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Die
Nacht der reitenden Leichen
Den aus La Coruna stammenden Amando de Ossorio kennt man in erster
Linie wegen seiner unterhaltsamen "Reitenden-Leichen"-Filme, nur echt
mit den zeitlupig herumtapernden "Templern".
Bevor er endgültig mit seinen Schockern assoziiert wurde, bediente
de Ossorio verschiedene andere Genre-Bereiche. So inszenierte er u.a. einige
akzeptable Western, welche teilweise in italienischer Co-Produktion entstanden
sind. Dies trifft auch auf seinen ersten Horrorfilm MALENKA - LA NIPOTE DEL
VAMPIRO (1968) zu. Dieser hat sogar einige Darsteller zu bieten, die man eher
aus italienischen Film-Gefilden kennt. Allen voran spielt Anita Ekberg eine
junge Frau (kicher, kicher), die vor ihrer Verlobung mit dem jungen Arzt Gianni
Medici noch schnell ein Erbe antreten will, das sie zur Schlossbesitzerin macht.
Diverse Umstände komplizieren das Vorhaben, u. a. ihr vampirischer Onkel
(Julian Ugarte, frisch aus LA MARCA DEL HOMBRE LOBO) und seine diversen Gespielinnen.
Bevor Anita aber entweder in Vampirismus oder Wahnsinn getrieben werden kann,
kommt Gianni herbei und lässt Julians böses Spiel auffliegen, welches
ganz und gar weltliche Motive verfolgt. Der Schluss-Twist ist dermaßen
sinnlos und verwirrend, dass er fast von Wes Craven stammen könnte. Anita
macht den Eindruck, als wäre sie vom Trevi-Brunnen direkt in den Hauptwaschgang
geraten. Der einzige Schauspieler, der sich auszeichnen kann, ist Ugarte. Als
hübsche Abwechslung gibt es aber die beiden Schankerwirtinnen Diana Lorys
und Rossana Yanni zu bewundern. Julians Partnerin im bösen Spiel ist Adriana
Ambesi. Im ganzen eine höchst hausbackene Angelegenheit, die durch Carlo
Savinas teilweise aus LA CRIPTA E L'INCUBO geklauten Score entschieden aufgewertet
wird. Trotzdem: Die Fangzähne sind wie Besteck im Flugzeug und schneiden
höchstens ideell.
De Ossorios Gala-Nummer kam 1971 mit dem unheimlichen LA NOCHE DEL
TERROR CIEGO. "Jackpot!", mag Amando sich gedacht haben und bastelte
noch drei Fortsetzungen hintendran, die aber durchaus unterschiedlich gelungen
sind. Ich erinnere mich daran, dass ich den Film als 13-jähriger mal gesehen
habe und sehr beeindruckt war.
LA NOCHE beginnt mit einer schwarzen Messe: Grimmige Kreuzritter schleppen
eine junge Frau in ein Kabuff, binden sie an ein Holzkreuz und gucken grimmig.
Danach fallen die "Templer" - so der Name des ritterlichen Geheimbundes
- über die Dame her und saugen sie zu Tode. Schon an dieser Szene ist mancherlei
bemerkenswert: Die "Templer" tragen fast alle falsche Bärte;
das Opfer hat in den Nahaufnahmen falsche Brüste, die überhaupt nichts
mit den blutigen Detail-Shots zu tun haben; und die Pferde haben verhallte Hufe.
Hier erklingt zum ersten Mal der unheimliche Chor von Antonio Garcia Abril,
der die ganze Serie hindurch ertönen soll und wie eine Horde depressiver
Mainzelmännchen auf halber Geschwindigkeit klingt.
Ziemlich sadistisch, der Beginn, aber was soll man machen? Die "Templer"
sind halt böse Buben, und ihre ohnehin bereits höchst dubiosen Tugenden
aus Kreuzfahr-Zeiten wurden eben noch mit diabolischem Beiwerk angereichert.
In der hervorragenden, ungeschnittenen ELITE-Laserdisc-Fassung (die längste
erhältliche) befindet sich dieser Prolog übrigens in der Mitte, als
Rückblende des Professors. (Ein Freund von mir hat die "Opferfrau"
identifiziert als Franco-Darstellerin Britt Nichols, was durchaus angehen kann,
da diese Portugiesin ist und LA NOCHE eine giesische Co-Produktion.) Übrigens
war bei der ebenfalls empfehlenswerten REDEMPTION-Version der Hinweis auf Amandos
Ableben etwas vorzeitig, wie man ja mittlerweile leider weiß ...
