Produzenten
auf noch nicht existierende Skript-Teile angesprochen wurden und aus Verlegenheit
auf das Bodenmuster im Mailänder Golfclub gestarrt hätten) und tanzend einerseits und andererseits
durch ihren anderen Umgang mit Literatur, die sie unprätentiös als
Sprache auffassen - bestimmen die beiden Frauen Richtung und Substanz des Erzählten:
sie fühlen und sprechen aus, was seine Bedeutung verloren hat. In Lidias
Verhalten tritt das Bewußtsein über den Liebesverlust an die Oberfläche,
in Valentinas Verhalten die Klarheit über ihre inhaltsleere Lebensform.
Im Sprechen und Handeln der beiden ist Geschichte in Splittern präsent:
die »zerronnene Zeit« (Karena Niehoff in einer Kritik ZU LA NOTTE in: Stimmt es - Stimmt
es nicht?, Erdmann Verlag 1962) von zehn Jahren Ehe und veränderten Lebensorten bei Lidia,
und von bourgeoiser Selbstgenügsamkeit bei Valentina. Sie initiieren die
vitalen Ausbruchsversuche und ziehen die Schlüsse daraus. Ihre Beweglichkeit
setzt in Gang, was die Emotionalität der Zeitdramaturgie unterstellt: eine
Entwicklung zum Ende der Nacht hin. (Eine Argumentationslinie vieler zeitgenössischer Kritiken,
u. a. bei Günter Seuren, Deutsche Zeitung, 7. November 1961)
Diese Form, die an die mythische
narrative Konvention von der »Auferstehung« anspielt, ist in LA
NOTTE zugleich aufgelöst in der Affektlosigkeit des Umgangs der Frauen
mit Giovanni. Tommasos Sterben bringt Lidia einen Moment zum Weinen, später
lenkt sie sich davon ab im Tanzen. Das bei Antonioni ungewöhnliche dramaturgische
Mittel des Briefs, mit dem alte Sentiments zu einer Augenblicks-Wirkung in die
erzählte Gegenwart geholt werden, überträgt die Trauer suggestiv;
aber die letzten Einstellungen des Films beunruhigen über einen melodramatischen
Effekt hinaus. »Eingeschnürt in den Kokon ihrer einsamen Trauer«
beschreibt Karena Niehoff (s.o.)
das Paar in der letzten Einstellung, die Kamera entfernt sich von dem Paar,
so daß sich den Blicken entzieht, ob Giovannis impulsive Umarmung zu einer
unglücklichen Liebes- oder Vergewaltigungsszene wird.
Jeanne Moreau spielt Lidia als
elegante Erscheinung mit sicherer Anmut. Die Kamera beobachtet ihren Gang, hält
ihre erotische Ausstrahlung zu Anfang in Blicken und kleinen Gesten fest, sie
erzählen von erfahrenen Enttäuschungen und geheimen Erwartungen. Monica
Vitti nimmt die Sensibilität Valentinas in Kühle zurück. Ohne
Affekte, subtiler expressiv, passen die beiden Frauen zu Giovannis äußerer
Erscheinung, die Marcello Mastroianni aber mit wehleidig/wehmütigen Zügen
deutlich absetzt von ihrer Erotik. LA NOTTE erzählt eine Geschichte von
Lust-Verlust, von Impotenz und - als deren Kehrseite - von manischer Laszivität.
Giovanni kann nicht mehr schreiben, ist sich im Gespräch mit Lidia (während
der Autofahrt) bewußt darüber; aber verbirgt vor ihr seine schriftstellerische
Krise. Die feinen Leute, unter denen er sich bewegt, werden von Antonioni in
kleinen Episoden mit scharfem Spott als Spießer, Opportunisten und Schwadroneure
skizziert. Ihre Trivialität ist jedoch so kulinarisch inszeniert, daß
diese Gesellschaft kräftig dem widersteht, was LA NOTTE als Gestus insgesamt
unterstellt wird: ein »schwaches Bewußtsein inneren Sterbens.«
(Ian Cameron in Leo Braudy/Morris Dickstein, Hrsg., Great Film Directors. A Critical Anthology,
Claudia Lenssen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1987.
Zweitveröffentlichung
in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen
und des Carl Hanser Verlags.
Die
Nacht
LA NOTTE
Regie: Michelangelo Antonioni - Sujet, Buch: Michelangelo
Antonioni, Ennio Flaiano, Tonino Guerra. - Kamera: Gianni Di Venanzo. - Kamera-Führung:
Pasquale De Santis. - Schnitt: Eraldo Da Roma. - Ton: Claudio Maielli. - Musik: Giorgio Gaslini; Interpreten:
Giorgio Gaslini, Alceo Guatelli, Ettore Unvcelli, Eraldo Volontè. - Bauten: Piero Zuffi. - Kostüme: Biki. - Regie-Assistenz:
Franco Indovina, Umberto Pelosso. - Darsteller: Marcello Mastroianni (Giovanni
Pontano), Jeanne Moreau (Lidia), Monica Vitti (Valentina Gherardini), Bernhard
Wicki (Tommaso), Rosy Mazzacurati (Resy), Maria Pia Luzi (Patientin), Guido
Ajmone Marsan (Fanti), Vittorio Bertolini, Vincenzo Corbella (Gherardini), Ugo Fortunati (Cesarino), Gitt Magrini (Signora Gherardini), Giorgio Negro (Roberto),
Roberta Speroni (Berenice), Valentino Bompiani, Salvatore Quasimodo, Giansiro
Ferrata, Roberto Danesi, Ottiero Ottieri. - Produktionsgesellschaft: Nepi Film,
Rom/Sofitedip, Paris/Silver Film, Paris. - Produzent: Emanuele Casuto. - Gesamtorganisation:
Roberto Cocco. - ProduktionsIeitung: Paolo Frascà. - Gedreht von Juli
bis August 1960 in Mailand. - Format: 35 mm, sw. - OL: 122 min. – Deutsche Länge: 121 min. - Uraufführung:
24.1.1961, Mailand. - Römische
Erstaufführung: 1.2. 1961. – Deutsche Erstaufführung: 2.7. 1961, Filmfestspiele
Berlin. - TV: 4.8.1974 (ARD). - Verleih: Filmkundliches Archiv Köln (35
mm, 16 mm), Cinema actuell (16 mm), Bundesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit
und Medienerziehung (16 mm).
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