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Die
Nacht singt ihre Lieder
(Berlinale-Kritik)
Volle
Konzentration auf Wort, Schauspieler und die Kamera. Gestern, in „Before
Sunset“,
auf den Strassen von Paris, die naive Version, die den Worten glaubt und der
hart erarbeiteten Natürlichkeit der Darsteller, und der Zuschauer, der
von einer ganz funktionalen Kamera sanft zum Eindruck begleitet wird, hier sehe
er das Leben selbst. Ein schöner Traum, ein Konversationsstück und
der Charme der Komödie. Heute dagegen: Eine Berliner Wohnung, eine Art
Weißblende am Beginn, die ersten Worte der Darstellerin, zu sich, zu einem
anderen, der nicht im Blick ist. Dem anderen, der da sitzen wird und wenig sagen.
Nein und ja. Er liest, er blättert, er spricht finster, er wiederholt die
Worte, die er schon wiederholt hat.
Zugrunde
liegt „Die Nacht singt ihre Lieder“ ein Stück des Norwegers Jon Fosse,
der weltweit gefeiert wird als Meister sprachlicher Verknappung. Romuald Karmakar
hat den Worten in seinen höchst präzisen Rauminszenierungen eine Form
gegeben und die hervorragenden Darsteller auf eine Weise geführt, gegeneinander,
aneinander vorbei, die ein ums andere Mal die Sprache verschlägt. Ihnen.
Und dem Zuschauer. Nichts in diesem Film geschieht hier ohne Bedacht, nicht
das Zucken der Wimper, nicht einmal das Ausbleiben einer Regung. Ein Virtuosenstück
aller Beteiligten, indem die Sprache in der Kettung, Verwindung, Verknüpfung
zu Effekten gelangt, die sogleich in Affekte umschlagen.
Es
geht um das Ende einer Beziehung. Er, ein erfolgloser Schreiber, verstummt beinahe,
kaum noch fähig, die Wohnung zu verlassen. Sie, was man verstehen kann,
mit den Nerven am Ende. Es gibt ein Baby, das gelegentlich schreit. Man redet
aufs Intensivste aneinander vorbei, dreht sich im Kreis, immer dasselbe, in
minimalen Variationen. Der Generalbass dieser sprachlichen minimal
music
aber ist der Schmerz. Das geht nicht ohne Komik ab, es balanciert auf dem Grat
zwischen Lachen und Weinen und die Regie und die Darsteller sind so klug, diese
Unentschiedenheit, dieses Kippmoment an keiner Stelle zu verraten.
Es
kommen die Eltern vorbei, eine von drei Unterbrechungen des Texts durch Musik,
rabiat, leicht komödiantisch. Eine Stippvisite, das Baby sieht dir gar
nicht ähnlich, hast du jetzt einen Job, Schweigen, Papi, willst du das
Baby nicht sehen. Ja. Nein. Das immer wieder, auch im weiteren. Ein Ja, das
kein Ja ist, ein Nein, das kein Nein ist. Aus dem Nichts, das diese Worte bedeuten,
entsteht so die Wahrheit eines Verhältnisses, für das es keine Rettung
mehr gibt. Grosse Unterbrechung, die Frau, die die Wohnung verlässt, in
eine Disco geht. Anschliessend: Gespräche, die um sich selbst kreisen,
Worte, die, so stumpf sie sind, einen Sog erzeugen, der nichts, was geschieht,
im mindesten unplausibel scheinen lässt.
Zuletzt
ist ein zweiter Mann im Spiel, die Frau verflucht den ersten, sie beschimpft
ihn, zieht ihn in den Dreck. Er zieht sich schweigend zurück. Jetzt zweifelt
sie. Jetzt ist das Ja wieder kein Ja mehr, das Nein kein Nein. Sie hat große
Worte für die Liebe zum anderen, zu Baste, er hat große Worte für
die Liebe zu ihr. Nur vertrauen können sie ihnen nicht. Das tragische Ende
ist unausweichlich. Man sieht, zuletzt, das Gesicht der großartigen Anne
Ratte-Polle in Großaufnahme, Tränen in ihrem Gesicht. Keine Worte
mehr. Der Schmerz ist Bild geworden.
Nachtrag:
Ein
großer Film, nur hat es keiner gemerkt. Die Presse lacht und höhnt
in der Vorstellung, ständige Zwischenrufe, als hätte man einen Kindergarten
ins Museum gezwungen. Auf der Pressekonferenz fliegen die Fetzen, Romuald Karmakar,
der nichts durch Selbstironie abmildern kann oder will, beschimpft die Journalisten,
„das ist mir zu primitiv“. Auf dem Podium auch Jon Fosse, der Autor der Vorlage
und sein deutscher Übersetzer, der selbst immer wieder wunderschöne
Sätze sagt. Karmakar erklärt unterdessen die erste Einstellung des
Films, geduldig, predigt, verzweifelt, bringt alle gegen sich auf. Wenn man
ihn für nichts sonst bewundern will, dann doch für den Mut in der
Höhle des Löwen. Ein denkwürdiger Nachmittag.
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Die Nacht singt ihre Lieder
Deutschland 2003 - Regie: Romuald Karmakar - Darsteller: Frank Giering, Anne
Ratte-Polle, Manfred Zapatka, Marthe Keller, Sebastian Schipper, Captain Comatose
- FSK: ab 6 - Länge: 95 min. - Start: 19.2.2004
"Die Nacht singt ihre Lieder" ist auf DVD erschienen bei: absolutMedien
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