So richtig Vollgas gibt der Film gleich darauf, als sich in einem
Badeort zwei gutaussehende Lesben mit grotesken Bikinis am Swimming-Pool treffen:
Bella hat in der Nähe eine Fabrik für Schaufensterpuppen eröffnet,
während Virginia umgesattelt und sich einen Freund zugelegt hat, der ihren
Sinn für Humor beweist. Roger hat eine dieser tollen geometrischen Frühsiebziger-Badehosen,
für die manche Menschen töten würden. Auch seine Badejacke ist
richtig knuffig. "Hast du vergessen, was in der Schule zwischen uns war?",
fragt Bella sinnierend, eine schöne Rückblende hervorkitzelnd, in
der die beiden vor zwei religiösen Bildern zärtliche Stunden verleben,
während irgendein Schöngeist Rauch vor die Kamera bläst! (Ich
habe das erst für eine schmierige Scheibe gehalten, aber das ist wohl eher
Rauch. Toll!)
Gemeinsam geht man auf einen Campingtrip, aber Eifersucht zwingt die
offenbar nicht blitzgescheite Ginny vom Zug zu springen und durchs portugiesische
Hinterland zu dackeln. (Die kausalen Verflechtungen sind nicht das starke Gewand
von de Ossorios Drehbüchern.) Bei ihrer Landpartie stößt sie
auf eine alte Abtei. Glückwunsch - es handelt sich um jene der verfluchten
"Templer", deren satanische Riten ihnen Exkommunizierung, Hinrichtung
und von Krähen rausgepickte Augen gebracht haben. Dafür aber kennen
sie "das Geheimnis des Untodes" und sind nach Mitternacht stramm auf
Achse! Man mag hierbei Ginnys leichtfertige Reisetechnik geißeln, aber
in Spanien kann einem ja so viel passieren - wenn einen nicht die EFTA erwischt,
dann tut es bestimmt die ETA oder die Guardia Civil. Letzerer sollte man als
blonde deutsche Touristin übrigens nicht nächtens über den Weg
laufen. ("Äh, Entschuldigung, dondesta la Hotel Flamenco?")
Na ja, hier quietschen auf jeden Fall sofort die Grabsteine, und Papphände
aus Gummi schieben sich an die frische Luft. Die Hände erinnern an diese
tollen Spardosen, aus denen ein Skelett rausgreift und die Groschen einsackt.
Die mumifizierten "Templer" - Skelette mit Kutten und Kinnbärten
- schwingen sich auf ihre Rappen - Pferde mit Tarnklamotten - und reiten in
Zeitlupe durch die Gegend.
Schon hier irritiert etwas die mäßige Geschwindigkeit der
Monster. Es ist nicht einfach, die große Bedrohlichkeit der Mumien zu
etablieren, wenn sie durch die Gegend schlurfen wie Tante Trude im Altenstift.
Tatsächlich hat man, objektiv betrachtet, das Gefühl, die "Templer"
würden in der Stadt nicht einmal sicher über die Straße kommen.
Aber die Opfer rennen sich im besten Mumienstil gekonnt in Ecken fest, der Soundtrack
singt "Oleoleoooo ..." und die Templer machen das schon. In einem
modernen Horrorfilm würde man die Plastik-Klauen sicherlich weglachen,
aber es ist eine missliche Entwicklung, dass man heutzutage meint, sich über
alles lustig machen zu müssen. Das ist kein Humor, der da aufblitzt, sondern
die nackte Angst vor dem Ernst des Lebens. Manisches Rumgejuxe hat mit Humor
nichts zu tun, ja, ist sogar sein Todfeind. Wer die "Templer" nicht
ernstnimmt, wird gefressen, kapiert?
Roger und Bella müssen ihre Freundin identifizieren. Auch diese
Szene hat ihre Reize. Da wäre erst einmal die Deckenlampe, die fortwährend
aufdringlich herumschunkelt, um unheimliche Atmosphäre zu suggerieren -
das Foucaultsche Pendel ist nichts dagegen. Ungewohnter Comic-Relief: Westernveteran
Paco Sanz als sadistischer Leichenwart (mit einem Kanarienvogel namens Karlchen)
sabbert fast vor Freude, dass er den beiden die tote Freundin zeigen darf. Zuerst
präsentiert er ihnen aber eine angegangene Ommama, nur so aus Spaß.
Danach quält er einen Frosch, aber der Frosch wird gerächt, und zwar
von Ginny, die zum Leben erwacht und Paco aller Sorgen entledigt.
Als nächstes begeben sich die beiden Hobbydetektive in ein Nest
von Schmugglern, die verdächtigt werden, den faulen Zauber zu veranstalten,
um ihre Aktionen zu tarnen. Man lernt dort den herben Charme der Landbevölkerung
kennen, kann den Boss jedoch dazu überreden, mit zum Kloster zu kommen.
Eine Nacht des Grauens bricht an ...
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist dies der beste
Film des Regisseurs, in dem er obendrein mit den "Templern" ausgesprochen
pittoreske Monster in das Horrorkino eingeführt hat. Deren Bedrohlichkeit
hält zwar objektiver Untersuchung nicht stand, aber die knochige Omnipräsenz
der Rittersleut ruft etwas ins Gedächtnis zurück, was im modernen
Kino mit seinen derangierten Psychokillern und den ständig perfekter werdenden
Spezialeffekten zunehmend in Vergessenheit gerät: Der wahre Schrecken wird
nicht von der Leinwand erzeugt, sondern wohnt bereits im kollektiven Busen.
