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Nackte
Jugend
Holzwege
Wenn
Yasujiro Ozu der Adalbert Stifter der japanischen Seelenlandschaft ist, so Nagisa
Oshima der Jean-Luc Godard der japanischen Nouvelle Vague. Während Ozu
die verliebten jungen Leute ohne Aussicht auf Erfolg vor ihren Eltern knien
lässt und zugleich die erstaunliche Erfolgsgeschichte der aseptischen japanischen
Innenraumausstattung Revue passieren lässt, zwingen bei Oshima junge Männer
ihnen unbekannte Mädchen auf den wackligen Boden gefällter, gebündelter,
in der Wasserwüste schwimmender Baumleichen. Die kritischen Kommentare
fließen bei Ozu ganz ungezwungen in Form auch noch wunderschöner
Bilder ein, Telegrafenmasten, Eisenbahnzüge, verlassene Wege. Bei Oshima
ist immer ein zorniges junges Gesicht dabei. Ganz nah gefilmt, auch schon richtig
wackelig wie 40 Jahre später bei den Dänen.
Niemand
traut niemandem, die ältere Schwester wirft der jüngeren ihre Freizügigkeit
vor, die sie selber nie entwickeln konnte und durfte, die jüngere mokiert
sich über die Spießigkeit der älteren, die diese an sich selbst
hasst. Ressentiment im Elternhaus, der Vater wird bei der zweiten Tochter entmachtet.
Brutale Gesten begehrender Männer können nicht dafür einstehen,
dass es sich tatsächlich um Liebe handelt. Und darüber reden kann
man schon gar nicht. Gemeinsam Motorradfahren macht dagegen richtig Spaß.
Der Geschwindigkeitsrausch ist noch immer die fast beste Droge. Wenn die Mädchen
sich Abends in der Stadt amüsieren, fahren sie anschließend nicht
mit dem Bus nach Hause (wenn sie nicht gleich bei ihrem Freund übernachten),
sondern trampen und steigen bei „älteren Herren“ ein, die auch erst mal
ganz nett sind, dann aber doch entschieden eigene Interessen verfolgen. Kein
Wunder, dass am Ende halbe Vergewaltigungen stehen.
Zufällig
lernen sich so Makato, die oben schon erwähnte jüngere Schwester (Miyuki
Kuwano) und Kiyoshi, ein Student (Yusuke Kawazu), kennen. Der junge Befreier
wird kurz darauf selber zum Unterdrücker. Aber das ist immer noch besser
für Makato, als gelangweilt zu Hause zu hocken oder blöd in der Schule
rumzusitzen. Keiner weiß ja, wie das alles gehen soll. Die aufgestaute
Energie muss erst mal raus, egal, wie weh es einem selber und anderen tut. Ein
brechender Staudamm kennt keine Kompromisse. Aber das geht ganz gesetzmäßig
ab. Wenn der Student durchdreht, hat er gleich eine Bande Mädchenschieber
oder die Polizei auf dem Hals. Dann wird seine junge Freundin schwanger. Der
Student emp- und befiehlt Abtreibung. Gut, dass er eine ältere Freundin
hat, die ihm Geld gibt, wenn er mit ihr schläft. Ein paar traute Momente
nach der Operation. Dann geht das richtige Leben wieder los. Oder fängt
jetzt die Liebe erst richtig an? Liebe als Spaß plus Verantwortung? Man
wird die Frage nicht beantworten können, denn die Sache endet tragisch.
Die Bande hat noch eine offene Rechnung mit dem Studenten, die dieser nicht
begleichen kann. Er wird zusammengeschlagen und stirbt. Derweil sitzt seine
Freundin mal wieder auf dem Beifahrersitz wohlhabender Männer, kriegt aber
intuitiv mit, dass ihr Freund gerade massiv Schwierigkeiten hat. Bei voller
Fahrt öffnet sie die Tür, will aussteigen, helfen, ihr Kleid verfängt
sich, sie wird mitgeschleift, dann sieht man sie auf der Straße, zu Tode
geschleift. Dann spaltet sich der Bildschirm, ihr Freund wird eingeblendet,
ebenfalls tot. Schließlich also doch Romeo und Julia.
Dieter
Wenk (11.04)
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Nackte
Jugend
SEISHUN
ZANKOKU MONOGATARI
Japan
- 1960 - 96 min. – Scope – Drama - FSK: ab 18; feiertagsfrei - Verleih: Goldeck
- Erstaufführung: 16.11.1962 - Fd-Nummer: 11928 - Produktionsfirma: Shochiku
Produktion:
Tomio Ikeda
Regie:
Nagisa Oshima
Buch:
Nagisa Oshima
Kamera:
Ko Kawamata
Musik:
Riichiro Manabe
Schnitt:
Keiichi Uraoka
Darsteller:
Yusuke
Kawazu (Kiyoshi Fujii)
Miyuki
Kuwano (Makoto Shinjo)
Yoshiko
Kuga (Yuki Shinjo)
Fumio
Watanabe (Akimoto)
Shinji
Tanaka (Ito)
Shinjiro
Matsuzaki (Terada)
Toshiko
Kobayashi (Teruko Shimonishi)
Jun
Hamamura (Masahiro Shinjo)
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