Horrorfilme stellen lediglich eine geeignete Projektionsfläche
für diese Fantasien dar; sie katalysieren den privaten Angsthaushalt, machen
Schnipp und lassen das Unterbewusstsein walten. Dass heutige Zuschauer davor
Angst haben, auf dem Nachhauseweg von skelettierten Mönchen behelligt zu
werden, ist unwahrscheinlich, aber hey, warum dieser Zwang zur Realität?
Wäre es nicht ausgesprochen unterhaltsam, wirklich von solchen Mönchen
belästigt zu werden statt von den üblichen banalen Alltagsgespenstern?
Ich kenne die Gespenster der wehrten BUIO OMEGA-Leserschaft nicht, aber solche
Kuttenonkel finde ich wirklich fesch. Das wäre doch einmal was. Und ja,
ich finde den Film, trotz seiner etwas ungeschliffenen Direktheit, richtig charmant
- das ist doch ein ganz anderer Schnack als der blöde Freddy Krueger. Mehr
Mönche, weniger Massenmörder, und ungebrochener Mut zum Ernstnehmen
potentiell lächerlicher Dinge. Nur dann kann man nämlich auch über
ernste Dinge lachen, und darauf kommt es schließlich an. Humor ist, wenn
man trotzdem lacht. Alles andere ist Mainz bleibt Mainz.
Die Folgefilme waren: DIE RÜCKKEHR DER REITENDEN LEICHEN (okay),
DAS GEISTERSCHIFF DER SCHWIMMENDEN LEICHEN (bodenlos und auf Video irrsinnigerweise
beschlagnahmt) und BLUTGERICHT DER REITENDEN LEICHEN (zweitbester Film der Serie).
Nur für die Galerie: Einer der drei Beschlagnahmungsgründe für
das "Geisterschiff" war eine skandalöse Szene, die in der Urteilsbegründung
wie folgt vermerkt wird: "Ein Skelett verbrennt (Nahaufnahme)." Hmmh.
Also, was lehrt uns das? Nun, beim Skelette verbrennen bitte nicht satt draufhalten,
denn sonst streckt der Staat seine Knochenfinger aus und lehrt uns Mores...
Amando ist leider Gottes mittlerweile solcher Sorgen ledig und weilt
seit diesem Jahr in himmlischen Gefilden. Mögen seine ewigen Träume
von schönen Frauen und lieben Klängen gepflastert sein - wenn er als
reitende Leiche zurückkehrt, so wäre das zwar gerecht, aber ich wünsche
ihm Frieden!
R.I.P. - Amando de Ossorio.
Christian Kessler
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: http://www.buio-omega.de/
Bitte
auch ansehen: http://www.christiankessler.de/
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Nacht der reitenden Leichen
Originaltitel
LA NOCHE DEL TERROR CIEGO
Alternativtitel
LA NOCHE DE LA MUERTA CIEGA
TOMBS
OF THE BLIND DEAD (USA/Großbritannien)
THE
BLIND DEAD
TOMBS
OF THE BLIND ZOMBIES
NIGHT
OF THE BLIND DEAD
CRYPT
OF THE BLIND DEAD
THOSE
CRUEL AND BLOOD VAMPIRES
LA
REVOLTE DES MORTS-VIVANTS (Frankreich)
LE
TOMBE DEI RESUSCITATI CIECHI (Italien)
Land
und Jahr: Spanien, Portugal 1971
Regie:
Amando de Ossorio
Produktionsfirma:
Plata Films S.A. & Interfilme
Produktion:
Salvador Romero & José Antonio Perez Giner (später Chef von
"Profilmes")
Drehbuch:
Amando de Ossorio
Kamera:
Pablo Ripoll
Schnitt:
José Antonio Rojo
Musik:
Antonio Garcia Abril
Special:
Effects Julio Gomez Soria
Ausstattung:
Rafael Ablanque
Außenaufnahmen:
bei Lissabon
Klosteraufnahmen:
bei Madrid - olé!
Darsteller:
Lone Fleming (Betty), Cesar Burner (Roger), Maria Silva (Maria), Helen Harp
[= Maria Elena Arpó] (Virginia), Joseph Thelman [= José Telman],
Rufino Ingles, Veronica Llimera, Simon Arriaga Garibaldi, Francisco Sanz, Juan
Cortes, Andres Speizer, Antonio Orengo, Carmen Cir, José Camoiras u.
a.
deutsche
Erstaufführung: 29.09.1972
Verleih:
Jugendfilm
Format:
1:1,66
Laufzeit:
90 Minuten (deutsche Kino-Version); Originallänge: 101 Minuten
Home-Entertainment
Video:
ITT
Contrast;
VMP;
Atlas;
IMV;
Astro;
V.
Directori Publ.;
Redemption,
Großbritannien (als TOMBS OF THE BLIND DEAD).
Laserdisc:
Elite
Entertainment, USA (als TOMBS OF THE BLIND DEAD; ungeschnittene Widescreen-Version).
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